Beschluss vom 22.01.2003 -
BVerwG 7 B 128.02ECLI:DE:BVerwG:2003:220103B7B128.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.01.2003 - 7 B 128.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:220103B7B128.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 128.02

  • VG Berlin - 25.06.2002 - AZ: VG 9 A 348.97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l und K l e y
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 3. Die Beigeladenen zu 1 und 2 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 148 274 € festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen die Rückübertragung eines Hausgrundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG -. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil die Eltern der Beigeladenen das Haus und das dafür verliehene dingliche Nutzungsrecht redlich erworben hätten und die Rückgabe daher nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG ausgeschlossen sei.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es ist weder der von ihnen nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügte Verfahrensmangel erkennbar (1.), noch weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.). Schließlich beruht das angegriffene Urteil auch
nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (3.).
1. Die Kläger sind der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, indem es in der mündlichen Verhandlung erstmalig den Hinweis erteilt habe, dass die Baumaßnahmen und insbesondere der Einbau einer neuen Heizung durch die Rechtsvorgänger der Beigeladenen es nach § 15 i.V.m. § 14 der Verordnung über die Lenkung des Wohnraums vom 14. September 1967 - WLVO - hätten rechtfertigen können, diesen in Abweichung von der Grundsatzbestimmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 WLVO das umstrittene Anwesen zuzuweisen. Ihren - der Kläger - Einwand, das Haus habe bei ihrem Auszug über eine funktionierende Heizung verfügt, habe das Gericht im Urteil nicht erwähnt, dort aber das angebliche Fehlen einer Heizung unterstellt.
Der gerügte Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Da die Kläger selbst einräumen, dass das Verwaltungsgericht sie in der mündlichen Verhandlung auf seine Auffassung zu der möglichen Anwendbarkeit der §§ 14, 15 WLVO hingewiesen habe, konnten sie insoweit durch das Urteil und dessen Begründung nicht in verfahrensfehlerhafter Weise überrascht worden sein. Wenn die Kläger der Auffassung waren, sich zu diesem für sie neuen rechtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend erklären zu können, hätten sie eine entsprechende Erklärungsfrist beantragen müssen. Da sie dies unterlassen haben, können sie dieses Versäumnis nicht im Nachhinein mit einer entsprechenden Verfahrensrüge wettmachen. Schließlich lässt auch der Umstand, dass das Verwaltungsgericht sich in dem angegriffenen Urteil nicht mit ihrem Einwand auseinander gesetzt hat, das Haus habe bei ihrem Auszug über eine funktionierende Heizung verfügt, nicht darauf schließen, dass es diesen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 5, 22 <24>). In den Entscheidungsgründen verarbeitet werden müssen allerdings die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen (BVerfGE 47, 182 <189>). Zu diesen gehörte der in der mündlichen Verhandlung erhobene Einwand der Kläger offenkundig nicht; denn maßgeblich für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts war nicht der Zustand des Hauses beim Auszug der Kläger, sondern dessen Zustand vor dem beabsichtigten Einzug der Rechtsvorgänger der Beigeladenen. Zu diesem Zeitpunkt, zwei bis drei Jahre später, bestand jedoch nach den Feststellungen, die das Verwaltungsgericht aufgrund der Aktenlage und den damit übereinstimmenden Angaben des Rechtsvorgängers der Beigeladenen getroffen hatte, ein erheblicher Reparaturbedarf, der sich durch den Hinweis auf eine Jahre zuvor bestehende Beheizbarkeit des Hauses von vornherein nicht widerlegen ließ.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Kläger halten für klärungsbedürftig, ob die §§ 14 und 15 WLVO es erlaubten, bei der Vergabe von Wohnungen von der grundlegenden Bestimmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 WLVO abzuweichen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Frage des revisiblen Rechts im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, welche die Zulassung der Revision rechtfertigen kann; denn sie beantwortet sich allein nach den herangezogenen Normen des DDR-Rechts und deren seinerzeitigen Handhabung durch die Staatsorgane.
3. Eine Zulassung der Revision kommt schließlich auch nicht wegen der gerügten Abweichungen von der Rechtsprechung des Senats nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Betracht.
Soweit sich die Divergenzrüge auf das Urteil des Senats vom 27. Januar 2000 - BVerwG 7 C 39.98 - (Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 2) bezieht, ist die geltend gemachte Abweichung nicht feststellbar. Zwar trifft es zu, dass dort § 10 Abs. 1 Satz 1 WLVO als Grundsatzbestimmung und die darin genannte Dringlichkeit des Wohnungsbedarfs als zentrales Kriterium der Wohnraumvergabe bezeichnet worden ist. Eine Aussage dazu, wie sich diese Bestimmung zu der vom Verwaltungsgericht zur Rechtfertigung der Wohnraumzuweisung herangezogenen Regelung des § 15 Abs. 1 WLVO verhält, enthält dieses Urteil jedoch nicht.
Soweit die Kläger eine Abweichung von mehreren Beschlüssen des Senats wegen der Verneinung einer so genannten Ausstrahlungswirkung der Wohnraumzuweisung auf den späteren Hauserwerb rügen, scheidet ein Erfolg der Beschwerde schon deswegen aus, weil es sich dabei um eine bloße Hilfsbegründung für den Fall handelt, dass diese Zuweisung abweichend von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts als ein den Rechtsvorgängern des Beigeladenen zurechenbarer Verstoß gegen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder eine ordnungsgemäße Verwaltungspraxis beurteilt wird. Das angegriffene Urteil kann daher nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf der vermeintlichen Abweichung beruhen. Abgesehen davon ergibt sich aus der von den Klägern herangezogenen Rechtsprechung des Senats, dass die Beurteilung der Wirkungen der Wohnraumzuweisung auf den Rechtserwerb von den Umständen des Einzelfalles abhängt und sich damit einer verallgemeinernden Betrachtung entzieht. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen einer manipulativ erwirkten Wohnungsvergabe und dem darauf folgenden Hauserwerb kann zwar die Anstößigkeit des Erwerbs indizieren. Eine Aussage dazu, unter welchen zeitlichen Voraussetzungen dieser enge zeitlicher Zusammenhang zu bejahen ist, hat der Senat aber nicht getroffen; er hat eine solche Verknüpfung lediglich bei einem Ablauf von mehr als 10 Jahren verneint. Davon weicht die dem angegriffenen Beschluss beigefügte Hilfsbegründung nicht ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.