Verfahrensinformation

Die Kläger sind irakische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens. Sie erhielten wegen drohender Verfolgung durch das Regime von Saddam Hussein in Deutschland Flüchtlingsschutz nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz. Nach dem Sturz dieses Regimes widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2005 die Flüchtlingsanerkennungen und versagte zugleich subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz. Die dagegen gerichteten Klagen, mit denen die Kläger geltend machten, nunmehr als Sunniten im Irak verfolgt zu werden, hatten Erfolg. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Widerrufsbescheide aufgehoben, weil den Klägern wegen ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit bei einer Rückkehr in den Irak derzeit eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure drohe und eine inländische Fluchtalternative nicht bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision wegen Abweichung von seiner Rechtsprechung zu den Grundsätzen einer Gruppenverfolgung zugelassen. In einem der Fälle geht es nicht um den Widerruf, sondern um die erstmalige Anerkennung als Flüchtling.


Beschluss vom 01.04.2008 -
BVerwG 10 B 21.08ECLI:DE:BVerwG:2008:010408B10B21.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.04.2008 - 10 B 21.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:010408B10B21.08.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 21.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 14. November 2007 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.

2 Das Berufungsurteil weicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der Verfolgungsdichte bei einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung ab, wie die Beschwerde zutreffend rügt. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung ersichtlich den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass es bei der Gruppenverfolgung auf die Verfolgungsdichte, die aus der Relation der asylerheblichen Eingriffshandlungen zur Größe der betroffenen Bevölkerungsgruppe zu ermitteln ist, nicht ankommt (vgl. UA Rn. 40). Das Berufungsurteil setzt sich damit zu einem Rechtssatz der von der Beschwerde angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2007 - BVerwG 1 C 24.06 - NVwZ 2007, 590 und vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 in Widerspruch.

3 Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf dieser Abweichung.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 10 C 10.08 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Urteil vom 21.04.2009 -
BVerwG 10 C 10.08ECLI:DE:BVerwG:2009:210409U10C10.08.0

Urteil

BVerwG 10 C 10.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. November 2007 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

2 Er ist nach seinen Angaben in Kerkuk geboren und kurdischer Volkszugehöriger sunnitisch-islamischen Glaubens. Er reiste im Dezember 2000 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er u.a. an, er sei nach der Festnahme seines älteren Bruders wegen des Verdachts oppositioneller Betätigung Anfang März 2000 ebenfalls in das Visier der Sicherheitskräfte des Regimes geraten; da nach der Tötung eines Mitglieds der Baath-Partei in seinem Stadtteil im November 2000 Spezialkräfte die gesamte Gegend umstellt und auch im Haus seiner Eltern nach ihm gesucht hätten, habe er Angst gehabt, in die Hände der Regierung zu fallen, und sei deshalb geflohen. Mit Bescheid vom 21. Juni 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - die Gewährung von Asyl nach Art. 16a GG ab, stellte aber fest, dass bei dem Kläger allein wegen der Asylantragstellung im Ausland die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen. Mit Bescheid vom 7. März 2005 widerrief das Bundesamt wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

3 Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. April 2007 den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Dabei hat es sich auf eine dem Kläger drohende Gruppenverfolgung wegen dessen sunnitischen Glaubens gestützt.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 14. November 2007 die Berufung der Beklagten gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes sei rechtswidrig. Der Kläger habe zwar wegen seines Asylantrages und seiner illegalen Ausreise keine politischen Verfolgungsmaßnahmen mehr im Irak zu befürchten. Ihm drohe aber wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Der irakische Staat oder nichtstaatliche Herrschaftsorganisationen seien nicht in der Lage, dagegen Schutz zu gewähren. Die Sicherheitslage im Irak sei hochgradig instabil und durch Tausende terroristische Anschläge und fortgesetzte offene Kampfhandlungen geprägt. Auch wenn nach wie vor Soldaten der Koalitionsstreitkräfte, irakische Sicherheitskräfte, Politiker, Offizielle und Ausländer das Hauptanschlagsziel der Terroristen seien, trage die weitgehend ungeschützte irakische Zivilbevölkerung den Großteil der Opferlast. Die allgemeine Kriminalität sei stark angestiegen. Überfälle und Entführungen seien an der Tagesordnung. Im Irak marodierende Todesschwadronen, sowohl schiitischer als auch sunnitischer Extremisten, entführten Angehörige der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe und erschössen sie. Landesweit ereigneten sich konfessionell motivierte Verbrechen wie Ermordungen, Folterungen und Entführungen der jeweils anderen Glaubensrichtung. Staatlicher Schutz gegen derartige Übergriffe könne nicht erlangt werden. Im Laufe des Jahres 2006 habe die Gewalt im Irak einen deutlicher konfessionell ausgerichteten Zug angenommen. Wiederholt hätten sunnitische und schiitische Moscheen gebrannt. Straßenzüge in Bagdad und in weiteren größeren Städten wie Mosul, Tikrit und Kerkuk würden von Milizen kontrolliert. Im Oktober 2006 seien 90 sunnitische Araber in Balad umgebracht und Hunderte von Sunniten aus der Stadt gejagt worden.

