Pressemitteilung Nr. 40/2010 vom 21.05.2010

Baden-württembergische Regelung für die Vergabe von Studienplätzen außerhalb der festgesetzten Kapazität vorläufig außer Vollzug gesetzt

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat dem Eilantrag eines Bewerbers um einen Medizinstudienplatz stattgegeben und die baden-württembergische Regelung für die Vergabe von Studienplätzen außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen für das Wintersemester 2010/2011vorläufig außer Vollzug gesetzt.


Studienplätze in bestimmten stark nachgefragten Studiengängen - insbesondere in den medizinischen Fächern - werden grundsätzlich innerhalb zuvor festgesetzter Zulassungszahlen in einem zentralen Vergabeverfahren zugeteilt. Hält die zu Grunde liegende Kapazitätsberechnung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle im Rahmen von Rechtsschutzverfahren abgewiesener Studienbewerber nicht Stand, werden die aufgedeckten Restkapazitäten außerhalb des geregelten Vergabeverfahrens - in der Praxis vielfach durch Losentscheid - auf die erfolgreichen Rechtsschutzsuchenden verteilt. Das baden-württembergische Wissenschaftsministerium hat demgegenüber nunmehr durch Rechtsverordnung geregelt, dass eine Zulassung durch die Universitäten des Landes außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen einen Antrag im zentralen Vergabeverfahren in dem betreffenden Studiengang und für den betreffenden Studienort voraussetzt und dass nachträglich aufgedeckte Studienplätze entsprechend der von der jeweiligen Universität im Hochschulauswahlverfahren erstellten Rangliste vergeben werden. Die Universität hat dabei die Möglichkeit, die Vergabe auf solche Antragsteller zu beschränken, die im zentralen Vergabeverfahren diese Universität mit vorrangiger Priorität gewählt haben.


Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat den Normenkontrollantrag, mit dem der Antragsteller diese Regelung angegriffen hat, im Wesentlichen abgewiesen. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen, die der Rechtssache im Hinblick auf das aus Art. 12 Abs. 1 GG ableitbare Gebot einer erschöpfenden Nutzung der vorhandenen Studienkapazität zukommt (Beschluss vom 20. Mai 2010 - BVerwG 6 BN 3.09).


Dem Antrag, die Regelung im Wege der einstweiligen Anordnung für das Wintersemester 2010/2011 außer Vollzug zu setzen, hat das Bundesverwaltungsgericht auf Grund einer Interessenabwägung - im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung eines gegebenenfalls mehrmaligen Wechsels des Zulassungssystems - stattgegeben. Dies bedeutet, dass im zentralen Vergabeverfahren erfolglose Bewerber - wie bisher - Klagen und vorläufige Rechtsschutzverfahren gegen alle Universitäten des Landes anhängig machen können, um dort ungenutzte Restkapazitäten aufzudecken.


Mit dieser Eilentscheidung ist eine Bewertung der Erfolgsaussichten der Revision nicht verbunden.


BVerwG 6 VR 1.10 - Beschluss vom 20.05.2010


Beschluss vom 20.05.2010 -
BVerwG 6 VR 1.10ECLI:DE:BVerwG:2010:200510B6VR1.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.05.2010 - 6 VR 1.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:200510B6VR1.10.0]

Beschluss

BVerwG 6 VR 1.10

  • VGH Baden-Württemberg - 29.10.2009 - AZ: VGH 9 S 1858/09

In der Normenkontrollsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Mai 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:

  1. § 24 Satz 2 und 3 der Verordnung des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums über die zentrale Vergabe von Studienplätzen vom 23. April 2006 (GBl S. 114) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 29. Juni 2009 (GBl S. 309) wird im Wege der einstweiligen Anordnung für das Wintersemester 2010/2011 außer Vollzug gesetzt.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Mit Beschluss vom heutigen Tage (Az.: BVerwG 6 BN 3.09 ) hat der Senat auf die Beschwerde des Antragstellers die Revision gegen das den Normenkontrollantrag des Antragstellers abweisende Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. Oktober 2009 zugelassen. Als in der Hauptsache zuständiges Gericht (vgl. Beschluss vom 18. Mai 1998 - BVerwG 4 VR 2.98 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 125 S. 105 f.) hat der Senat auch über den Antrag zu entscheiden, § 24 Satz 2 und 3 der Verordnung des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums über die zentrale Vergabe von Studienplätzen (Vergabeverordnung ZVS) vom 23.  April 2006 (GBl S. 114) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 29. Juni 2009 (GBl S. 309) einstweilen außer Vollzug zu setzen.

2 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig und begründet.

3 Die Entscheidung nach § 47 Abs. 6 VwGO verlangt eine Folgenabwägung. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung unterbleibt, der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache Erfolg hat, gegen die Folgen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird, der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache erfolglos bleibt.

4 Ergeht in dem zur Entscheidung stehenden Verfahren die einstweilige Anordnung nicht, hat der Normenkontrollantrag aber in der Sache Erfolg, hat der Antragsteller unwiederbringlich die Chance verloren, sich bei allen baden-württembergischen Universitäten mit medizinischer Fakultät für zumindest ein, möglicherweise aber auch für weitere Semester um eine Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität zu bemühen. Die Ausbildung in dem gewünschten Studiengang der Humanmedizin ist in hohem Maße auf rasche Realisierung angewiesen, so dass der Verlust von (zusätzlichen) Chancen der Zulassung schwer wiegt. Ergeht die einstweilige Anordnung, hat der Normenkontrollantrag in der Sache aber keinen Erfolg, müssen die Universitäten des Landes Baden-Württemberg nicht mehr Studenten aufnehmen, als es der vorhandenen Kapazität entspricht. Sie müssen nur die außerhalb der festgesetzten Kapazität zu vergebenden Studienplätze nicht zwingend nach den Maßstäben des § 24 Satz 2 und 3 Vergabeverordnung ZVS verteilen. Dies ist ihnen umso mehr zuzumuten, als die Vermeidung eines gegebenenfalls mehrmaligen Wechsels des Zulassungssystems auch ihrem eigenen und dem öffentlichen Interesse entspricht. Zwar müssen bei der Abwägung auch die Interessen der weiteren Normadressaten berücksichtigt werden, also solcher Bewerber, die sich ebenfalls in dem betreffenden Studiengang um eine Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität bemühen. Die Erfolgsaussichten dieser Bewerbungen hängen jeweils davon ab, ob das bisherige oder aber das durch die angegriffene Regelung neu eingeführte Auswahlsystem zur Anwendung gelangt. Die insoweit betroffenen Interessen neutralisieren sich somit gleichsam; sie können deshalb bei der Abwägung nicht den Ausschlag geben.

5 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.