Verfahrensinformation

1948 waren auf besatzungshoheitlicher Grundlage zwei Grundstücke des Vaters des Klägers entschädigungslos enteignet worden. Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger des Enteigneten die Gewährung von Ausgleichsleistungen nach den Vorschriften des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG). Dies hatte die Beklagte gestützt auf § 1 Abs. 4 AusglLeistG abgelehnt, da der Vater des Klägers dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe. Nach dieser Vorschrift werden Leistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz unter anderem dann nicht gewährt, wenn der Anspruchsberechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat. Die gegen die ablehnende Entscheidung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.


Im Revisionsverfahren wird unter anderem zu klären sein, unter welchen Voraussetzungen die Wahrnehmung von Parteiämtern und -funktionen auf NSDAP-Kreisebene als erhebliches Vorschubleisten im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG anzusehen ist. Der Vater des Klägers war von 1931 bis April 1934 als ehrenamtlicher Vorsitzender des NSDAP-Parteigerichts auf Kreisebene tätig gewesen, er hatte anschließend ehrenamtlich die Funktionen eines NSDAP-Kreisamtsleiters für Gemeindepolitik und für den Juristenbund sowie des Kreisrechtsstellenleiters ausgeübt.


Pressemitteilung Nr. 57/2006 vom 19.10.2006

Ausgleich für besatzungshoheitliche Enteignung kann nicht allein wegen ehrenamtlicher Tätigkeit als NSDAP-Kreisrichter und als Amtsleiter in einer NSDAP-Kreisleitung verweigert werden

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entscheiden, dass nicht bereits die ehrenamtliche Tätigkeit als Vorsitzender eines NSDAP-Kreisgerichts und als Amtsleiter in einer NSDAP-Kreisleitung als erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems zu werten ist und zum Ausschluss von einer Ausgleichsleistung führt.


1948 waren zwei Grundstücke des Vaters des Klägers auf besatzungshoheitlicher Grundlage entschädigungslos enteignet worden. Der Kläger beantragte als dessen Rechtsnachfolger die Gewährung von Ausgleichsleistungen nach den Vorschriften des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG). Dies lehnte die Beklagte gestützt auf § 1 Abs. 4 AusglLeistG ab, da der Vater des Klägers dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe. Die Beklagte begründete die Ablehnung damit, dass der Vater des Klägers von 1931 bis April 1934 Vorsitzender des NSDAP-Kreisgerichts und auch danach in der NSDAP-Kreisleitung als Amtsleiter für Gemeindepolitik und für den Juristenbund sowie als Kreisrechtsstellenleiter tätig gewesen sei. Allerdings könne wegen des Zeitablaufs nicht aufgeklärt werden, welche Handlungen ihm im Einzelnen vorzuwerfen seien. Die gegen die ablehnende Entscheidung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.


Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, Ausgleichsleistungen zu gewähren.


Aus der in der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vorgenommenen Zuordnung der vom Vater des Klägers wahrgenommenen Funktionen in die Kategorie der Hauptschuldigen kann keine Vermutung dafür entnommen werden, dass der Betroffene auch im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat. § 1 Abs. 4 AusglLeistG weist die erforderlichen Anhaltspunkte für eine solche Vermutung nicht auf, zudem decken sich Sinn und Zweck der beiden Regelungen nicht. Ebenso wenig kann die Unwürdigkeitsfeststellung hier bereits aus der Innehabung der genannten Parteifunktionen hergeleitet werden. Weder der ehrenamtliche Vorsitz in einem NSDAP-Kreisgericht noch die nachgeordneten Ämter, die der Kläger in einer NSDAP-Kreisleitung ehrenamtlich innegehabt hat, sind von ihrer Bedeutung und ihren Einflussmöglichkeiten her so herausgehoben, dass sie den von der Beklagten und vom Verwaltungsgericht gezogenen Schluss auf ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems tragen. An der Feststellung einzelner Handlungen, die den Ausschluss von einer Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG gleichwohl rechtfertigen, fehlte es.


BVerwG 3 C 39.05 - Urteil vom 19.10.2006


Beschluss vom 27.12.2005 -
BVerwG 3 B 32.05ECLI:DE:BVerwG:2005:271205B3B32.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.12.2005 - 3 B 32.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:271205B3B32.05.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 32.05

  • VG Dresden - 15.09.2004 - AZ: VG 4 K 238/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und
Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden über die Nichtzulassung der Revision in seinem Urteil vom 15. September 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und für das Revisionsverfahren - insoweit vorläufig - auf 41 925,93 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist begründet.

2 Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Revisionsverfahren kann im Anschluss an das Urteil des Senats vom 17. März 2005 - BVerwG 3 C 20.04 - (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 5) Gelegenheit zur Klärung der Frage bieten, unter welchen Voraussetzungen die Wahrnehmung von Parteiämtern und -funktionen auf Kreisebene als erhebliches Vorschubleisten im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG anzusehen ist.

3 Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 sowie § 72 Nr. 1 GKG; die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 sowie § 72 Nr. 1 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 3 C 39.05 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Urteil vom 19.10.2006 -
BVerwG 3 C 39.05ECLI:DE:BVerwG:2006:191006U3C39.05.0

Leitsätze:

Die ehrenamtliche Tätigkeit als NSDAP-Kreisrichter sowie als Leiter nachgeordneter Ämter in einer NSDAP-Kreisleitung rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG.

Aus der Zuordnung von Inhabern dieser Funktionen in die Kategorie der Hauptschuldigen nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 kann keine Vermutung dafür entnommen werden, dass der Betroffene auch gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat.