5 Eine detaillierte Feststellung von Anzahl und Intensität aller solcher Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Sunniten (17 bis 22 % der irakischen Bevölkerung) sei ebenso wenig möglich wie eine Inbeziehungsetzung zur Größe der betroffenen Gruppe. Weder sei die genaue Zahl der derzeit noch im Irak lebenden sunnitischen Bevölkerung ermittelbar, noch sei es möglich, exakte Erkenntnisse über das zahlenmäßige Ausmaß der asylrelevanten Übergriffe zu gewinnen. Weitere Aufklärung komme nicht in Betracht, weil das Auswärtige Amt aufgrund der desolaten Sicherheitslage im Irak nicht in der Lage sei, Amtshilfeersuchen der Verwaltungsgerichte zu bearbeiten. Die vorhandenen Berichte über zahlreiche einzelne Vorfälle ließen jedoch darauf schließen, dass Sunniten allein wegen ihres Glaubens häufig Ziel von Übergriffen und Anschlägen würden. Die genaue Anzahl der seit dem Jahr 2003 im Irak getöteten Sunniten sei ebenso wenig feststellbar wie die Gesamtanzahl der im Irak getöteten Zivilisten. Nach Angaben der Vereinten Nationen seien im Lauf des Jahres 2006 über 34 452 Zivilisten eines gewaltsamen Todes gestorben, weitere 36 685 seien verwundet worden. Auch im ersten Halbjahr des Jahres 2007 seien monatlich Tausende von Zivilisten bei Feuergefechten, Bombenanschlägen, Selbstmordattentaten oder gezielten Morden ums Leben gekommen. Viele Entführte seien verschwunden. Immer wieder würden Leichen (auch von sunnitischen Gläubigen) gefunden. Die beigezogenen Erkenntnisquellen verdeutlichten eine zunehmende asylrelevante Verfolgung der Sunniten durch Schiiten, insbesondere in Anbetracht der Schwere der zu befürchtenden Übergriffe.

6 Dem Kläger sei auch keine innerstaatliche Fluchtalternative eröffnet. Ein Leben in den kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak sei zumutbar allenfalls Irakern möglich, die von dort stammten und deren Großfamilie/Sippe dort ansässig sei. Andere Personen aus dem Zentral- oder dem Südirak stießen dort auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Erlangung physischen Schutzes, beim Zugang zu Wohnraum und Beschäftigung sowie anderen Dienstleistungen. Sie könnten dort kein normales Leben ohne unzumutbare Härten führen. Eine Fluchtalternative gebe es auch nicht innerhalb des Zentralirak. Sunnitische Flüchtlinge liefen Gefahr, wenn sie sich in überwiegend sunnitischen Vierteln größerer Städte niederließen, mit dortigen sunnitischen Aufständischen in Konflikt zu geraten. Sunnitische Familien, die aus schiitischen Gebieten vertrieben worden seien, würden immer wieder verdächtigt, Spione zu sein und mit der irakischen Regierung oder den Koalitionstruppen zusammenzuarbeiten. Zudem fänden sie keine ausreichende Lebensgrundlage, wenn sie nicht über besondere Beziehungen zu den im Ausweichbereich lebenden Menschen verfügten.

7 Hiergegen richtet sich die vom Bundesverwaltungsgericht wegen Divergenz zugelassene Revision der Beklagten. Sie rügt im Wesentlichen, der Verwaltungsgerichtshof sei von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Feststellung einer Gruppenverfolgung abgewichen und habe insbesondere nicht die erforderlichen Feststellungen zur Verfolgungsdichte getroffen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt und unterstützt das Vorbringen der Revision.

