Beschluss vom 20.06.2002 -
BVerwG 1 DB 11.02ECLI:DE:BVerwG:2002:200602B1DB11.02.0

Beschluss

BVerwG 1 DB 11.02

In dem Beschwerdeverfahren hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Juni 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht M a y e r ,
Dr. H. M ü l l e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XVIII - ... -, vom 5. März 2002 aufgehoben.
  2. Dem Antragsteller wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 8. Oktober 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
  3. Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trägt der Antragsteller. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Sachentscheidung des Bundesdisziplinargerichts vorbehalten.

I


Der Leiter der Niederlassung Produktion BRIEF der Deutschen Post AG in H. stellte mit Bescheid vom 28. September 2001 den Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers für die Zeit vom 12. bis 14. September 2001 fest, weil er in dieser Zeit schuldhaft ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben sei. Der Bescheid ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung die Entscheidung des Bundesdisziplinargerichts gemäß § 121 Abs. 1 und 2 BDO beantragt werden kann. Ferner wird in der Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen, dass der Antrag innerhalb der Frist schriftlich zu begründen ist.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2001, eingegangen bei der Deutschen Post AG am 10. Oktober 2001, hat die Gewerkschaftssekretärin K. unter Vorlage einer Vollmacht des Antragstellers "Widerspruch" gegen den Bescheid eingelegt, eine vom 2. Oktober 2001 datierende Vollmacht des Antragstellers vorgelegt und um Akteneinsicht gebeten. Weiter heißt es in dem Widerspruchsschreiben, nach Aktenvorlage "werden wir ggf. unseren Widerspruch begründen". Mit Schreiben vom 15. Oktober 2001 hat der zuständige Niederlassungsleiter (NLL) der Deutschen Post AG der in der Vollmacht des Antragstellers bezeichneten Gewerkschaftssekretärin Kopien des Vorgangs übersandt und darauf hingewiesen, dass er einer Begründung des eingelegten "Widerspruchs" entgegen sehe.
Nachdem kein Eingang einer Begründung zu verzeichnen war, legte die Deutsche Post AG den "Widerspruch" als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 121 BDO am 13. November 2001 dem Bundesdisziplinargericht vor und wies zugleich darauf hin, dass gegen den Beamten bereits ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei, dessen Anschuldigungsschrift vom 31. Juli 2001 dem Bundesdisziplinargericht vorliege (dortiges Aktenzeichen XVIII VL 11/01).
Nachdem das Bundesdisziplinargericht mit Schreiben vom 15. November 2001 die Verfahrensbeteiligten auf die Einhaltung der Fristen für die Begründung des Antrags nach § 121 Abs. 2 BDO hingewiesen hatte, erhielt es als Reaktion darauf zunächst lediglich ein Schreiben der Gewerkschaftssekretärin K. vom 19. November 2001. Darin weist die Unterzeichnerin darauf hin, dass die weitere Vertretung nunmehr von ihrem in der Vollmacht mit ausgewiesenen Kollegen L. wahrgenommen werde. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2001 wandte sich der Antragsteller selbst an das Bundesdisziplinargericht, nahm auf das gerichtliche Schreiben in dem Antragsverfahren nach § 121 BDO vom 15. November 2001 Bezug und bat darum, den Sachverhalt des Verlustfeststellungsverfahrens in das beim Bundesdisziplinargericht anhängige Disziplinarverfahren als "Hauptanklagepunkt" aufzunehmen.
Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2002 hat der Gewerkschaftssekretär L. den "Widerspruch" des Antragstellers begründet.
Das Bundesdisziplinargericht hat durch Beschluss vom 5. März 2002 den Verlustfeststellungsbescheid vom 28. September 2001 aufrechterhalten. Zur Begründung hat es sich darauf gestützt, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung mangels rechtzeitiger Begründung unzulässig sei. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Fristversäumnis habe der Antragsteller nicht gestellt, und es bestehe auch kein Anlass, Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren. Eine vom anhängigen Disziplinarverfahren gesonderte Entscheidung betreffend die Verlustfeststellung sei zulässig. Sinn und Zweck der Regelung des § 121 Abs. 6 BDO über eine Verbindung von Disziplinarverfahren und Verlustfeststellungsverfahren sei es, einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Dieser gesetzgeberische Zweck greife dann nicht, wenn eine materielle Verknüpfung nicht zustande kommen könne, weil - wie vorliegend - bei unzulässigen Anträgen keine Entscheidung zur Sache getroffen werde.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner rechtzeitig eingelegten Beschwerde. Darin rügt er, dass die ausgesprochene Verlustfeststellung gegen das Lohnfortzahlungsgesetz und tarifvertragliche Regelungen verstoße. Er verweist auf sein Schreiben vom 5. Dezember 2001, in dem er das Bundesdisziplinargericht ersucht habe, den Sachverhalt in das laufende Disziplinarverfahren aufzunehmen. Aus seiner Sicht hätte eine Verbindung beider Verfahren gemäß § 121 Abs. 6 BDO erfolgen müssen. Sollten seinen Verfahrensbevollmächtigten juristische Fehler unterlaufen sein, könnten sie ihm als Nichtjuristen nicht angelastet werden. Das Gerichtsverfahren zur Überprüfung der Verlustfeststellung solle entweder mit dem Disziplinarverfahren verbunden oder die Rechtswidrigkeit der Verlustfeststellung festgestellt werden.