  • Rechtsquellen
    AusglLeistG § 1 Abs. 4

  • VG Dresden - 15.09.2004 - AZ: VG 4 K 238/03

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.10.2006 - 3 C 39.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:191006U3C39.05.0]

Urteil

BVerwG 3 C 39.05

  • VG Dresden - 15.09.2004 - AZ: VG 4 K 238/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. September 2004 wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2002 und der Widerspruchsbescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 29. November 2002 werden aufgehoben.
  2. Die Beklagte wird verpflichtet, der Erbengemeinschaft nach Dr. Karl K. Ausgleichsleistungen für den Verlust der Grundstücke R. Straße und O.-platz in D. zu gewähren.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt die Gewährung von Ausgleichsleistungen für die auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgte entschädigungslose Enteignung zweier Grundstücke, die im Eigentum seines Vaters, Dr. Karl K., gestanden hatten.

2 Der 1900 geborene Vater des Klägers war als Rechtsanwalt und Notar in D. tätig. Von 1930 bis 1945 war er dort Stadtverordneter bzw. Stadtrat.

3 Am 27. Dezember 1930 trat Dr. K. in die NSDAP ein. Seit 1931 war er als Fachberater für Gemeindepolitik der NSDAP-Ortsgruppe D. tätig. Ebenfalls ab 1931 war er Vorsitzender des örtlichen Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses der NSDAP (USchlA), anschließend von 1933 bis April 1934 Vorsitzender des (NSDAP-)Kreisgerichts in D. Seit April 1934 übte Dr. K. die Funktionen eines ehrenamtlichen NSDAP-Kreisamtsleiters für Gemeindepolitik und für den Juristenbund sowie des Kreisrechtsstellenleiters aus. Ab 1938 war er außerdem Kreisführer des Roten Kreuzes. Hinzu kamen Mitgliedschaften im Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK), dem Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB) und bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Im Dezember 1943 wurde er für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse ohne Schwerter vorgeschlagen, das er auch erhielt.

4 Ab September 1939 war Dr. K. zunächst als einfacher Soldat, zuletzt im Rang eines Unteroffiziers bei der Wehrmacht. Vom 1. Dezember 1940 bis 30. September 1944 war er als Rechtsanwalt und Notar u.k.-gestellt. Zum 1. Oktober 1944 wurde er erneut einberufen. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, nach seiner Entlassung im Oktober 1945 wurde er zum Arbeitseinsatz im Erzgebirge abgestellt. Am 21. Dezember 1945 wurde Dr. K. von den Sowjets verhaftet und in das Speziallager Bautzen verbracht, wo er bis Januar 1950 interniert war. Er siedelte 1950 nach Hamburg um, wo er nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt im März 1951 wieder eine Anwaltskanzlei betrieb.

5 Dr. K. verstarb 1990. Er wurde zunächst von seiner Ehefrau und nach deren Tod vom Kläger und dessen Geschwistern beerbt.

6 1948 waren zwei Grundstücke des Dr. K. in D. auf besatzungshoheitlicher Grundlage entschädigungslos enteignet worden.

7 Eine Rückübertragung der Grundstücke lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landkreises Weißeritzkreis auf der Grundlage von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG bestandskräftig ab.

8 Die Gewährung von Ausgleichsleistungen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. April 2002 ab. Dr. K. habe dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG geleistet. Anhaltspunkte dafür ergäben sich aus der Kontrollratsdirektive Nr. 38. Danach gehöre Dr. K. bereits aufgrund seines frühen Eintritts in die NSDAP zu den Belasteten. Zudem zählten alle Amtsträger der NSDAP bis herunter und einschließlich des Postens eines Amtsleiters bei der Kreisleitung sowie die Kreisrichter der NSDAP zur Gruppe der Hauptschuldigen.

9 Den Widerspruch des Klägers wies das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 29. November 2002 zurück.

10 Das Verwaltungsgericht Dresden hat die Klage mit Urteil vom 15. September 2004 abgewiesen. Zur Begründung führt es aus: Die Beklagte habe zu Recht angenommen, dass der Rechtsvorgänger des Klägers dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG geleistet habe. Zur Auslegung dieses Begriffs könne die Rechtsprechung zu vergleichbaren Vorschriften aus dem Kriegsfolgenrecht herangezogen werden. Danach liege ein erhebliches Vorschubleisten vor, wenn der Betreffende bewusst und mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen habe, die dazu bestimmt und geeignet gewesen seien, in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der NSDAP und das von ihr getragene System zu festigen, auszudehnen oder den Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken. Objektiv sei ein initiatives Verhalten erforderlich, das geeignet gewesen sei, die Bedingungen für die Ausbreitung und Entwicklung der nationalsozialistischen Herrschaft zu verbessern. Hierfür reiche ein Fördern im Vorfeld aus, das der Installation des Systems gedient habe. Erheblich sei ein Vorschubleisten, wenn der Nutzen für das System nicht nur ganz unbedeutend gewesen sei. Dieser Nutzen müsse nicht im Einzelnen nachgewiesen werden, es genüge ein systembedingter allgemeiner Nutzen. In subjektiver Hinsicht müsse der Betroffene im Bewusstsein gehandelt haben, dass sein Verhalten den Nationalsozialismus fördern könnte. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Eine bloße NSDAP-Mitgliedschaft reiche zwar nicht aus. Doch zeige der frühe Parteieintritt von Dr. K. am 27. Dezember 1930, dass er mit den Grundgedanken des Nationalsozialismus übereingestimmt und sich schon lange vor 1933 für die Ziele der Partei eingesetzt und dadurch diesem Unrechtssystem durch ein Fördern im Vorfeld nachhaltig gedient habe. Er habe außerdem mehrere Jahre lang Parteifunktionen innegehabt und damit die Etablierung dieses Unrechtssystems mehr als nur unerheblich gefördert. Ebenso sei es ihm als Stadtverordneter seit Anfang 1930 und als Stadtrat seit Anfang 1933 möglich gewesen, in seiner Heimatstadt auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen und sie im Sinne des Nationalsozialismus mitzugestalten. Daraus habe das NS-Regime ebenfalls einen nicht ganz unbedeutenden Nutzen gezogen. Dr. K. sei Kreisamtsleiter für Gemeindepolitik und für den Juristenbund sowie Kreisrechtsstellenleiter gewesen, bevor er schließlich von 1933 bis April 1934 das Amt des Parteirichters ausgeübt habe. Damit habe er sich über mehrere Jahre für die schlechte Sache engagiert. Aus diesem mehrjährigen Engagement für die NSDAP werde deutlich, dass Dr. K. dabei in dem Bewusstsein gehandelt habe, sein Handeln könne den Nationalsozialismus fördern. Für die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes genüge die Innehabung einer höheren Position in der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen. Fehlten abweichende Anhaltspunkte, könne daraus geschlossen werden, dass die mit dem Amt verbundenen Aufgaben auch wahrgenommen worden seien. Daher müsse nicht aufgeklärt werden, welche Handlungen im Einzelnen vorgenommen worden seien. Es genüge ein systembedingter allgemeiner Nutzen, der nicht im Einzelnen nachgewiesen werden müsse. Die Kontrollratsdirektive Nr. 38 stütze diese Einschätzung. Gegen die in deren Anhang A bezeichneten Amtsträger bestehe die widerlegliche Vermutung eines erheblichen Vorschubleistens im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG. Diese Vermutung entfalle, wenn sich in überprüfbarer Weise eine oppositionelle Haltung manifestiert habe. An einen solchen Nachweis seien strenge Anforderungen zu stellen. Die Beklagte habe Dr. K. danach zutreffend als Hauptschuldigen bzw. Belasteten eingeordnet. Nach dem Anhang A zur Kontrollratsdirektive Nr. 38 zählten zu den Hauptschuldigen alle Amtsträger der NSDAP einschließlich des Amtsleiters bei der Kreisleitung. Ebenso lasse die Funktion als NSDAP-Kreisrichter eine Zuordnung zu den Hauptschuldigen zu. Wegen seines frühen Parteieintritts sei Dr. K. zutreffend als Belasteter eingestuft worden. Die sich daraus ergebende Vermutung, dass Dr. K. dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet habe, sei nicht widerlegt worden.

