Beschluss vom 22.05.2007 -
BVerwG 7 B 1.07ECLI:DE:BVerwG:2007:220507B7B1.07.0

Beschluss

BVerwG 7 B 1.07

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 17.05.2006 - AZ: OVG 8 A 1642/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger begehrt von der beklagten Stadt Einsicht in Prüfberichte des Rechnungsprüfungsamtes über die Gebührenberechnungen der Abfallwirtschaftsbetriebe. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat ihr im Berufungsrechtszug auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) unter anderem mit der Begründung stattgegeben: Der Anspruch auf Einsicht in die Prüfberichte sei nicht durch § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW ausgeschlossen, weil der dort normierte Ausschluss der Öffentlichkeit für Angelegenheiten der Rechnungsprüfung nicht die Prüfberichte des Rechnungsprüfungsamtes erfasse.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

3 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

4 1. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den behaupteten Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5 a) Soweit die Beklagte geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen verstoßen (§ 86 Abs. 1 VwGO), ist ihre Rüge bereits unzulässig.

6 Die Beklagte stellt lediglich abstrakt dar, welche Pflichten das Gericht zur Erforschung des Sachverhalts zu erfüllen hat. Sie bezeichnet aber nicht die konkreten Tatsachen, die weiterer Erforschung bedurft hätten. Erst recht legt sie nicht dar, aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung welcher Fragen mit welchen Mitteln hätte aufdrängen müssen.

7 b) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 108 Abs. 1 VwGO). Es hat keinen Hinweis gemäß § 86 Abs. 3 VwGO unterlassen, der zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung erforderlich gewesen wäre.

8 Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Das ist der Fall, wenn eine Entscheidung auf Gründe gestützt wird, die nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens oder des Verwaltungsprozesses waren, es sei denn, das Gericht hat durch entsprechende Hinweise oder auf andere geeignete Weise die Verfahrensbeteiligten auf die Entscheidungserheblichkeit des neuen Gesichtspunkts hingewiesen.

9 Zu Unrecht meint die Beklagte, das Oberverwaltungsgericht hätte spätestens in der mündlichen Verhandlung auf seine Auffassung hinweisen müssen, die Prüfberichte seien keine Protokolle vertraulichen Inhalts im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 2 IFG NRW, mit der Folge, dass ein Anspruch auf Einsicht in sie nicht schon nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sei. Es bedurfte nicht erst eines solchen Hinweises, um die Beklagte zu näherem Vortrag dazu zu veranlassen, ob der geltend gemachte Anspruch auf Einsicht in die Prüfberichte nach anderen Vorschriften, beispielsweise gemäß § 8 IFG NRW ausgeschlossen ist, weil durch diese Einsicht Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbart werden.

10 Das Verwaltungsgericht hatte die Klage allein mit der Begründung abgewiesen, die Prüfberichte seien als Protokolle vertraulichen Inhalts einer Offenlegung entzogen. Das Verwaltungsgericht hatte hierfür eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 Satz 2 IFG NRW bemüht und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil die Möglichkeit einer solchen entsprechenden Anwendung der Vorschrift der Klärung bedurfte. Schon deshalb konnte die Beklagte nicht ohne weiteres davon ausgehen, das Berufungsgericht werde die Auffassung des Verwaltungsgerichts teilen. Sie hatte nach Lage des Verfahrens vielmehr Anlass, vorsorglich zu anderen Gründen vorzutragen, aus denen nach ihrer Auffassung ein Anspruch auf Einsicht in die Prüfberichte durch den Kläger ausgeschlossen war. Das hat die Beklagte im Übrigen selbst so gesehen und in ihrem Schriftsatz vom 10. Mai 2006 der Sache nach auf den Schutz von Betriebsgeheimnissen nach § 8 IFG NRW verwiesen, allerdings in einer Weise, die das Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung als unsubstantiiert eingestuft hat, ohne dass die Beklagte diese Würdigung mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angreift.

