Beschluss vom 20.10.2005 -
BVerwG 5 B 20.05ECLI:DE:BVerwG:2005:201005B5B20.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.10.2005 - 5 B 20.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:201005B5B20.05.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 20.05

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 22.11.2004 - AZ: OVG 12 A 3652/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. März 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1 Die Beschwerde der Kläger auf Zulassung der Revision ist dahin begründet, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).

2 Ausgehend davon, "dass im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Besitz von (gebrauchten) Fahrrädern bzw. die Möglichkeit, solche zu benutzen, zum notwendigen Lebensunterhalt der Kläger gehörte", hat das Berufungsgericht entschieden, sie hätten gleichwohl keinen Anspruch auf Bewilligung einer einmaligen Leistung zur Beschaffung von Fahrrädern, weil sie nicht nachvollziehbar dargelegt hätten, dass bei ihnen seinerzeit - im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, der nach Auffasung des Berufungsgerichts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides des Beklagten maßgebend war - ein entsprechender Bedarf bestanden habe, zu dessen Deckung Leistungen der Sozialhilfe erforderlich gewesen seien.

3 Soweit das Berufungsgericht hierfür als Begründung ausführt, es falle bereits auf, dass der Vater der Kläger sowohl zur Begründung des Antrags auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe vom 18. Januar 2001 als auch zur Begründung des Widerspruchs vom 5. April 2001 nicht in erster Linie einen eigenen Bedarf der Kläger geltend gemacht, sondern lediglich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Münster Bezug genommen habe, kann dahinstehen, ob den Klägern damit in ausreichendem Umfang rechtliches Gehör gewährt worden ist und ihr Sachvortrag zum Hilfebedarf zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung erwogen worden ist.

4 Ausgehend vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Ablehnung der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2001 maßgebend sei, ist es jedenfalls verfahrensfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung "entscheidend" damit begründet, dass der Vortrag des Vaters der Kläger, er habe ihnen im Juni/Juli 2001 mit geliehenem Geld jeweils ein Fahrrad gekauft, offensichtlich nicht der Wahrheit entspreche. Abgesehen davon, dass widersprüchlicher Vortrag des Vaters der Kläger zum Kauf von Fahrrädern und die Nichtvorlage von Kaufbelegen zwar die Annahme rechtfertigen, ein Kauf sei nicht nachgewiesen, nicht aber auch die Annahme, die Behauptung des (nicht nachgewiesenen) Kaufs sei offensichtlich unwahr, kann aus späterem - glaubhaften oder nicht glaubhaften - Vortrag zu einem behaupteten Fahrradkauf im Juni/Juli 2001 nicht geschlossen werden, Ende April 2001 - dieser Zeitpunkt ist nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts maßgebend - habe ein sozialhilferechtlich anzuerkennender Bedarf nicht bestanden oder seien Fahrräder gar nicht begehrt worden (Berufungsgericht: Es sei nicht darum gegangen, in den Besitz von Fahrrädern zu gelangen).

5 Von der Einschätzung im Berufungsurteil (S. 15 Abs. 4) ausgehend, "dass im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Besitz von (gebrauchten) Fahrrädern bzw. die Möglichkeit, solche zu benutzen, zum notwendigen Lebensunterhalt der Kläger gehörte", finden sich im Urteil keine auf diesen Zeitpunkt Ende April 2001 bezogenen Tatsachenfeststellungen, die einen solchen Bedarf in Frage stellen. Zum einen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, es sei sozialhilferechtlich nicht gerechtfertigt, die Entscheidung eines Hilfebedürftigen für ein bestimmtes Fortbewegungsmittel (Fahrrad) daraufhin zu überprüfen, ob sie vernünftig und sinnvoll ist, und ihn etwa darauf zu verweisen, er könne ebenso gut zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen (Berufungsurteil S. 14 Abs. 3). Zum anderen haben die Kläger im Klageverfahren dargelegt, sie benötigten die Fahrräder zu Fahrten zu Freizeitaktivitäten, z.B. ins Schwimmbad, zu Freunden und in die Schule. Zweifel an ihrer grundsätzlichen Sozialhilfebedürftigkeit bestanden nicht.