11 Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor: Konkrete Handlungen seines Vaters zur Förderung des nationalsozialistischen Systems hätten weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht benennen können. Dass eine Verbesserung der Bedingungen für das nationalsozialistische System eingetreten sei, lasse sich nicht bereits aus der Innehabung einer Funktion entnehmen. Jede Funktion sei, wie etwa das Stauffenberg-Attentat zeige, auch im gegenläufigen Sinn nutzbar gewesen. Hier sei nicht zu erkennen, wie aus der vom Verwaltungsgericht besonders hervorgehobenen Tätigkeit als Parteirichter auf Kreisebene ein nicht unerheblicher Nutzen für das NS-System entstanden sein solle, zumal dieses Amt wegen fehlender Linientreue nach relativ kurzer Zeit geendet habe. Zum Zeitpunkt der Parteirichtertätigkeit seines Vaters habe das NS-Unrechtssystem noch nicht bestanden, hiervon könne erst seit dem sog. Röhm-Putsch im Juni 1934 bzw. seit dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg im August 1934 ausgegangen werden. Es sei fraglich, inwieweit dann aus der Innehabung von Parteifunktionen, zumal solchen nur auf Kreisebene, auf die erforderliche Förderungsintention geschlossen werden könne. Unterstützt worden sein müsse gerade die Gewaltherrschaft. Hinzukommen müsse als subjektives Element das Ziel, das Unrechtssystem nachhaltig zu festigen. Dies setze nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Kenntnis von dem Bestehen der Gewaltherrschaft und das Bewusstsein voraus, sie durch aktives Handeln zu fördern. Darunter falle nicht, wer - wie sein Vater - nur seine staatsbürgerlichen oder Beamtenpflichten erfüllt habe. Weder die Beklagte noch das Gericht hielten ihm einen aktiven Einsatz für die Gewaltherrschaft vor. Abgesehen davon sei § 1 Abs. 4 AusglLeistG als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, auch weil das Tatbestandsmerkmal des Vorschubleistens diffamierenden Charakter habe. Eine enge Auslegung sei auch veranlasst, weil der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens neben dem des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit stehe und nicht, wie in § 8 BWGöD, neben der bloßen Parteimitgliedschaft. Schließlich habe das Ausgleichsleistungsgesetz nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch Rehabilitierungscharakter. Deshalb sei zu prüfen, ob dem Betroffenen mit der Anwendung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht nur die materielle Wiedergutmachung, sondern auch jegliche sonstige Rehabilitierung für erlittene rechtsstaatswidrige Verfolgung genommen werden könne. Sei nach all dem § 1 Abs. 4 AusglLeistG eng auszulegen, könne man unter keinem Gesichtspunkt zu dem Ergebnis kommen, sein Vater sei einer der Hauptverantwortlichen für die Etablierung und Stärkung des Nationalsozialismus gewesen. Lasse man die Innehabung von Funktionen auf Kreisebene für einen Anspruchsausschluss genügen, komme es zu einer flächendeckenden Aberkennung von Ansprüchen auf Ausgleichsleistung. Dies sei nicht mit der vom Gesetzgeber formulierten Zielrichtung vereinbar, die Hauptverantwortlichen zu treffen.

12 Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

13 Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Sie hält das erstinstanzliche Urteil ebenfalls für zutreffend.

II

14 Das Urteil des Verwaltungsgerichts steht nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO); es beruht auf einer fehlerhaften Anwendung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass bereits die vom Vater des Klägers in der NSDAP auf Kreisebene innegehabten Funktionen auf ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG schließen lassen und die Aufklärung einzelner Handlungen entbehrlich machen. Ebenso wenig trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts zu, aus der Einordnung der Inhaber solcher Funktionen in die Kategorien der Hauptschuldigen bzw. der Belasteten nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 folge eine Vermutung dafür, dass der Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt sei. An der Feststellung individuellen Verhaltens, das den Ausschluss von einer Ausgleichsleistung gleichwohl rechtfertigt, fehlt es. Von einer Zurückverweisung waren auch im Hinblick auf die Umstände, die die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren ergänzend vorgetragen hat, keine weiteren entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten, so dass der Senat abschließend entscheiden konnte.