11 Abgesehen davon kam es nach der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts in dem Berufungsverfahren auf eine weitere Prüfung der Frage nicht an, ob die in Rede stehenden Prüfberichte schützenswerte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten. Die materiellrechtliche Auffassung des Tatsachengerichts bestimmt nicht nur den Umfang notwendiger Aufklärung des Sachverhalts, sondern auch den Umfang, in dem Hinweise an die Beteiligten zu gegebenenfalls weiterem Vortrag erforderlich sind.

12 Das Oberverwaltungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, der Kläger verlange mit seiner Klage lediglich allein und ohne nähere Umschreibung der beanspruchten konkreten Informationen die Einsichtnahme in die Prüfberichte. Etwaige Beschränkungen der Einsichtnahme, die zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Abfallwirtschaftsbetriebe erforderlich werden könnten, waren aus dieser Sicht nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Hierüber musste vielmehr nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts von der Beklagten vor der Ermöglichung der Akteneinsicht gesondert entschieden werden. Auch ohne dass eine entsprechende Maßgabe in den Tenor der Entscheidung aufgenommen war, ist das Oberverwaltungsgericht mithin davon ausgegangen, dass die Beklagte zur Gewährung von Einsicht in die Prüfberichte nur dem Grunde nach verpflichtet wird und Einschränkungen des Einsichtsrechts bei der Erfüllung des ausgeurteilten Anspruchs zu berücksichtigen sind (so auch Urteil vom 25. März 1999 - BVerwG 7 C 21.98 - BVerwGE 108, 369 <379> zu § 8 Abs. 1 Satz 2 UIG alter Fassung). Aus dieser materiellrechtlichen Sicht des Oberverwaltungsgerichts wäre es nur dann entscheidungserheblich gewesen, wenn die Prüfberichte ausschließlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthielten, die nach § 8 IFG NRW einer Offenbarung entzogen sind, und sich deshalb der Anspruch schon dem Grunde nach als unbegründet dargestellt hätte. Dass es sich so verhält, behauptet selbst die Beklagte nicht. Sie tritt namentlich den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts nicht entgegen, dass jedenfalls bestimmte Geschäftsdaten anderweitig veröffentlicht und damit allgemein zugänglich sind.

13 c) Soweit die Beklagte rügt, das Oberverwaltungsgericht hätte nur ein Bescheidungsurteil erlassen dürfen, macht sie keinen Verfahrensfehler geltend. Sie rügt vielmehr, das Oberverwaltungsgericht habe dem Kläger mehr zugesprochen, als ihm nach materiellem Recht auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zustehe. Sie macht geltend, das Oberverwaltungsgericht hätte die auf uneingeschränkte Verpflichtung gerichtete Klage teilweise als unbegründet abweisen müssen. Damit macht sie einen materiellen Mangel geltend.

14 2. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

15 Die Beklagte wirft als klärungsbedürftig die Fragen auf,
ob und in welchem Umfang durch die Informationsrechte des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen der mit der Selbstverwaltungsgarantie verbundene Grundsatz vertraulicher Beratungen in nichtöffentlichen Sitzungen und damit die traditionellen Entscheidungsabläufe der kommunalen Gremienarbeit eingeschränkt werden dürfen,
ob die Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur die Beratungen selbst in ihrer Vertraulichkeit schützt oder ob sich der Vertraulichkeitsgrundsatz des kommunalen Verfassungsrechts auch auf die Unterlagen bezieht, die Gegenstand der vertraulichen Beratungen sind,
ob für die Rechnungsprüfungsberichte, die für die Gemeinden im Rahmen ihrer kommunalen Haushaltswirtschaft erstellt werden, Einschränkungen des Informationsanspruchs der Öffentlichkeit erforderlich sind.

