Beschluss vom 21.09.2006 -
BVerwG 7 B 32.06ECLI:DE:BVerwG:2006:210906B7B32.06.0

Beschluss

BVerwG 7 B 32.06

  • VG Berlin - 15.12.2005 - AZ: VG 22 A 238.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und Guttenberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beigeladene begehrt die Rückübertragung des Grundstücks G. Ecke J.straße in B.

2 Im September 1989 beantragte das Zentrale Büro für internationalen Lizenzhandel die Inanspruchnahme des unter staatlicher Verwaltung stehenden Grundstücks nach dem Baulandgesetz für die Rekonstruktion des darauf befindlichen Bürogebäudes (nach vorangegangener städtebaulicher Bestätigung und Standortgenehmigung). Mit Beschluss des Rates des Stadtbezirks Mitte vom 25. Januar 1990 wurde der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen das Eigentum an dem vorgenannten Grundstück mit Wirkung vom 1. März 1990 entzogen.

3 Durch Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg vom 11. Juni 1998 erfolgte die Rückübertragung des Grundstücks an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen. Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG sei erfüllt, weil die Entschädigung nach dem Ertragswertverfahren berechnet worden sei. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

4 Das Verwaltungsgericht hat den Restitutionsbescheid vom 11. Juni 1998 und den Widerspruchsbescheid vom 10. April 2000 aufgehoben. Schädigungstatbestände nach § 1 VermG lägen nicht vor. Die festgesetzte Entschädigung entspreche einer solchen, wie sie auch früheren Bürgern der DDR zuerkannt worden sei; der Eigentumsverlust beruhe nicht auf unlauteren Machenschaften. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen.

5 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Das Urteil des Verwaltungsgerichts divergiert nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den benannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (1.). Auch weist die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.).

6 1. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, dass das angefochtene Urteil von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 1995 - BVerwG 7 B 223.95 -, vom 3. Juli 2001 - BVerwG 8 B 37.01 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 27) und vom 12. Dezember 2001 - BVerwG 8 C 10.01 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 32) abweicht. Das Beschwerdevorbringen genügt insoweit bereits nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Danach setzt die Divergenzrüge die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz der angegebenen höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50). Derartige voneinander abweichende Rechtssätze zeigt die Beschwerde nicht auf.

7 Zudem liegt eine Divergenz zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 1995 - die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen war an diesem Verfahren als Klägerin beteiligt - schon deshalb nicht vor, weil diesem Beschluss nicht der abstrakte Rechtssatz zu entnehmen ist, dass eine behördliche Verfügung, die einen Eigentumsentzug nach dem Baulandgesetz zum Gegenstand hat, bekanntgegeben sein muss, um Wirksamkeit zu erlangen. Das Bundesverwaltungsgericht befasst sich in dieser Entscheidung im Wesentlichen mit der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts ohne aber einen abstrakten Rechtssatz im vorbezeichneten Sinne aufzustellen. In den Entscheidungen vom 3. Juli 2001 und 12. Dezember 2001 stellt das Bundesverwaltungsgericht entscheidungstragend darauf ab, dass für den Zeitraum zwischen dem Rücktritt des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am 18. Oktober 1989 und der Verlautbarung des Schreibens des Staatssekretärs im Ministerium der Finanzen und Preise vom 26. Januar 1990 die Frage, ob formale Verstöße gegen die Vorschriften des Baulandgesetzes der DDR als manipulativ zu werten sind, nur unter umfassender Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles beantwortet werden kann und die Festlegung eines Stichtages - wie des 18. Oktober 1989 - insoweit nicht in Betracht kommt. Entgegen der Beschwerde versteht das Verwaltungsgericht den 26. Januar 1990 nicht gleichsam als Stichtag des Inhalts, dass zuvor eingetretene Verstöße gegen die Vorschriften des Baulandgesetzes über die Beteiligung von West-Eigentümern und über die Bekanntgabe von Enteignungsbeschlüssen an sie generell unbeachtlich sind. Das Gegenteil ist der Fall. Das Verwaltungsgericht hebt entscheidungstragend auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2001 ab und würdigt in entsprechender Subsumtion den Sachverhalt, ohne einen davon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufzustellen. Die Angriffe der Beschwerde richten sich insoweit lediglich gegen die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts, wonach im vorliegenden Einzelfall die Nichtbeteiligung des West-Eigentümers am Verfahren auch im Zeitraum vom 18. Oktober 1989 bis zum 26. Januar 1990 nicht den Vorwurf manipulativen Unrechts trägt. Damit kann die Zulassung der Revision wegen Divergenz aber nicht erreicht werden. Bloße Subsumtionsfehler oder Bewertungsunterschiede begründen keine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr, Beschluss vom 10. Juli 1995 - BVerwG 9 B 18.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 264; Beschluss vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 m.w.N.).