15 1. Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichsleistung ist § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG. Danach erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes.

16 Hier ist der Vater des Klägers auf besatzungshoheitlicher Grundlage entschädigungslos enteignet worden. Der Kläger ist einer seiner Erben, die vorbehaltlich des Ausschlusstatbestandes in § 1 Abs. 4 AusglLeistG nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG leistungsberechtigt sind.

17 Gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG werden Leistungen nach diesem Gesetz dann nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat. Dies hat das Verwaltungsgericht in Bezug auf den Vater des Klägers zu Unrecht angenommen.

18 2. Wie der Senat in seinem Urteil vom 17. März 2005 - BVerwG 3 C 20.04 - (BVerwGE 123, 142) entschieden hat, setzt ein Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG in objektiver Hinsicht voraus, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten. Der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein. Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes sind erfüllt, wenn die betreffende Person dabei in dem Bewusstsein gehandelt hat, ihr Verhalten könne diesen Erfolg haben.

19 Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine einschränkende Auslegung dieses Ausschlussgrundes dahin, dass gezielt die Gewalttätigkeit der nationalsozialistischen Herrschaft unterstützt worden sein muss, nicht geboten. § 1 Abs. 4 AusglLeistG weist - anders als § 6 des Bundesgesetzes zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) oder § 8 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes (KgfEG) - im Wortlaut nicht das Merkmal der Gewaltherrschaft auf, sondern benennt das „nationalsozialistische System“ als dasjenige, dem erheblicher Vorschub geleistet worden sein muss. Insoweit kann sich der Kläger auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 6 BEG berufen. Der Gesetzgeber hat das nationalsozialistische System als eine Einheit gesehen. Es wurde von seinen besonders verwerflichen Elementen wie seinem zerstörerischen Antisemitismus und sonstigen Rassismus, der gewaltsamen Unterdrückung politisch Andersdenkender und einem aggressiven Streben nach „Lebensraum“ mit den Mitteln der Vertreibung, Versklavung oder Vernichtung von in der nationalsozialistischen Ideologie als minderwertig angesehenen Bevölkerungsgruppen geprägt. Eine Unterstützung des NS-Regimes hatte, selbst wenn sie an einer scheinbar weniger verfänglichen Stelle erfolgte, zugleich zumindest indirekt ein Vorschubleisten zugunsten der mit dem nationalsozialistischen System untrennbar verbundenen Gewaltherrschaft zur Folge. Dabei muss sich die unterstützende Tätigkeit allerdings auf spezifische Ziele des nationalsozialistischen Systems bezogen haben. Eine Unterstützung nicht spezifisch von der nationalsozialistischen Ideologie geprägter Bestrebungen, wie etwa des Zieles, den 2. Weltkrieg zu gewinnen, genügt nicht (BVerwGE 123, 142 <146> m.w.N.).

20 Ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist bereits in der Phase der Errichtung und nicht erst nach der Etablierung des nationalsozialistischen Systems möglich (BVerwGE 123, 142 <144>). Eine zeitliche Zäsur kann insoweit auch im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes nicht erst mit dem sog. Röhm-Putsch im Juni 1934 bzw. dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg im August 1934 und der Übernahme seiner Funktionen durch Hitler gezogen werden. Bereits zuvor lagen die ideologischen Grundlagen und die Ziele des nationalsozialistischen Systems hinreichend offen zutage. Auch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933 war zudem deutlich geworden, dass die Nationalsozialisten nach der Alleinherrschaft strebten und bereit waren, zur Erreichung ihrer Ziele Gewalt einzusetzen. Von diesen Voraussetzungen ist sinngemäß auch das Verwaltungsgericht in seinem bereits vor der Entscheidung des Senats ergangenen Urteil vom 15. September 2004 ausgegangen.

21 3. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass bereits wegen des frühen Parteieintritts von Dr. K., der von ihm innegehabten Funktionen in der NSDAP-Parteigerichtsbarkeit und in einer NSDAP-Kreisleitung sowie aufgrund seiner Stellung als Stadtverordneter bzw. Stadtrat die Voraussetzungen für ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt seien. Weder der Parteieintritt im Dezember 1930 noch die Innehabung der genannten Funktionen rechtfertigen jedoch allein oder in einer Gesamtschau den hieraus vom Verwaltungsgericht gezogenen Schluss. Feststellungen zum konkreten Verhalten von Dr. K., die die Bewertung des Verwaltungsgerichts jedenfalls im Ergebnis gleichwohl stützen, fehlen.

22 a) Der von § 1 Abs. 4 AusglLeistG geforderte qualifizierte Nutzen für das nationalsozialistische System kann aus der bloßen Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen nicht hergeleitet werden. Dies folgt zum einen daraus, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 4 AusglLeistG - anders als in § 6 Abs. 1 Nr. 1 BEG oder in § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BWöGD) - eine solche Mitgliedschaft nicht gesondert als Ausschlussgrund benennt. Zudem setzt § 1 Abs. 4 AusglLeistG ein „erhebliches“ Vorschubleisten voraus.

23 Soweit das Verwaltungsgericht etwas anderes daraus herleiten will, dass Dr. K. bereits im Dezember 1930 in die NSDAP eingetreten ist, wird dies den Anforderungen von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht gerecht. Selbst wenn sich, wie das Verwaltungsgericht annimmt, aus dem frühen Parteieintritt von Dr. K. ergibt, dass er mit den Grundgedanken des Nationalsozialismus übereingestimmt hat, folgt daraus nicht zugleich, dass er sich für dessen Ziele auch nach außen entsprechend eingesetzt und damit der Installierung bzw. Festigung dieses Unrechtssystems mehr als nur unerheblich gedient hat.

