Beschluss vom 20.12.2005 -
BVerwG 5 B 104.05ECLI:DE:BVerwG:2005:201205B5B104.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2005 - 5 B 104.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:201205B5B104.05.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 104.05

  • OVG Berlin-Brandenburg - 24.08.2005 - AZ: OVG 11 B 4.05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. August 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt ... beizuordnen, wird abgelehnt.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

"ob § 6 Absatz 2 BVFG n.F. deswegen nicht auf ein bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits anhängiges Verfahren Anwendung finden kann, weil es in einen bereits beendeten Sachverhalt eingreift und insofern gegen das Rückwirkungsverbot verstößt",
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie ist in der auch von dem Berufungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. Urteil vom 12. März 2002 - BVerwG 5 C 2.01 - BVerwGE 116, 114; Urteil vom 4. September 2003 - BVerwG 5 C 35.02 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 101) dahin geklärt, dass nach § 100a BVFG (i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus <Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG -> vom 30. August 2001 <BGBl I S. 2266>), der die Anwendung des nach dem 7. September 2001 geltenden Rechts auch auf Anträge nach § 15 Abs. 1 BVFG bestimmt und sich erkennbar auf die Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz bezieht, - jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der gesetzlichen Anforderungen an die deutschen Sprachkenntnisse - für die Prüfung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung vorliegen, von § 6 Abs. 2 BVFG n.F. auszugehen ist.
"Die Revision sieht in der Anwendung des neuen Rechts auf den vorliegenden Rechtsstreit einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Ob § 100 a BVFG n.F. mit Rücksicht darauf, dass die Bescheinigung nach § 15 BVFG keine konstitutive, sondern nur bestätigende Wirkung hat, der zu bestätigende Status als Spätaussiedler aber bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 4, 6 BVFG mit der Aufnahme in das Bundesgebiet entsteht (vgl. BVerwGE 99, 133 <138>), für Bescheinigungsbewerber, die bereits Jahre vor In-Kraft-Treten des Spätaussiedlerstatusgesetzes im Wege des Aufnahmeverfahrens - wenn auch nur (wie im Falle der Klägerin) einbezogen in den Aufnahmebescheid eines volksdeutschen Angehörigen - in das Bundesgebiet eingereist sind, Wirkungen entfaltet, die eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung bedeuten könnten, erscheint schon in Anbetracht der Rechtsfolgen, zu denen die Anwendung des neuen Rechts im jeweiligen Einzelfall führt, fraglich. Denn § 6 Abs. 2 BVFG n.F. stellt zwar insofern strengere Anforderungen an den Nachweis der deutschen Volkszugehörigkeit, als er nur noch die deutsche Sprache und nicht mehr Erziehung und Kultur als Bestätigungsmerkmale anerkennt und auf den Zeitpunkt der Aussiedlung als maßgeblichen Zeitpunkt abstellt. Andererseits dürften die Anforderungen des neuen Rechts an das Sprachvermögen in aller Regel für den Statusbewerber günstiger sein. Dies betrifft auch die Klägerin, deren Antrag auf eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG bisher erfolglos war, weil Deutsch nach den Feststellungen des Beklagten und des Verwaltungsgerichtshofs weder ihre Muttersprache noch ihre bevorzugte Umgangssprache ist.
Dem braucht jedoch nicht näher nachgegangen zu werden; denn auch wenn § 100 a BVFG n.F. in Einzelfällen echte Rückwirkung zu Lasten der jeweiligen Antragsteller entfalten sollte, sind hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben. Zwar bedarf es stets einer besonderen Rechtfertigung, wenn eine nachträgliche belastende Änderung der bereits eingetretenen Rechtsfolgen eines der Vergangenheit angehörigen Verhaltens ausnahmsweise zulässig sein soll (vgl. BVerfGE 72, 200 <257>). Als eine solche Rechtfertigung verfassungsgerichtlich anerkannt ist jedoch das Fehlen schutzbedürftigen Vertrauens in den Fortbestand der begünstigenden Rechtslage (vgl. BVerfGE 30, 367 <387>; 72, 200 <258, 260>; 88, 384 <404>; 95, 64 <86 f.>)."
"ob an ein Gegenbekenntnis zu einer anderen Nationalität die gleichen subjektiven Anforderungen zu stellen sind, wie dies von einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum erwartet wird, nämlich ein hinter dieser Erklärung stehendes subjektives Bewusstsein, zur anderen Nationalität zu gehören",
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Diese Frage wäre schon nicht entscheidungserheblich. Denn das von § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG (F. 2001) geforderte durchgängige positive Bekenntnis ausschließlich zum deutschen Volkstum schon vom Eintritt der Erklärungs- bzw. Bekenntnisfähigkeit an (BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - BVerwG 5 C 40.03 - BVerwGE 119, 192) durch die Klägerin wäre selbst dann nicht gegeben, wenn die nach dem sowjetischen Passrecht abgegebene Erklärung zu einer anderen als der deutschen Nationalität unbeachtlich wäre. Denn § 6 Abs. 2 BVFG n.F. stellt nicht auf das Fehlen eines Bekenntnisses zu einem nichtdeutschen Volkstum, sondern auf das erklärte (Satz 1) bzw. unterstellte (Satz 5) Bekenntnis zum deutschen Volkstum ab, durchgängig vom Eintritt der Erklärungs- bzw. Bekenntnisfähigkeit an bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete. Unabhängig davon ist in der auch von dem Berufungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. August 1995 - BVerwG 9 C 391.94 - BVerwGE 99, 133 <140>; Urteil vom 13. November 2003 - BVerwG 5 C 40.03 - BVerwGE 119, 192 <198>) geklärt, unter welchen Voraussetzungen in der Angabe einer anderen als der deutschen Volkszugehörigkeit gegenüber amtlichen Stellen ein die deutsche Volkszugehörigkeit ausschließendes Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum liegt, dass ein beachtliches Volkstumsbewusstsein nicht das Bewusstsein voraussetzt, zwischen der Zugehörigkeit zu unterschiedlichem Volkstum "wählen" zu können und dass von einem nicht freiwilligen Bekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum nur bei völligem Ausschluss der Freiheit der Willensentschließung ausgegangen werden kann (BVerwG, Beschluss vom 10. September 2001 - BVerwG 5 B 17.01 -).