8 2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die abweichende Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12. Mai 2000 - BGH V ZR 47/99 - NJW 2000, 2419), wonach Enteignungen auf der Grundlage des Baulandgesetzes nach dem 18. Oktober 1989 gegenüber West-Eigentümern bei deren bewusster Nichtbeteiligung eine Vermögensschädigung nach § 1 Abs. 3 VermG darstellen. Diese Frage würde sich zum einen in einem Revisionsverfahren nicht stellen, da nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts „Anhaltspunkte dafür, dass die Nichtbeteiligung der Eigentümer (am Enteignungsverfahren) erfolgte, um den Zugriff auf das Grundstück erst zu ermöglichen, nicht ersichtlich sind“ und die staatlichen Stellen davon ausgingen, dass aufgrund der staatlichen Verwaltung deren Beteiligung nicht erforderlich ist (UA S. 13). Zum anderen fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage: Das Bundesverwaltungsgericht wies bereits in seinem Urteil vom 12. Dezember 2001 (a.a.O.) auf die Nichtentscheidungserheblichkeit der vom Bundesgerichtshof geäußerten Rechtsauffassung hin (ebenso Beschluss vom 3. Juli 2001 - BVerwG 8 B 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 27 = ZOV 2001, 360) und wiederholte seinerseits, dass die Frage, ob im Zeitraum vom 18. Oktober 1989 bis 26. Januar 1990 formale Verstöße gegen Vorschriften des Baulandgesetzes als manipulativ zu werten sind, nur unter umfassender Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles beantwortet werden kann. Ein darüber hinausgehender Klärungsbedarf ist auch angesichts der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Juli 2003 (BGH V ZR 362/02 - ZOV 2003, 322), die wiederum die Nichterheblichkeit der abweichenden Rechtsauffassung betont, nicht ersichtlich.

9 Die weitere, als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage, ob in der Spätphase der DDR eine Ertragswertentschädigung für vermietete, gewerblich genutzte Grundstücke als solche schon den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG erfüllt, lässt sich bereits aus dem Gesetz beantworten, ohne dass hierfür die Durchführung eines Revisionsverfahrens erforderlich wäre. Nach dem Gesetzeswortlaut erfasst § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG nur solche Enteignungen, bei denen gegenüber betroffenen West-Eigentümern in bewusster Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden einschlägigen Vorschriften Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung gelangten, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten. Eine diskriminierungsfreie Entschädigung, die allein wegen ihrer Berechnung nach dem Ertragswert in geringerem Umfang anfällt, stellt für sich genommen noch keine die Vermögensrückgabe rechtfertigende Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG dar (stRspr, Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - BVerwGE 95, 289 = Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 20; Urteil vom 12. Dezember 2001 - BVerwG 8 C 23.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 15).

10 Die weitere, als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage nach dem Vorrang des Vermögensgesetzes ist an Hand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu bejahen (Beschluss vom 3. Juli 2001, a.a.O.; Beschluss vom 19. Dezember 1994 - BVerwG 7 B 201.94 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 2). Die Frage, „ob Enteignungsmaßnahmen nach dem Baulandgesetz, die nicht bis zum 26. Januar 1990 bekannt gegeben wurden und/oder die Grundstücke erst mit Wirkung nach dem 26. Januar 1990 ohne Beteiligung des West-Eigentümers in Volkseigentum überführt bzw. überführen sollte, nicht grundsätzlich missbräuchliche sind“, würde sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Denn zum einen erfordert der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG grundsätzlich eine an den Einzelumständen orientierte Beurteilung und zum anderen reicht die einfache Rechtswidrigkeit eines Eigentumsentzugs unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit für die Annahme einer unlauteren Machenschaft nicht aus (stRspr, Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 8 C 3.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 28 m.w.N.). Kommt aber das Verwaltungsgericht unter Würdigung der mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen zu dem Ergebnis, dass trotz eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften des Baulandgesetzes durch die Nichtbeteiligung des West-Eigentümers von einem wirksamen Eigentumsentzug auszugehen ist, stellen sich Fragen nach der Zustellung des Enteignungsbeschlusses an den West-Eigentümer und nach dem Zeitpunkt des Eigentumsentzugs nicht mehr.

11 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und Abs. 4 GKG.