24 b) Die Parteifunktionen, die der Vater des Klägers nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auf Kreisebene ehrenamtlich innehatte, rechtfertigen den vom Verwaltungsgericht daraus gezogenen Schluss auf ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG ebenfalls nicht. Die zur Beurteilung der Bedeutsamkeit bestimmter Parteiämter als solcher erforderlichen Feststellungen konnten vom Senat selbst getroffen werden. Insoweit handelt es sich um allgemeinkundige Tatsachen, also solche, über die sich jedermann ohne besondere Fachkunde aus allgemein zugänglichen Quellen zuverlässig unterrichten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 - BVerwG 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 <72> m.w.N.). Ebenso konnte der Senat die Parteiämter anhand des in § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorgegebenen rechtlichen Maßstabs bewerten. Die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Beurteilung war keine bloße Tatsachenfeststellung, sondern auch das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung. Sie ist somit im Revisionsverfahren überprüfbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 1986 - BVerwG 9 C 155.86 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 52).

25 Zwar kommt der Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum und im Sinne der Partei beanstandungsfrei ausgeübt worden sind, regelmäßig eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu. So wird etwa bei einem Gauleiter oder einem führenden Funktionär auf Reichsebene in der Regel der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt sein. Dagegen haben die vom Vater des Klägers auf der Kreisebene der NSDAP ehrenamtlich ausgeübten Parteiämter nicht die für eine solche Indizwirkung erforderliche Bedeutung.

26 aa) Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts war Dr. K. seit 1931 Vorsitzender des örtlichen Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses (USchlA) der NSDAP und in der Zeit von 1933 bis 1934 Vorsitzender des (Partei-)Kreisgerichts.

27 Die Untersuchungs- und Schlichtungsausschüsse der NSDAP (USchlA), die im Dezember 1933 offiziell in Parteigerichte umbenannt wurden, wurden auf Orts- bzw. Kreis- sowie Gau- und Reichsebene gebildet. Sie bestanden aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, die auf der hier in Rede stehenden Orts- bzw. Kreisebene ehrenamtlich tätig waren. Die Vorsitzenden auf Orts- und Kreisebene wurden bis 1934 auf Vorschlag der jeweiligen Politischen Leiter der NSDAP durch den Gauleiter, danach auf Vorschlag des Vorsitzenden des Gaugerichts vom Vorsitzenden des Obersten Parteigerichts ernannt. Die interne Parteigerichtsbarkeit der NSDAP hatte zum einen die Aufgabe, über den Ausschluss von Parteimitgliedern wegen parteischädigenden Verhaltens zu befinden, bei weniger gravierenden Verstößen konnte eine Verwarnung ausgesprochen werden. Für die Einleitung eines solchen Parteistrafverfahrens war ein Antrag des jeweiligen politischen Leiters erforderlich, der die Entscheidung des Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses bzw. des Parteigerichts dann auch zu vollziehen hatte. Bei einem Parteiausschluss konnte der Betroffene Beschwerde beim nächsthöheren Parteigericht einlegen. Zum Schutz ihrer Ehre konnten Parteimitglieder ein Verfahren auch gegen sich selbst beantragen. Der NSDAP-Parteigerichtsbarkeit war außerdem die Aufgabe zugewiesen, Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Parteimitgliedern auf gütlichem Weg auszugleichen. Schließlich war von den Parteigerichten zu überprüfen, ob Bewerber in die NSDAP aufgenommen werden konnten. Deshalb hatte der massive Zustrom neuer Parteimitglieder in die NSDAP, der zu Beginn der dreißiger Jahre einsetzte, erhebliche Auswirkungen auf die Tätigkeit der Parteigerichtsbarkeit. Dies betraf gerade auch die Amtszeit von Dr. K. (vgl. zu weiteren Einzelheiten u.a. Block, Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP, 2002; Nolzen, Parteigerichtsbarkeit und Parteiausschlüsse in der NSDAP 1921 - 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 2000, S. 965 ff.; Roser, Nationalsozialistische Beamte auf der Anklagebank, NS-Parteigerichtsbarkeit und öffentliche Verwaltung in Südwestdeutschland 1933 - 1945, Arbogast/Gall, Aufgaben und Funktionen des Gauinspektors, der Kreisleitung und der Kreisgerichtsbarkeit der NSDAP in Württemberg, in: Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie, 1993, S. 125 ff.; McKale, The Nazi Party Courts, 1973).