II

9 Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsgericht hat die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Verwaltungsgericht mit einer Begründung bestätigt, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden kann, ob der angefochtene Widerrufsbescheid rechtmäßig ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10 1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Widerrufsentscheidung ist § 73 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798). Die in dieser Bekanntmachung berücksichtigten Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz -, die am 28. August 2007 in Kraft getreten sind, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu Recht der Berufungsentscheidung zugrunde gelegt. Nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist die Flüchtlingsanerkennung unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

11 2. Das Berufungsgericht hat zwar ohne Verstoß gegen Bundesrecht den Wegfall der ursprünglichen Anerkennungsvoraussetzungen infolge der grundlegenden politischen Veränderungen im Irak bejaht. Es hat aber ein dem Widerruf entgegenstehendes Drohen erneuter Verfolgung allein damit begründet, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak wegen seines sunnitischen Glaubens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wäre, gegen die weder der irakische Staat noch sonstige nichtstaatliche Herrschaftsorganisationen Schutz gewähren könnten. Dabei ist das Berufungsgericht von den Maßstäben abgewichen, die das Bundesverwaltungsgericht für die Prüfung und Feststellung einer solchen Verfolgung entwickelt hat. Denn es nimmt eine Gruppenverfolgung für Iraker islamisch-sunnitischen Glaubens an, ohne die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebotenen Feststellungen zur Verfolgungsdichte zu treffen. Außerdem ist seine Überzeugungsbildung sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht im vollen Umfang mit § 108 Abs. 1 VwGO vereinbar. Insbesondere enthält das angefochtene Urteil keine hinreichend nachvollziehbare Begründung für die Schlussfolgerung, dass sämtliche Übergriffe gegen Sunniten an deren Religionszugehörigkeit anknüpfen. Zur näheren Begründung, warum eine Abweichung von den für die Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäben und Verstöße gegen § 108 Abs. 1 VwGO vorliegen, verweist der Senat auf sein Urteil vom gleichen Tage in dem Verfahren BVerwG 10 C 11.08 , mit dem er ein Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben hat, dessen Gründe inhaltlich und weitgehend auch wörtlich mit den vorliegenden übereinstimmen, das allerdings nicht den Widerruf, sondern die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an einen Iraker sunnitisch-islamischen Glaubens betrifft.

12 Es kann offenbleiben, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach einer neueren, irakische Staatsangehörige betreffenden Erlasslage in anderen, ähnlich gelagerten Verfahren vom Widerruf der Flüchtlingsanerkennung absieht. Auch wenn dies der Fall sein sollte, kann der Kläger hieraus nichts zu seinen Gunsten herleiten. Bei dem mit der Klage angegriffenen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG handelt es sich nämlich um eine gebundene Entscheidung, auf die die aus Art. 3 GG abgeleiteten Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung bei Ermessensentscheidungen nicht übertragbar sind.

13 3. Das Berufungsurteil muss hiernach aufgehoben werden. Die Sache muss an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen werden, da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil keine abschließende Entscheidung darüber treffen kann, ob der angefochtene Widerrufsbescheid rechtmäßig ist. Bei der erneut vorzunehmenden Prüfung einer Gruppenverfolgung der Sunniten im Irak wird der Verwaltungsgerichtshof zusätzlich die inzwischen vorliegenden neuen Erkenntnismittel berücksichtigen und die erforderlichen Feststellungen über das Verfolgungsgeschehen, insbesondere die Verfolgungsdichte sowie das Ausmaß und die Reichweite der Verfolgungshandlungen, treffen müssen. Sollte das Berufungsgericht eine Verfolgungsgefahr in Teilen des Irak bejahen, wird es erneut zu prüfen haben, ob der Kläger unter Berücksichtigung der aktuellen Verhältnisse im Nordirak oder in mehrheitlich von Sunniten bewohnten Gebieten des Zentralirak internen Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 finden kann. Dabei wird es sich auch mit der Einschätzung anderer Oberverwaltungsgerichte zur Eignung dieser Gebiete als innerstaatlicher Fluchtalternative auseinandersetzen müssen. Außerdem wird das Berufungsgericht Feststellungen zu dem Aufenthalt des Klägers in Suleimania im August 2006 treffen und diese gegebenenfalls im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG oder im Rahmen der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative würdigen müssen.

14 Sollte sich der Widerruf als rechtmäßig erweisen, wird das Berufungsgericht über die Gewährung subsidiären Schutzes nach der Richtlinie 2004/83/EG (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), hilfsweise über die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG), zu entscheiden haben.

15 Das Berufungsgericht wird die von dem Senat mit Beschluss vom 7. Februar 2008 (BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europäisches Ausländer- und Asylrecht Nr. 19) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung nach Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG vorgelegten Fragen zur Auslegung der in der Richtlinie 2004/83/EG getroffenen Regelungen über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - einschließlich des zu beachtenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabes - zu berücksichtigen haben. Insoweit kann eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 94 VwGO (vgl. etwa Beschluss vom 1. April 2008 - BVerwG 10 C 14.07 -) bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in Betracht kommen.

16 Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.