Beschluss vom 20.11.2008 -
BVerwG 8 B 32.08ECLI:DE:BVerwG:2008:201108B8B32.08.0

Beschluss

BVerwG 8 B 32.08

  • VG Leipzig - 19.09.2007 - AZ: VG 1 K 1207/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. November 2008
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg
und Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 19. September 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 511 291,88 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägerinnen geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Die Grundsatzrüge greift nicht durch. Die Beschwerde unterstellt einen Sachverhalt, den das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat, um zu der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage:
„Liegt eine besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitliche Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auch dann vor, wenn ein Unternehmen, das vor dem 18. April 1947 nicht sequestriert war, danach enteignet wurde?“
zu kommen. Das Verwaltungsgericht hat unabhängig von der Feststellung, dass im Ergebnis das Enteignungsverbot nach Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 und die Untersagung weiterer Sequestrierungen von Eigentum nicht bei Unternehmen gilt (vgl. S. 21 UA), angenommen, dass das Unternehmen vor dem 18. April 1947 beschlagnahmt worden ist (vgl. S. 15 unten, S. 16 f. und S. 23 UA).

3 2. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

4 Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht nicht den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) verletzt.

5 a) Die Beschwerde rügt zu Unrecht im Zusammenhang mit dem Enteignungsverbot nach Nr. 5 SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948, dass das Verwaltungsgericht seine Überzeugung fehlerhaft gewonnen habe und seine Überzeugung nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens beruhe. Außerdem habe es wesentlichen Akteninhalt unberücksichtigt gelassen.

6 Um als Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erheblich sein zu können, kommt eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur in Betracht, wenn ein Mangel im Tatsachenbereich gesehen wird. Die Klägerinnen wenden sich jedoch nicht gegen die tatsächliche Grundlage für die innere Überzeugung des Gerichts, sondern gegen die Würdigung der vorgenommenen Tatsachenfeststellung. Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist auf Grund des § 137 Abs. 2 VwGO vom Revisionsgericht nur auf die Verletzung allgemeinverbindlicher Beweisgrundsätze zu überprüfen, weil sie dem sachlichen Recht zuzuordnen ist. Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes läge nur vor, wenn gegen Denkgesetze verstoßen worden wäre und ein aus Gründen der Logik schlechthin unmöglicher Schluss gezogen worden wäre (Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37). Davon kann vorliegend keine Rede sein.

7 Das Verwaltungsgericht hat das Schreiben des Oberregierungsrats T. vom 22. April 1948 an das Ministerium für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung, wonach eine Sequestrierung auf Grund des Befehls der SMAD Nr. 124 nicht vorgenommen worden sei und die Firma noch in Privatbesitz sei, dahingehend gewürdigt, dass diese Aussagen im Hinblick auf die Bestätigung der Enteignung durch den SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 und die Tatsache, dass das Unternehmen unter der Leitung der bisherigen Inhaber weiterzuleiten war, nicht belegen, die Enteignung sei nicht auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgt. Dieser Schluss verstößt weder gegen Denkgesetze noch ist er aus Gründen der Logik schlechterdings unmöglich.

8 Was den Betriebsprüfungsbericht der OFD Hamburg vom 9. Mai 1952 betrifft, ist das Verwaltungsgericht zu der Überzeugung gelangt, aus diesem Bericht folge lediglich, dass sich die Ausführungen allein auf die Ermittlungen des Betriebsprüfers in Hamburg bezogen hätten. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang gesehen, dass nach dem Kabinettsbeschluss vom 3. März 1948 die Firma nicht zur Enteignung vorgesehen gewesen sei. Diesem Beschluss sei jedoch nicht Folge geleistet worden. Die Beschwerde hat dieser Überzeugung nichts entgegengesetzt, was eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes im beschriebenen Sinne beleben könnte.

9 Auch der Vortrag der Beschwerde, die Hinweise des Gerichts auf den „Prüfer-Besuch“, den Beschluss der Präsidialkommission und der „Liste, die für den Volksentscheid aufgestellt worden sei“, stellten schon für sich genommen keine Belege dafür dar, dass das Unternehmen bereits sequestriert worden sei, vermag keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz zu begründen. Er blendet einmal aus, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Gesamtschau Indizien gesammelt hat, die für seine Überzeugungsbildung mit maßgebend waren. Zum anderen will die Beschwerde die richterliche Überzeugungsbildung durch ihre eigene Wertung der Indizien ersetzen. Ebenso verhält es sich mit den Einwänden zum Inhalt des Antwortschreibens des russischen Staatsarchivs (UA S. 28 1. Abs.) und dem Schreiben der Landesregierung vom 3. März 1948 an den Obersten Chef der SMAD, aus dem das Verwaltungsgericht eine verfehlte Schlussfolgerung gezogen haben soll.

10 Das Verwaltungsgericht hat auch nicht den Sachvortrag der Klägerinnen übergangen, dass das Unternehmen F. Mo. M. OHG nicht in der Liste aufgeführt sei, die nach dem Volksentscheidgesetz vom 30. Juni 1946 aufgestellt worden sei. Das Verwaltungsgericht ist ausdrücklich in der angefochtenen Entscheidung (vgl. S. 22 3.1.2 UA) auf diesen Punkt eingegangen.

