Beschluss vom 20.12.2007 -
BVerwG 10 B 82.07ECLI:DE:BVerwG:2007:201207B10B82.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2007 - 10 B 82.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:201207B10B82.07.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 82.07

  • VGH Baden-Württemberg - 25.10.2006 - AZ: VGH A 3 S 46/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2007
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
beschlossen:

  1. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
  3. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Dem Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht entsprochen werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 Die auf die Revisionszulassungsgründe der Divergenz und eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.

3 1. Die Beschwerde rügt, das Urteil des Berufungsgerichts weiche vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2007 - BVerwG 1 C 24.06 - (NVwZ 2007, 590) ab. Das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil den Rechtssatz aufgestellt, dass ein Leben in der Illegalität, das den Betroffenen jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetze, keine zumutbare Fluchtalternative darstelle. Demgegenüber habe sich das Berufungsgericht in dem angegriffenen Urteil auf den Standpunkt gestellt, dass - wegen der grundsätzlichen Registrierungsmöglichkeit der Klägerin zu 2 in den als inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden Teilen der Russischen Föderation - auch der Kläger zu 1 ohne Registrierung ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könne. Er sei ersichtlich gesund und könne zumindest in der sog. Schattenwirtschaft eine Arbeit finden, die es ihm ermögliche, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob der Kläger zu 1 sich selbst registrieren lassen könne, komme es vorliegend nicht an. Das Berufungsgericht habe in die Prüfung also nicht die Frage einbezogen, ob der Kläger zu 1 jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung ausgesetzt sei. Damit habe es in Widerspruch zum Bundesverwaltungsgericht konkludent den Rechtssatz aufgestellt, dass es für die Annahme einer inländischen Fluchtalternative auf diese Umstände nicht ankomme. Diese gegensätzliche Betrachtungsweise sei auch entscheidungserheblich. Denn wenn das Berufungsgericht die Gefahr jederzeitiger polizeilicher Kontrollen und strafrechtlicher Sanktionen in sein Prüfprogramm einbezogen hätte, hätte es voraussichtlich eine inländische Fluchtalternative sowohl für den Kläger zu 1 als auch für die Klägerinnen zu 2 und 3 verneinen müssen.

4 Eine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist mit diesem Vorbringen nicht aufgezeigt und liegt auch nicht vor. Eine die Revision eröffnende Divergenz setzt voraus, dass ein inhaltlich bestimmter, die Berufungsentscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt wird, mit dem das Berufungsgericht einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten ebensolchen Rechtssatz widerspricht. Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil dem Berufungsurteil nicht - wie die Beschwerde meint - ein abstrakter Rechtssatz entnommen werden kann, der zu dem zitierten Satz aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2007 - BVerwG 1 C 24.06 - (a.a.O. Rn. 12) in Widerspruch stehen würde. In dem Berufungsurteil finden sich nämlich keinerlei Feststellungen dazu, dass der Kläger zu 1 unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen, insbesondere der Registrierungsmöglichkeit seiner über einen gültigen russischen Inlandspass verfügenden Ehefrau, jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung ausgesetzt wäre. Hiervon ist das Berufungsgericht bei seiner Würdigung der Erkenntnislage auch erkennbar nicht ausgegangen. Es hat vielmehr festgestellt, dass die Kläger in anderen Landesteilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens vor Verfolgung sicher sind und ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist (UA S. 16). Nach seinen Feststellungen wird es den Klägern jedenfalls auf der Grundlage der Registrierung der Klägerin zu 2 im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers zu 1 in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen (UA S. 18 f.). Einen Rechtssatz zur Frage des Bestehens einer zumutbaren Fluchtalternative im Falle „eines Lebens in der Illegalität, das den Betroffenen jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und strafrechtlicher Sanktionierung aussetze“, hat das Berufungsgericht damit weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt.

5 Im Übrigen ist das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob die Kläger am Ort der inländischen Fluchtalternative das wirtschaftliche Existenzminimum in zumutbarer Weise sichern können, von denselben Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesverwaltungsgericht in dem angeführten Urteil vom 1. Februar 2007 - BVerwG 1 C 24.06 - (a.a.O. Rn. 11) als Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung - unter anderem auch durch Bezugnahme auf den auch vom Berufungsgericht zitierten Beschluss vom 17. Mai 2006 - BVerwG 1 B 100.05 - (Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 328) - zu Grunde gelegt hat (vgl. UA S. 14 f.). Insofern befindet sich das Berufungsurteil in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

6 In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit ihrer Rüge gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Sachverhalts- und Beweiswürdigung, wonach die Kläger auf der Grundlage einer Registrierung der Klägerin zu 2 im Familienverbund voraussichtlich in der Lage sein werden, sich eine ausreichende Existenzgrundlage zu verschaffen. Damit kann sie auch unter dem Gesichtspunkt einer etwa noch in Betracht kommenden grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) eine Zulassung der Revision nicht erreichen. Denn sie wirft keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, die sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgericht, gegen die keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben werden (siehe unten zu 2.), in einem Revisionsverfahren stellen würde.

7 2. Der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist schon nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht sich nicht durch explizite Nachfragen z.B. beim Auswärtigen Amt, UNHCR, Memorial, der Gesellschaft für bedrohte Völker und anderer geeigneter Behörden und Organisationen über die Gefahr der polizeilichen Kontrollen und strafrechtlichen Sanktionen kundig gemacht hat.

8 Damit und mit dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist der behauptete Verfahrensverstoß nicht hinreichend bezeichnet. Dass die anwaltlich vertretenen Kläger im Berufungsverfahren einen Beweisantrag gestellt oder auf sonstige Weise auf eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hätten, macht die Beschwerde selbst nicht geltend. Sie zeigt auch nicht auf, dass sich dem Berufungsgericht ausnahmsweise gleichwohl die vermisste weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen. Insbesondere legt sie nicht dar, dass die vom Berufungsgericht eingeführten zahlreichen Erkenntnismittel, zu denen auch die von der Beschwerde angeführten Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom August 2005 und 2006 sowie die angeführten Stellungnahmen vom UNHCR und der Bericht von Memorial („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 - Juli 2006“) zählen, für eine sachkundige Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in der Russischen Föderation nicht ausreichten.

9 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.