Beschluss vom 20.10.2011 -
BVerwG 9 B 60.11ECLI:DE:BVerwG:2011:201011B9B60.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.10.2011 - 9 B 60.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:201011B9B60.11.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 60.11

  • VGH Baden-Württemberg - 05.05.2011 - AZ: VGH 2 S 2591/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Oktober 2011
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kläger jeweils zur Hälfte.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 34 523,56 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

2 1. Eine Zulassung der Revision wegen eines von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) scheidet aus.

3 Die Beschwerde rügt zum einen, der Verwaltungsgerichtshof habe seine gerichtliche Aufklärungspflicht verletzt (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil er den Vortrag der Beklagten ungeprüft übernommen habe, wonach die Erschließungsstraße vor Durchführung der abgerechneten Erschließungsmaßnahme wegen Fehlens einer Straßenentwässerung noch nicht endgültig hergestellt gewesen sei. Dies genügt nicht den Darlegungsanforderungen an eine Aufklärungsrüge (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof durch Stellung eines Beweisantrags auf die vermisste weitergehende Sachaufklärung hingewirkt haben. Ebenso wenig wird dargelegt, dass und in welcher Richtung sich dem Verwaltungsgerichtshof - ausgehend von seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung im Sinne der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten (UA S. 7) - eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. zu diesen Anforderungen den Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 14 f.).

4 Soweit die Beschwerde weiter rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe den Vortrag der Kläger zu einem genehmigten Entwässerungsplan nicht zur Kenntnis genommen, wird damit ein Gehörsverstoß (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dargetan. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht nicht, jedwedes Vorbringen eines Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Es ist ihm nicht verwehrt, unerhebliches Vorbringen ganz oder teilweise aus Gründen des prozessualen oder materiellen Rechts unberücksichtigt zu lassen (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <238> = Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 25 S. 12). Dass und warum das Vorliegen eines genehmigten Entwässerungsplans für das allein nach den Herstellungsmerkmalen gemäß der Erschließungsbeitragssatzung zu beurteilende Erfordernis der endgültigen Herstellung der Straßenentwässerung entscheidungsrelevant sein soll, wird von der Beschwerde auch nicht ansatzweise dargetan.

5 2. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise dargetan (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dies erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts sowie die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Rechtsfrage bestehen soll (vgl. den Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.). Daran fehlt es. Die Beschwerde formuliert schon keine abstrakte, fallübergreifende Frage, sondern fragt lediglich streitfallbezogen danach, „ob die vom Verwaltungsgerichtshof zitierte Bestimmung des § 171 Abs. 3 a) Satz 1 AO hier Anwendung findet“ und „ob im vorliegenden Fall die Regeln über das Widerspruchsverfahren vorgehen oder die Bestimmung der Abgabenordnung“. Die Beschwerde erschöpft sich damit in einer Kritik bzw. Infragestellung der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof. Insoweit besteht - entgegen der Ansicht der Beschwerde - kein Widerspruch darin, dass der Verwaltungsgerichtshof einerseits „noch die Vorschriften des Baugesetzbuches - und nicht die §§ 33 ff. KAG -“ für anwendbar erklärt, andererseits - über § 3 KAG BW - die erwähnten Vorschriften der Abgabenordnung heranzieht. Die erstgenannte Aussage bezieht sich auf das für Grund und Höhe der Erschließungsbeitragsforderung (Inhalt, Schuldner, Entstehung, Fälligkeit und Billigkeitsgründe) maßgebliche materielle Recht, während sich das Schicksal der Beitragsforderung im Übrigen nach dem Landeskommunalabgabenrecht richtet, das seinerseits hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens, also auch hinsichtlich der Konkretisierung der Beitragsforderung durch einen Bescheid (einschließlich Rücknahme und Verjährung) in erster Linie auf die Abgabenordnung verweist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 2 Rn. 15 ff., § 24 Rn. 28 und 40). Infolge dessen hat der Verwaltungsgerichtshof die Frage, ob die Beitragsforderung im Streitfall verjährt war, gemäß den über § 3 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KAG BW entsprechend anwendbaren Vorschriften von § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 1, § 171 Abs. 3a Satz 1 AO beurteilt. Aufgrund dieses landesrechtlichen Anwendungsbefehls werden diese (an sich bundesrechtlichen) Vorschriften der Abgabenordnung in das Landesrecht inkorporiert und teilen damit dessen Rechtscharakter (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 Rn. 9). Dasselbe gilt für die über § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG BW zur Anwendung gelangende Vorschrift des § 130 Abs. 1 AO über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes. Diesbezügliche Fragen betreffen daher nicht revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

6 3. Soweit die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts missachtet, die sie lediglich mit einem unzutreffenden Aktenzeichen („BVerwG B 88/41“) bezeichnet, ist damit der Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) schon deshalb nicht hinreichend dargetan, weil es an der Gegenüberstellung von sich widersprechenden abstrakten Rechtssätzen einerseits des Verwaltungsgerichtshofs, andererseits des Bundesverwaltungsgerichts in Anwendung ein und derselben Norm des revisiblen Rechts fehlt (vgl. auch zu diesem Erfordernis den Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.).

7 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.