28 Die Rolle und Bedeutung der NSDAP-Parteigerichtsbarkeit wird im rechts- und zeitgeschichtlichen Schrifttum nicht einheitlich bewertet. Zum Teil wird in diesen parteiinternen Gerichten - vor allem gestützt auf die ältere Arbeit von McKale und im Hinblick auf Verfahren vor dem Obersten Parteigericht der NSDAP - ein wichtiges Instrument zur innerparteilichen Machtausübung und Disziplinierung gesehen (vgl. Block, a.a.O. S. 223 ff.). Diese Einschätzung wird jedoch auf der Grundlage von Einzelstudien mittlerweile erheblich relativiert (vgl. u.a. Nolzen, a.a.O., S. 986 ff.; Roser, a.a.O., S. 147 ff.). Das mögliche Spektrum von Fällen reichte, wie in der Literatur ausgewertete Verfahren vor dem Obersten Parteigericht (vgl. Block und McKale, a.a.O.) und vor den örtlichen Parteigerichten (vgl. Roser, a.a.O., S. 134 ff.) zeigen, vom Ausschluss von Parteimitgliedern, die sich an Parteigeldern vergriffen hatten oder sonst wegen Korruption oder Straftaten untragbar geworden waren, bis zu „Stellvertreterkriegen“ um die politische Macht, die über berechtigte oder falsche Anschuldigungen vor dem Parteigericht ausgefochten wurden. Sowohl die Voraussetzungen, die in § 4 der bis 1945 in Geltung gebliebenen NSDAP-Satzung vom 22. Mai 1926 für einen Parteiausschluss genannt wurden („ehrenrührige Handlungen begehen“, „den Bestrebungen der NSDAP zuwiderhandeln“, „durch ihr sittliches Verhalten im Verein oder in der Allgemeinheit Anstoß erregen oder dadurch den Verein schädigen“) als auch die Beschreibung der den Parteimitgliedern obliegenden Pflichten in § 4 des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Volk und Staat vom 1. Dezember 1933 („erhöhte Pflichten gegenüber Führer, Volk und Staat“) waren unbestimmt und ließen damit nicht unerhebliche Spielräume. Nach § 4 Abs. 2 Buchst. b der Parteisatzung konnten auch solche Mitglieder ausgeschlossen werden, die trotz Aufforderung mit ihrer Beitragsleistung ohne Entschuldigung zwei Monate im Verzug geblieben sind; nach Buchst. c konnte ein Ausschluss wegen Interesselosigkeit am Verein erfolgen. Zwischen 1926 und 1932 scheinen bei insgesamt knapp 2 000 Parteiausschlüssen mehr als 1 000 Parteimitglieder aus diesen Gründen ausgeschlossen worden zu sein (vgl. Nolzen, a.a.O., S. 970). Die Tätigkeit der Parteigerichte kann also selbst im Bereich der Ausschlussverfahren sehr profan gewesen sein. Setzt man die Zahl der Parteiausschlüsse zur Zahl der rund 1 Million NSDAP-Mitglieder in diesem Zeitraum ins Verhältnis, wären nur 0,2 % der Mitgliedschaft von einem Ausschluss betroffen gewesen, die prozentuale Zahl stieg auch nach 1933 kaum an (vgl. Nolzen, a.a.O., S.974, 986). Vor die örtlichen Parteigerichte kamen zudem ohnehin nur Fälle, bei denen die Tragweite der Handlung oder Unterlassung den Rahmen der Ortsgruppe nicht überschritt (vgl. Block, a.a.O., S. 78), dabei waren die NSDAP-Kreisgerichte für solche Ortsgruppen zuständig, bei denen wegen zu geringer Mitgliederzahl keine eigenen Ortsgerichte gebildet wurden.

29 Nach alldem trägt allein der Umstand einer Parteirichtertätigkeit auf Kreisebene den vom Verwaltungsgericht gezogenen Schluss auf ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht. Es kommt im Hinblick auf die Unwägbarkeiten der von den Parteigerichten getroffenen Entscheidungen (vgl. dazu zusammenfassend Roser, a.a.O., S. 147 f. sowie Nolzen, a.a.O., S. 974) vielmehr wesentlich darauf an, in welcher Weise der Vater des Klägers dieses Parteiamt ausgeübt hat. Feststellungen hierzu, die einen Anspruchsausschluss rechtfertigen können, fehlen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die auf den Angaben im NSDAP-Personalbogen zu Dr. K. beruhen und mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden sind, hat der Vater des Klägers sein Parteirichteramt zudem nur zeitlich begrenzt, nämlich von 1931 bis April 1934, ausgeübt. Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat im Revisionsverfahren ein Schreiben des Vaters des Klägers an den Reichsschatzmeister der NSDAP vorgelegt, in dem er noch im Februar 1939 als Vorsitzender des NSDAP-Kreisgerichts D. firmierte. Hieraus können sich möglicherweise Zweifel an der zeitlichen Eingrenzung durch das Verwaltungsgericht ergeben. Dagegen ist dies bei der ebenfalls vorgelegten Beurteilung von Dr. K. durch den Landgerichtspräsidenten, die vom 4. März 1944 datiert, ausgeschlossen. Dort wird zwar festgestellt, dass Dr. K. „bisweilen Übereifer in dem Bestreben seiner Partei zum Siege zu verhelfen“ zeige, doch liegt auf der Hand, dass mit „Partei“ in diesem Zusammenhang nicht die NSDAP gemeint war, sondern seine Mandanten bei seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar. Dem auf die Dauer des Parteirichteramts zielenden Vortrag der Vertreterin des Bundesinteresses kann allerdings im Revisionsverfahren ohnehin nicht weiter nachgegangen werden; denn mit diesem Vorbringen zeigt sie weder eine durch das Revisionsgericht korrigierbare Aktenwidrigkeit der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auf, noch beruft sie sich auf unangreifbare Feststellungen zur Zeitgeschichte, die als allgemeinkundige Tatsachen im Revisionsverfahren zu berücksichtigen sind (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. September 1968 - BVerwG 8 C 99.67 - BVerwGE 30, 225 <228>). Abgesehen davon würde selbst bei erwiesener Fortführung oder Wiederaufnahme der Parteirichtertätigkeit nach dem April 1934 ein Schluss von der Innehabung des Amtes auf ein erhebliches Vorschubleisten aus den dargestellten Gründen den Anforderungen von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht gerecht.

30 bb) Ebenso wenig kann aus den Funktionen, die der Vater des Klägers in der NSDAP-Kreisleitung von D. innehatte, auf ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems geschlossen werden.

31 Es kann offenbleiben, ob ein solcher Schluss bei einem NSDAP-Kreisleiter möglich wäre. Der Vater des Klägers hatte als Kreisamtsleiter für Gemeindepolitik und für den Juristenbund sowie als Kreisrechtsstellenleiter jedenfalls lediglich nachgeordnete Funktionen in der NSDAP-Kreisleitung von D. inne. Den verschiedenen Ämtern innerhalb einer Kreisleitung kam je nach den mit einem konkreten Amt verbundenen Aufgaben und damit einhergehenden Befugnissen und Einflussmöglichkeiten ein sehr unterschiedlicher Stellenwert bei der Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie und Politik auf Kreisebene zu. Dies muss auch im Rahmen der Bewertung nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG seinen Niederschlag finden. Ein undifferenziertes Abstellen allein auf die Funktion als Kreisamtsleiter wird den Anforderungen dieses Ausschlusstatbestandes nicht gerecht.

32 Die Parteikreise der NSDAP, an deren Spitze der NSDAP-Kreisleiter stand, wurden in der reichseinheitlichen Neuorganisation seit 1932 von ihrer räumlichen Ausdehnung her systematisch den unteren staatlichen Verwaltungseinheiten, wie etwa den preußischen Landkreisen, den sächsischen Amtshauptmannschaften, den bayerischen Bezirken und den württembergischen Oberämtern angepasst. 1935 bestanden auf dem Gebiet des Deutschen Reichs 855 solcher Parteikreise. Die NSDAP-Kreisleitungen wiesen auf der Grundlage der parteiinternen Regelungen weitgehend die gleiche Organisationsstruktur auf (vgl. zum Organisationsgefüge der NSDAP auf Kreisebene: Roth, Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, S. 115 ff.; Fait, Die Kreisleiter der NSDAP - nach 1945, in: Broszat u.a., Von Stalingrad zur Währungsreform, Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland S. 220 ff.). Für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Politik im Kreis bedeutsamer war der engere Stab des NSDAP-Kreisleiters, zu dem etwa der Kreisgeschäftsführer und die Leiter des Personal- und Organisationsamtes und des Kreisschulungs- und Kreispropagandaamtes zählten. Von diesem engeren Stab sind die bis zu 30 weiteren regelmäßig ehrenamtlich tätigen Kreisamtsleiter zu unterscheiden. Einige von ihnen hatten sich um bestimmte gesellschaftliche oder Berufsgruppen zu kümmern, wie der Kreisamtsleiter für den Juristenbund (vgl. Roth, a.a.O., S. 121 f.; Fait, a.a.O., S. 221). Ihre Bedeutung war zumeist gering. Nicht anders lag es bei dem Kommunalamtsleiter. Er hatte in erster Linie den NSDAP-Kreisleiter in kommunalpolitischen Angelegenheiten zu beraten und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben als Parteibeauftragter nach der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 zu unterstützen. Insoweit war sein Tätigkeitsbereich relativ eng begrenzt. Daneben oblag ihm vor allem die Durchführung von Schulungskursen für Bürgermeister und sonstige Kommunalpolitiker, auch soweit sie der NSDAP nicht angehörten. Auch nach der Einführung der Deutschen Gemeindeordnung blieben die kommunalpolitischen Ämter von selbständigen Eingriffen in die Verwaltung ausgeschlossen, sie konnten keine personalpolitischen Entscheidungen fällen und konnten sich in kommunalpolitischen Angelegenheiten nur über die Vermittlung des NSDAP-Kreisleiters an die zuständigen Behörden wenden. Über die Berichterstattung an das fachlich übergeordnete Gauamt übten sie außerdem eine Überwachungs- und Kontrollfunktion aus (vgl. Roth, a.a.O., S. 219 f.). All dies reicht für einen Schluss auf ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems nicht aus. Dasselbe gilt für die Funktion eines Kreisrechtsstellenleiters.

33 c) Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung weiter darauf gestützt, dass es Dr. K. auch durch seine Ämter als Stadtrat bzw. Stadtverordneter möglich gewesen sei, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen und sie im Sinne des Nationalsozialismus mitzugestalten. Dieser Schluss aus der Innehabung eines kommunalen Mandats auf Unwürdigkeit im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG erweist sich ebenfalls als nicht tragfähig.

34 Entscheidend dafür, ob der Vater des Klägers durch seine Stellung im Stadtrat dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat, ist, wie der Betreffende sein Amt ausgeübt hat (so bereits BGH, Urteil vom 4. August 1958 - IV ZR 56/58 - RzW 1958, 405 <406>). Darüber enthält das angegriffene Urteil nichts. Das Verwaltungsgericht lässt zudem unberücksichtigt, dass in der NS-Zeit die Einflussmöglichkeiten von Gemeinderäten selbst auf das örtliche politische Geschehen in mehrfacher Hinsicht erheblich relativiert waren. Die Reichweite der kommunalen Selbstverwaltung war im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik zugunsten zentralstaatlicher Befugnisse beschränkt worden. Hinzu traten direkte und indirekte Zugriffsmöglichkeiten der NSDAP und ihrer Organisationen auf die Kommunalverwaltungen (vgl. u.a. Ulbricht, Kommunalverfassung und Kommunalpolitik, in: Vollnhals <Hrsg.>, Sachsen in der NS-Zeit, 2002, S. 88 ff.). Zudem waren den Gemeinderäten im internen Kompetenzgefüge der Kommunen nur begrenzte Befugnisse verblieben. Sie durften keinerlei Beschlüsse fassen, sondern hatten allein beratende Funktion (vgl. Gern, Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, Rn. 35 und Vogelgesang u.a., Kommunale Selbstverwaltung, 3. Aufl. 2005 Rn. 18; s. auch BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1960 - 2 BvR 373, 442/60 - BVerfGE 11, 266 <275>). Danach sind die wesentlichen Entscheidungen auf kommunaler Ebene - dies gilt verstärkt für die Kriegszeit - nicht in den Gemeindevertretungen gefallen.