16 Klärungsbedürftige Fragen des Bundesrechts sind damit nicht aufgezeigt. Als bundesrechtliche Norm kann allenfalls Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserhebliche Bedeutung erlangen. Diese Bestimmung gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Die Gewährleistung eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung besteht indes gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur „im Rahmen der Gesetze“. Dementsprechend sind auch die Organisationsbefugnisse der Gemeinden durch die Vorgaben des Gesetzgebers gebunden. Der Gesetzgeber muss dabei zwar der verfassungsrechtlichen Verbürgung einer Selbstverwaltung Rechnung tragen, die mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattet ist; er muss die Gemeinden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben befähigen. Welche Grenzen dem Gesetzgeber dabei gezogen sind, ist in der Rechtsprechung namentlich des Bundesverfassungsgerichts seit langem geklärt (vgl. etwa zusammenfassend Beschlüsse vom 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - BVerfGE 91, 228 und vom 7. Januar 1999 - 2 BvR 929/97 - DVBl 1999, 698). Die Beklagte hat mit ihrer Beschwerde nicht aufgezeigt, dass das angestrebte Revisionsverfahren eine weitere Klärung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe bewirken könnte, an denen Rechtssätze zu messen sind, die die Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben berühren.

17 Die Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes lassen sich, soweit sie den Zugang zu den Prüfberichten des gemeindlichen Rechnungsprüfungsamtes betreffen, den organisatorischen Regelungen zuordnen, mit denen der Gesetzgeber durch Schaffung von Rechtsansprüchen des Bürgers mittelbar in die Verfahrensabläufe bei der Erledigung gemeindlicher Aufgaben steuernd eingreift. Für die kommunale Organisation gilt jedoch nicht ein Prinzip der Eigenorganisation der Gemeinde, dem gegenüber jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung bedürfte. Das Kommunalrecht setzt mit seinen zahlreichen Regelungen zur Organisation der Gemeinden ersichtlich eine weitgehende Befugnis des staatlichen Gesetzgebers voraus, der Regelung von Organisationsstrukturen seine Vorstellungen zugrunde zu legen. Die Organisationshoheit ist mithin von vornherein nur relativ gewährleistet. Sie wird durch staatliche Regelungen inhaltlich ausgeformt und mit Grenzen versehen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - BVerfGE 91, 228 <240>). Demgemäß beruht nicht nur die Einrichtung einer gemeindeinternen Rechnungsprüfung durch Rechnungsprüfungsämter, sondern auch die Vertraulichkeit der Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuss auf verpflichtenden Vorgaben, die der Gesetzgeber den Gemeinden für deren Organisation gemacht hat. Verfassungsrechtlich sind dabei aus der Sicht des Demokratieprinzips im Übrigen eher die Regeln rechtfertigungsbedürftig, die der Öffentlichkeit den Zugang zu Unterlagen verwehren, die einem in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschluss des Gemeinderats zugrunde lagen (vgl. hierzu Beschluss vom 27. Februar 1975 - BVerwG 7 B 66.74 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 31). Die Beklagte beschränkt sich in ihrer Beschwerde darauf, darzulegen, welche Regelungen der Gesetzgeber den Gemeinden für die Behandlung von Angelegenheiten der Rechnungsprüfung bisher vorgegeben hat, ohne dass sich aus ihren Ausführungen ergibt, dass nur eine Regelung dieses Inhalts die Grenzen wahrt, die dem Gesetzgeber bei organisatorischen Regelungen gesetzt sind, die die Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben berühren. Dass durch den hier eröffneten Zugang zu Berichten des Rechnungsprüfungsausschusses die Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung, namentlich die Fähigkeit der Gemeinden beeinträchtigt wird, ihre Aufgaben wahrzunehmen, macht die Beklagte selbst ernstlich nicht geltend. Sie führt gegen die Auslegung der einschlägigen Vorschrift durch das Oberverwaltungsgericht lediglich Gründe der Zweckmäßigkeit ins Feld. Sie geht dabei namentlich an der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts vorbei, dass die Beratung im Rechnungsprüfungsausschuss nach wie vor nicht öffentlich ist und der Zugang der Öffentlichkeit zu den zuvor angefertigten Prüfberichten des Rechnungsprüfungsamtes diese Vertraulichkeit der Beratungen nicht antastet.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.