11 Auch der Einwand der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe die Überzeugung verfahrensfehlerhaft gebildet, dass das Unternehmen auf einer Liste gestanden habe, die von der SMAD nach Nr. 1 des Befehls Nr. 64 bestätigt worden sei, bleibt erfolglos. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist das streitbefangene Unternehmen in der Liste A des Landes Sachsen vom 30. März 1948 des Kreises Leipzig-Land unter Nr. ... aufgeführt (vgl. 15/16 UA). Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts unter Hinweis auf das Schreiben des Sächsischen Staatsarchivs vom 16. Dezember 1991, wonach es sich bei den in Rede stehenden Listen inhaltlich um die endgültigen Listen handele, gleichgültig ob von der Besatzungsmacht unterschriebene oder gesiegelte Exemplare dieser Listen existierten oder nicht, ist denkgesetzlich möglich, zumal das Verwaltungsgericht keine Anhaltspunkte gesehen hat, dass diese Listen nochmals geändert worden seien.

12 Im Übrigen trifft es nicht zu, dass das Verwaltungsgericht den Beweisantrag lt. Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 20. Juli 2001 nicht verbeschieden hat. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass das Beweismittel bereits ausgeschöpft ist und insofern Bezug genommen auf die Auskunft des Staatlichen Archivs der Russischen Föderation vom 8. April 2004 zum Verfahren 1 K 1208/02 und dem dieser Auskunft zugrundeliegenden Beweisbeschluss zum Verfahren 1 K 1208/07 vom 17. Dezember 2002. Dementsprechend hat sich das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auch inhaltlich mit dem Schreiben der ZDK vom 11. März 1948 auseinander gesetzt und im Hinblick darauf entschieden, dass die Behauptung der Klägerinnen, das streitbefangene Unternehmen sei ausweislich des Schreibens der ZDK vom 11. März 1948 von der Liste A heruntergenommen worden, nicht durch das Schreiben vom 11. März 1948 gedeckt sei.

13 Was den Beweisbeschluss vom 9. November 2005 anbelangt, der durch die Auskunft der Russischen Föderation vom 1. Februar 2007 umgesetzt worden ist, hat das Verwaltungsgericht festgestellt, die Auskunft verhalte sich insgesamt dazu, dass keine Angaben über die Inhaber der Firma F. Mo. M. oder F. Mo. M. OHG oder der Firma Mo. M. oder der Firma Mo. M. OHG mit Sitz in W. bei Leipzig zu finden gewesen seien. Nach der für die Beurteilung des Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts musste sich dem Verwaltungsgericht über die eingeholten Beweise keine weitere Beweisaufnahme aufdrängen.

14 Soweit die Beschwerde rügt, dass das Verwaltungsgericht gegen anerkannte Auslegungsregeln verstoßen habe, indem es Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 für Unternehmensvermögen nicht für einschlägig erachtet (S. 21 UA), hat diese Rüge schon deswegen keinen Erfolg, weil die Überlegung des Verwaltungsgerichts nach dem festgestellten Sachverhalt nicht entscheidungstragend ist. Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts unter Pkt. 3.1.2 zufolge wurde das Unternehmen vor dem 17. April 1948 sequestriert, so dass die Frage, ob ein generelles Enteignungsverbot in Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 zu Gunsten der Klägerinnen greift, nicht entscheidungserheblich war.

15 b) Auch die im Zusammenhang mit einem konkreten Enteignungsverbot durch die SMAD vorgebrachte Rüge, das Verwaltungsgericht habe sich seine Überzeugung ohne erforderliche Sachverhaltsaufklärung fehlerhaft gebildet, greift nicht durch. Von seinem rechtlichen Standpunkt aus, hat das Verwaltungsgericht die als wahr unterstellten Behauptungen, für die Frau E. als Zeugin angeboten wurde, nicht als entscheidungserheblich eingestuft. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Zurechnungszusammenhang zwischen Enteignung und dem Einverständnis der Besatzungsmacht sei nicht unterbrochen, wenn die Gespräche der Zeugin E. vor dem 17. April 1948 stattgefunden hätten, weil der tatsächliche Geschehensablauf - Bestätigung der Liste A, auf der das streitbefangene Unternehmen als enteignet geführt wurde durch SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 - dem widerspreche, ist nicht verfahrensfehlerhaft. Diese Folgerung ist denkgesetzlich möglich. Soweit die Gespräche der Frau E. nach dem 17. April 1948 geführt worden sein sollen, hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ein Schutzversprechen wegen der zu diesem Zeitpunkt bereits durchgeführten Enteignung ein aktives Handeln der Besatzungsmacht zur Voraussetzung, das nur in der Form der Rückgängigmachung der Enteignung möglich gewesen wäre. Hierfür hat das Verwaltungsgericht keinen Sachverhalt festgestellt. Die Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. September 2003 - BVerwG 8 C 27.02 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 25). Die Behauptung, dass das Verwaltungsgericht mit der Enteignung nur den Zeitraum nach dem 18. Oktober 1948 gemeint haben könnte, ist in Anbetracht der ausführlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar.

16 Von einer weiteren Begründung des Beschlusses sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbs. VwGO).

17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO.

18 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13, 14 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG.