Beschluss vom 20.09.2006 -
BVerwG 1 WB 33.06ECLI:DE:BVerwG:2006:200906B1WB33.06.0

Leitsätze:

-

Gegen die aus seiner Sicht verzögerte Behandlung einer Wehrbeschwerde oder die

verzögerte Vorlage eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung ist ein Soldat dadurch

ausreichend gesetzlich geschützt, dass er Untätigkeitsbeschwerde einlegen oder beim

Wehrdienstgericht einen Untätigkeitsantrag stellen kann.

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  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.09.2006 - 1 WB 33.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:200906B1WB33.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 33.06

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze als Vorsitzenden,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst Harrendorf und
Major Leisau
als ehrenamtliche Richter
am 20. September 2006 beschlossen:

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I

1 Der 1964 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des 31. Januar 2023 enden wird. Zum Oberstleutnant wurde er am 10. April 2000 ernannt. Vom 3. November 2003 bis zum 24. Oktober 2004 war er auf dem Dienstposten G... beim Deutschen Anteil Headquarters S..., USA, eingesetzt. Seit dem 25. Oktober 2004 wird er beim Streitkräfteamt (SKA) in Bonn verwendet.

2 Die Rückversetzung des Antragstellers aus dem Ausland zum S... hatte das Personalamt der Bundeswehr (PersABw) mit Verfügung vom 15. Oktober 2004 angeordnet; zuvor hatte der Amtschef S... wegen des Vorwurfs eines Ladendiebstahls in einer US-amerikanischen Liegenschaft mit Verfügung vom 10. September 2004 gegen den Antragsteller ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Beschwerde des Antragsstellers gegen die Versetzungsverfügung wies der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) - PSZ I 7 - mit Bescheid vom 25. Januar 2006 zurück.

3 Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Februar 2006 legte der BMVg - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 5. Mai 2006 dem Senat vor; hier ging der Antrag am 10. Mai 2006 ein.

4 Mit Schreiben vom 16. Mai 2006 legte der Antragsteller „Beschwerde, zugleich Meldung wegen des Verdachts auf Wehrstraftat nach § 35 WStG (Unterdrücken von Beschwerden)“ ein und machte geltend, mehr als drei Monate nach Vorlage seines Antrages vom 10. Februar 2006 sei dieser noch immer nicht an die zur Entscheidung berufene Stelle weitergeleitet worden. Sein vorrangiges Anliegen sei die unverzügliche Vorlage dieses Antrages bei den Wehrdienstsenaten. Darüber hinaus lege er Wert auf die Aufklärung der Umstände, welche zu der geschilderten mehr als dreimonatigen Verzögerung geführt hätten.

5 Der Unterabteilungsleiter (UAL) PSZ I im Bundesministerium der Verteidigung wertete diese Beschwerde als Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Angehörige der Unterabteilung PSZ I und wies sie mit Bescheid vom 1. Juni 2006 zurück.

6 Gegen diese ihm am 9. Juni 2006 eröffnete Entscheidung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 19. Juni 2006 „Beschwerde gemäß § 1 Wehrbeschwerdeordnung“ ein und rügte, seine Erstbeschwerde vom 16. Mai 2006 sei zu Unrecht als Dienstaufsichtsbeschwerde bewertet und beschieden worden. Damit werde ihm der Weg zur weiteren Beschwerde abgeschnitten. Er habe eine Behandlung seines Vorbringens als Wehrbeschwerde nach § 1 WBO angestrebt. Er verwahre sich mit Entschiedenheit gegen einzelne verzerrende, sinnentstellende Darstellungen im Beschwerdebescheid. Er habe sich nicht gegen einzelne Bearbeitungsschritte, sondern gegen die Länge des etwa vierteljährigen Bearbeitungszeitraums insgesamt gewandt.

7 Der BMVg - PSZ I 7 - hat die Beschwerden vom 16. Mai und 19. Juni 2006 mit seiner Stellungnahme vom 10. Juli 2006 dem Senat vorgelegt.

8 Er beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

9 Der Antrag vom 16. Mai 2006 sei wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses offensichtlich unzulässig. Bereits am 10. Mai 2006, also noch vor Abfassung und Einlegung dieses Rechtsbehelfs, habe der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Februar 2006 dem Senat vorgelegen. Sofern der BMVg einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht innerhalb eines Monats beim Bundesverwaltungsgericht - Wehrdienstsenat - vorlege, sei der jeweils betroffene Soldat ausreichend dadurch geschützt, dass er diesen Antrag dann auch unmittelbar beim Wehrdienstgericht einlegen könne; insofern sei er nicht auf eine Vorlage durch den BMVg angewiesen. Zweck der Rechtsvorschriften zur Untätigkeit sei es darüber hinaus grundsätzlich nur, in der Sache weiterzukommen. Für die gerichtliche Beurteilung der Frage, ob und warum eine Verzögerung bei der Bearbeitung vorgelegen habe, bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Diese Bewertung sei grundsätzlich einer dienstaufsichtlichen Prüfung vorbehalten. Deshalb sei dem UAL PSZ I auch die Bescheidung des Rechtsbehelfs vom 16. Mai 2006 als Dienstaufsichtsbeschwerde vorgeschlagen worden. Das Schreiben des Antragstellers vom 19. Juni 2006 stelle weiteren Sachvortrag zu seinem Rechtsbehelf vom 16. Mai 2006 dar.

10 Der Senat hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Februar 2006 durch Beschluss vom 27. Juli 2006 zurückgewiesen (BVerwG 1 WB 22.06 ).

11 Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des BMVg - PSZ I 7 - 113/06 und 426/06 -, die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis C, sowie die Gerichtsakte BVerwG 1 WB 22.06 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

12 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.

13 Soweit der Antragsteller mit seiner „Beschwerde“ vom 16. Mai 2006 die „unverzügliche Vorlage“ seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Februar 2006 (durch den BMVg - PSZ I 7 -) beim 1. Wehrdienstsenat beantragt, ist sein Rechtsbehelf unzulässig.

14 Der Antrag vom 10. Februar 2006 war dem Senat vom BMVg - PSZ I 7 - mit dessen Stellungnahme vom 5. Mai 2006 vorgelegt worden und hier am 10. Mai 2006 eingegangen. Damit bestand für den Rechtsbehelf vom 16. Mai 2006 schon bei dessen Einlegung kein Rechtsschutzbedürfnis; zugleich fehlt dem Antragsteller insoweit die erforderliche Beschwer.

15 Auch das Rechtsschutzziel der Beschwerde vom 16. Mai 2006, die „Aufklärung der Umstände, welche zu der geschilderten mehr als dreimonatigen Verzögerung geführt haben“, ist unzulässig.

16 Damit beanstandet der Antragsteller in der Sache die Art und Weise der Behandlung einer Wehrbeschwerde durch den BMVg. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt indessen die Art und Weise der Behandlung von Wehrbeschwerden keine selbständig anfechtbare Maßnahme im Sinne der Wehrbeschwerdeordnung dar (vgl. Beschlüsse vom 19. Januar 1994 - BVerwG 1 WB 27.93 - und vom 24. Mai 2000 - BVerwG 1 WB 3.00 - jeweils m.w.N.). Gegen die aus seiner Sicht verzögerte Bearbeitung einer Wehrbeschwerde oder die verzögerte Vorlage seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung ist ein Soldat in ausreichendem Maße gesetzlich geschützt. Er kann Untätigkeitsbeschwerde nach § 1 Abs. 2, § 16 Abs. 2 WBO einlegen. Wird ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 17 Abs. 4 Satz 3 (i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1) WBO dem zuständigen Gericht nicht innerhalb eines Monats vorgelegt, hat der jeweilige Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO die Möglichkeit, seinen Antrag als Untätigkeitsantrag selbst bei Gericht anzubringen (Beschlüsse vom 19. Januar 1994 - BVerwG 1 WB 27.93 - und vom 24. Mai 2000 - BVerwG 1 WB 3.00 - jeweils m.w.N.). Der Antragsteller hätte einen Monat nach seinem Antrag vom 10. Februar 2006 diesen Untätigkeitsantrag stellen könne, hat davon jedoch abgesehen. Bei einer derartigen Konstellation hat der betroffene Soldat kein Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte gerichtliche Feststellung, dass die Vorlage an das zuständige Wehrdienstgericht ohne sachlichen Grund verzögert worden ist (Beschlüsse vom 19. Januar 1994 - BVerwG 1 WB 27.93 - und vom 24. Mai 2000 - BVerwG 1 WB 3.00 -).

17 Lediglich klarstellend weist der Senat darauf hin, dass der Hinweis des Antragstellers auf § 35 WStG ebenfalls kein Rechtsschutzbedürfnis für den Rechtsbehelf vom 16. Mai 2006 eröffnet. Für die isolierte gerichtliche Entscheidung, dass der Tatbestand einer Beschwerdeunterdrückung erfüllt sei, besteht im Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung kein Rechtsschutzbedürfnis; die Feststellung des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 35 WStG obliegt den Strafgerichten (Beschlüsse vom 27. April 1977 - BVerwG 1 WB 10.76 - NZWehrr 1978, 101 und vom 25. Februar 1981 - BVerwG 1 WB 13.80 - BVerwGE 73, 158 = NZWehrr 1981, 149; vgl. ferner Böttcher/Dau, WBO, 4. Aufl., § 17 Rn. 42).

18 Die „Beschwerde“ des Antragstellers vom 19. Juni 2006 gegen den dienstaufsichtlichen Beschwerdebescheid des UAL PSZ I im Bundesministerium der Verteidigung vom 1. Juni 2006 ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung ebenfalls unzulässig.

19 Die in diesem Bescheid vollzogene dienstaufsichtliche Prüfung und Erledigung betrifft keine Rechte des Antragstellers, die von § 17 Abs 1 WBO geschützt sind. Die Pflicht zur Dienstaufsicht ist eine Überprüfungs- und gegebenenfalls zugleich Eingriffspflicht, deren Beachtung von den zuständigen Stellen der Bundeswehr zu überwachen ist; sie dient nicht der Wahrung der subjektiven Rechte eines Beschwerdeführers. Das Ergebnis dienstaufsichtlicher Prüfung kann deshalb nicht Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung sein (Böttcher/Dau, a.a.O., § 12 Rn. 71; vgl. auch Beschlüsse vom 6. Februar 1979 - BVerwG 1 WB 44.78 - BVerwGE 63, 189 <190> = NZWehrr 1979, 179 und vom 25. März 1999 - BVerwG 1 WB 59.98 -).

20 Unzulässig ist der Rechtsbehelf des Antragstellers vom 19. Juni 2006 auch insoweit, als er die Behandlung seiner Beschwerde vom 16. Mai 2006 als Dienstaufsichtsbeschwerde beanstandet. Damit rügt der Antragsteller das Verhalten militärischer Vorgesetzter innerhalb des vorgerichtlichen Wehrbeschwerdeverfahrens. In diesem Stadium des Verfahrens stehen sich die am Verfahren beteiligten Soldaten nicht im Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnis gegenüber. Der zuständige militärische Vorgesetzte kann, soweit er zur Erfüllung der ihm durch die Wehrbeschwerdeordnung auferlegten verfahrensbezogenen Pflichten handeln muss, weder dienstliche Maßnahmen im Sinne des § 17 Abs. 3 WBO treffen noch solche unterlassen. Deshalb können Erklärungen oder Handlungen eines am Verfahren beteiligten Vorgesetzten nicht zum Gegenstand eines selbständigen gerichtlichen Antragsverfahrens gemacht werden (stRspr, vgl. Beschluss 24. Januar 1995 - BVerwG 1 WB 75.94 - m.w.N.). Zu den vorbezeichneten Verfahrenspflichten gehört auch die Verpflichtung, dass der zuständige militärische Vorgesetzte prüft, ob eine Beschwerde als Wehrbeschwerde oder als Dienstaufsichtsbeschwerde zu behandeln ist (vgl. § 14 WBO).

21 Von einer Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten sieht der Senat ab, weil er die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht als gegeben erachtet.