II


Die nach § 85 Abs. 1 und Abs. 5 BDG in Verbindung mit § 121 Abs. 5 BDO zulässige Beschwerde (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 33.01 ) ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Bundesdisziplinargericht hat zu Unrecht eine Wiedereinsetzung des Antragstellers in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsbegründungsfrist nach § 121 Abs. 2 BDO abgelehnt und damit den Antrag als unzulässig gewertet.
Dem Antragsteller war von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 25 BDO in Verbindung mit §§ 44, 45 StPO zu gewähren; denn er war ohne eigenes Verschulden daran gehindert, die Antragsbegründungsfrist nach § 121 Abs. 2 Satz 1 BDO einzuhalten.
Spätestens zwei Wochen nach Erteilung der Vollmacht vom 2. Oktober 2001, die auf den angefochtenen Bescheid Bezug nimmt, war die Antragsbegründungsfrist nach § 121 Abs. 2 Satz 1 BDO abgelaufen. An der Verursachung dieser Fristversäumnis trifft den Antragsteller aber weder ein alleiniges noch ein mitwirkendes Verschulden, weshalb ihm von Amts wegen die vom Senat gewährte Wiedereinsetzung zuzuerkennen war. Zwar beruht die Versäumung auf einem Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten. Diese ist dem Antragsteller nach ständiger Rechtsprechung des Senats jedoch nicht zuzurechnen (vgl. zum Verlustfeststellungsverfahren Beschluss vom 18. März 1991 - BVerwG 1 DB 1.91 = BVerwGE 93, 45; Beschluss vom 1. März 1994 - BVerwG 1 DB 24.93 ).
Die Pflicht zur Überwachung der Begründungsfrist oblag seinen mit Vollmacht vom 2. Oktober 2001 beauftragten Verfahrensbevollmächtigten. Diese konnten als Rechtssekretäre des DGB sowohl aus der Rechtsmittelbelehrung in dem in der Vollmacht erwähnten Bescheid vom 28. September 2001 als auch durch Lektüre der einschlägigen Vorschrift des § 121 Abs. 2 Satz 1 BDO erkennen, dass sie ihren als "Widerspruch" bezeichneten Antrag innerhalb einer Zwei-Wochen-Frist zu begründen hatten. Den Antragsteller trifft an der Fristversäumnis kein Verschulden. Er ist juristischer Laie und durfte davon ausgehen, dass die von ihm beauftragten Gewerkschaftssekretäre die erforderlichen Schritte einleiten. Aus seinem Schreiben vom 5. Dezember 2001 wird zudem ersichtlich, dass er es für möglich hielt, dass über den eingelegten "Widerspruch" im Rahmen des beim Gericht anhängigen Disziplinarverfahrens entschieden würde und dabei die in diesem Rahmen abgegebenen Begründungen herangezogen würden, was angesichts der Regelung in § 121 Abs. 6 BDO keineswegs außerhalb des Möglichen lag. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts ist dem Antragsteller daher nicht vorzuwerfen, dass die Antragsbegründung nicht früher als mit Schriftsatz des Gewerkschaftssekretärs L. vom 7. Januar 2002 nachgeholt wurde.
War dem Antragsteller aber Wiedereinsetzung mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 7 StPO zu gewähren, durfte sein Antrag nicht als unzulässig gewertet werden (vgl. Beschluss vom 18. März 1991, a.a.O.). Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ermöglicht dem Bundesdisziplinargericht auch, unter Würdigung der Entscheidung des Senats erneut über eine Verbindung des vorliegenden Verfahrens mit dem in der gleichen Sache anhängigen Disziplinarverfahren gemäß § 121 Abs. 6 BDO zu befinden.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Sachentscheidung des Bundesdisziplinargerichts vorbehalten.