Beschluss vom 22.03.2006 -
BVerwG 1 B 59.05ECLI:DE:BVerwG:2006:220306B1B59.05.0

Beschluss

BVerwG 1 B 59.05

  • Thüringer OVG - 23.02.2005 - AZ: OVG 2 KO 226/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. März 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann
und Hund
beschlossen:

  1. Der Antrag der Beigeladenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 22. März 2005 wird zurückgewiesen.
  3. Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Der Antrag der Beigeladenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).

2 Die Beschwerde, die geltend macht, die Revision sei „wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und/oder wegen Divergenz“ (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) zuzulassen, kann keinen Erfolg haben.

3 Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Eine solche Rechtsfrage lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten (für Asylangelegenheiten) auch dann zulässig ist, wenn er (wie hier) lediglich die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Asylbewerbers zu einem bestimmten Tatbestandsteil geltend macht“. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Durch Art. 3 Nr. 5 i.V.m. Art. 15 Abs. 2 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) wurde nämlich der insoweit maßgebliche § 6 AsylVfG und damit auch die Bestellung des Bundesbeauftragten mit Wirkung zum 1. September 2004 aufgehoben. § 6 AsylVfG gilt nur noch für vor diesem Stichtag anhängig gewordene Verfahren weiter (§ 87b AsylVfG n.F.; vgl. Art. 3 Nr. 48 Zuwanderungsgesetz) und ist damit auslaufendes Recht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Rechtsfragen zu auslaufendem Recht trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, da die Zulassungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine für die Zukunft geltende Klärung von Rechtsfragen herbeiführen will (vgl. Beschlüsse vom 20. September 1995 - BVerwG 6 B 11.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 6 m.w.N. und vom 2. November 2004 - BVerwG 1 B 58.04 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 33). Inwieweit ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn das auslaufende Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung sein könnte, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn das Vorliegen einer derartigen Sachlage hätte die Beschwerde substantiiert darzulegen (vgl. Beschluss vom 8. März 2000 - BVerwG 2 B 64.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 21 sowie Beschluss vom 17. August 1999 - BVerwG 1 B 47.99 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 27). Daran fehlt es hier. Soweit die Beschwerde meint, bei Annahme auslaufenden Rechts hätte sich das Berufungsgericht „mit dem Prozess nicht mehr befassen dürfen“, geht dies fehl, wie sich aus der erwähnten - hier anzuwendenden - Stichtagsregelung ergibt.

4 Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass § 6 Abs. 2 AsylVfG a.F. dem Bundesbeauftragten ohne Bindung an weitere Voraussetzungen die Befugnis einräumte, sich an Klageverfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beteiligen und gegen Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Klage zu erheben. Bestimmte Einschränkungen für die Ausübung dieser Befugnis sah das Gesetz nicht vor. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, diese Befugnis im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung zu beschränken (vgl. Beschluss vom 24. Juni 1999 - BVerwG 9 B 18.99 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 41 und Urteil vom 27. Juni 1995 - BVerwG 9 C 7.95 - BVerwGE 99, 38). Daran ändert auch der Hinweis der Beschwerde auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2000 (2 BvR 143/98 - InfAuslR 2001, 150 = EzAR 210 Nr. 17) nichts. Abgesehen davon, dass sich die Zulässigkeitsanforderungen für die dem Bundesbeauftragten eingeräumten Befugnisse zur Erhebung einer Klage (§ 6 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG a.F.) und zur Einlegung einer Berufung (§ 78 Abs. 2 AsylVfG) in erster Linie aus dem einfachen Recht ergeben, lassen sich dem genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts keine Aussagen dazu entnehmen, dass und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Rechtsmittel des Bundesbeauftragten bei bestimmten Fallgestaltungen von Verfassungs wegen generell unzulässig sein können. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr im Rahmen einer Gehörsrüge (Art. 103 Abs. 1 GG) für die Frage, ob der Bundesbeauftragte in dem zugrunde liegende Einzelfall sein Klagerecht verwirkt hat, darauf hingewiesen, dass die zu beobachtende einseitige Praxis des Bundesbeauftragten, nur zu Lasten der Asylbewerber gegen ganz oder teilweise stattgebende behördliche oder gerichtliche Entscheidungen vorzugehen und dabei gelegentlich auch einzelfallbezogene Sachverhalts- und Glaubwürdigkeitsaspekte geltend zu machen, dem gesetzgeberischen Auftrag nicht gerecht wird (vgl. Beschluss vom 16. Mai 2001 - BVerwG 1 B 171.01 ). Im Übrigen legt die Beschwerde auch nicht - wie ggf. erforderlich wäre - dar, dass der klagende Bundesbeauftragte seine seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Praxis fortgesetzt hat.

5 Soweit sich die Beschwerde auf Divergenz beruft, entspricht sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Es fehlt bereits an der hinreichend klaren Bezeichnung der Entscheidung, von der das Berufungsgericht abgewichen sein soll. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Abweichung von dem erwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gemeint ist, sind die Darlegungsvoraussetzungen nicht erfüllt. Die Darlegung der Divergenz setzt die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes voraus, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung u.a. des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Im Übrigen sind diese Voraussetzungen auch unabhängig von der mangelnden Darlegung nicht erfüllt, zumal der erwähnte Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die „zu beobachtende einseitige Praxis“ nicht zu den tragenden Entscheidungsgründen gehört.

6 Soweit in dem Vorbringen der Beschwerde auch eine Verfahrensrüge des Inhalts zu sehen sein sollte, dass die Berufung des Bundesbeauftragten mangels ausreichender Begründung oder mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig hätte verworfen werden müssen (vgl. Beschwerdebegründung S. 2), fehlt es bereits an einer schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels. Die Beschwerde verkennt, dass die Zulassung der Berufung als unanfechtbare Vorentscheidung grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht nicht mehr zu überprüfen ist (vgl. § 557 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 152 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO; stRspr, zuletzt etwa Beschluss vom 30. Januar 2004 - BVerwG 1 B 9.04 - <juris> m.w.N.). Im Übrigen entspricht die Berufungsbegründung des Klägers vom 15. Mai 2002 entgegen der Ansicht der Beschwerde den Anforderungen von § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vgl. auch Urteil vom 23. April 2001 - BVerwG 1 C 33.00 - BVerwGE 114, 155 <157 f.>). Soweit sich der Bundesbeauftragte - außer auf die Antragsschrift vom 21. Januar 2002 und den Zulassungsbeschluss des Berufungsgerichts vom 3. April 2002 - hinsichtlich der Begründetheit der Klage auf die (ausreichenden) Darlegungen in der Klagebegründung vom 14. Juli 2000 bezogen hat, ist dies nicht zu beanstanden, zumal das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig verworfen hat. Aus der gesetzlichen Regelung in § 6 Abs. 2 AsylVfG ergibt sich ferner ohne weiteres, dass die Zulässigkeit einer Klage oder eines Rechtsmittels des Bundesbeauftragten nicht vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses im Einzelfall abhängig ist. Die Ausübung der nach außen uneingeschränkten Befugnis des Bundesbeauftragten kann vielmehr nur durch Weisung des Bundesministeriums des Innern gesteuert werden (§ 6 Abs. 4 AsylVfG; vgl. auch den erwähnten Beschluss des Senats vom 16. Mai 2001).

7 Schließlich können auch die Schriftsätze vom 29. Juni und 21. September 2005 nebst Anlagen der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

8 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.