35 d) Ein erhebliches Vorschubleisten ergibt sich ebenfalls nicht aus dem Amt als Kreisführer des Deutschen Roten Kreuzes, das der Rechtsvorgänger des Klägers von 1938 bis 1945 innehatte. Zu Recht hatten weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht die Unwürdigkeitsfeststellung hierauf gestützt. Soweit die Vertreterin des Bundesinteresses im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, dass der Verband zur NS-Zeit gleichgeschaltet gewesen sei und dessen Kreisebene die dritte Stufe in der verbandsinternen Hierarchie gebildet habe, genügt dies nicht für die Annahme, dass bereits die Innehabung der Funktion spezifische Ziele des nationalsozialistischen Systems nicht unerheblich gefördert habe.

36 e) Dass Dr. K. 1943 für das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ohne Schwerter vorgeschlagen wurde und es auch erhalten hat, lässt im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls keinen Rückschluss zu. Nach der Präambel der Verordnung über die Stiftung des Kriegsverdienstkreuzes vom 18. Oktober 1939 (RGBl I S. 2069) sollte das Kriegsverdienstkreuz ein Zeichen der Anerkennung für Verdienste im Krieg sein, die keine Anerkennung durch das Eiserne Kreuz finden konnten. Gemäß Art. 3 Buchst. b der Verordnung wurde das Kriegsverdienstkreuz ohne Schwerter für besondere Verdienste bei Durchführung von sonstigen Kriegsaufgaben verliehen, bei denen ein Einsatz unter feindlicher Waffenwirkung nicht vorlag. Ein hinreichender Bezug zum hier in Rede stehenden Ausschlusstatbestand des erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems ist bereits wegen dieser allgemein gefassten Verleihungsvoraussetzungen aus dem Umstand der Verleihung allein nicht zu entnehmen. Zum Grund für die Verleihung an Dr. K. ist nichts festgestellt. Gegen eine Relevanz für den Ausschlusstatbestand unter dem Blickwinkel der Erheblichkeit des Vorschubleistens spricht, dass das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse in der Zeit von 1939 bis 1945 in über 2 Mio. Exemplaren verliehen wurde.

37 4. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verstößt ebenfalls gegen Bundesrecht, soweit die Unwürdigkeit von Dr. K. im Wege einer Vermutung aus der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 zur Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946 S. 184) hergeleitet wird.

38 § 1 Abs. 4 AusglLeistG weist nicht die erforderlichen Anhaltspunkte für die Vermutungswirkung auf, die das Verwaltungsgericht der Einordnung der Funktionen nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 beigelegt hat und die nach seiner Auffassung erst dann entfallen soll, wenn sich eine oppositionelle Haltung des Betreffenden in überprüfbarer Art und Weise manifestiert hat. Der Wortlaut von § 1 Abs. 4 AusglLeistG enthält keine Grundlage für eine solche Vermutung. Ebenso wenig wird für den Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens in der Gesetzesbegründung zum Ausgleichsleistungsgesetz ein Bezug zu den für die Entnazifizierung geltenden Regelungen hergestellt. Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 12/4887 S. 38) soll die Vorschrift verhindern, dass diejenigen, die die Verantwortung für die jetzt zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen tragen, das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen. Entsprechende Ausschlüsse fänden sich in allen vergleichbaren gesetzlichen Regelungswerken, wie z.B. im Bundesentschädigungsgesetz oder im Lastenausgleichsgesetz. Verwiesen wird also allenfalls auf die sonstige Wiedergutmachungsgesetzgebung.

39 Hinzu kommt, dass sich die Ziele, die der Ausschlussregelung in § 1 Abs. 4 AusglLeistG einerseits und den Maßnahmen im Zuge der Entnazifizierung andererseits zugrunde lagen, nicht decken. Mit dem Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG soll - wie bereits ausgeführt - verhindert werden, dass die Hauptverantwortlichen das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen. Dagegen lag der Entnazifizierung als wesentliches Ziel die Abwehr von Gefahren zugrunde, die sich von den durch ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus Belasteten für den Neuaufbau ergeben konnten (so bereits BVerwGE 123, 142 <148>).

40 Schließlich spricht gegen eine Vermutungswirkung, dass auch nach der Kontrollratsdirektive eine Einstufung als Hauptschuldiger lediglich den Einstieg in das Entnazifizierungsverfahren bedeutete, dagegen die endgültige Einstufung und Sanktionierung des Betreffenden noch nicht vorgab. Nach der Einleitung zu Abschnitt I des Anhangs, der die Funktionen aufzählt, die zur Kategorie der Hauptschuldigen gerechnet werden, war bei den dort genannten Personengruppen deren Verstrickung sorgfältig zu prüfen. Erst wenn die Ergebnisse der Untersuchung eine Anklage notwendig machten, musste gegen diese Personen als Hauptschuldige verhandelt werden und sie mussten, falls sie schuldig befunden wurden, bestraft werden. Ein entsprechendes Prüfungserfordernis galt nach der Einleitung zu Abschnitt II des Anhangs für die Kategorie der Belasteten. Auch die praktische Umsetzung der Kontrollratsdirektive Nr. 38 belegt, dass sich trotz Innehabung der gleichen Funktionen nach dem Durchlaufen des vorgesehenen Überprüfungsverfahrens eine höchst unterschiedliche Zuordnung zu einer der Kategorien ergab. Zeitgeschichtliche Studien zur Entnazifizierung von NSDAP-Kreisleitern, von Personen also, die - wie ausgeführt - in der NS-Hierarchie eine deutlich herausgehobenere Position als der Vater des Klägers innehatten, ergeben, dass diese, je nach ihrem Verhalten und der Art und Weise ihrer Amtsführung, ebenso aber in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Entnazifizierungsentscheidung zwar teils durchaus in die Kategorien der Hauptschuldigen oder der Belasteten eingestuft wurden, in weiteren Fällen aber auch nur als Mitläufer und in Einzelfällen sogar als Entlastete angesehen wurden (vgl. u.a. Fait, a.a.O., S. 228 ff.; Klefisch, Die Kreisleiter der NSDAP in den Gauen Köln-Aachen, Düsseldorf und Essen, S. 25 ff.; Stelbrink, Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe, S. 107).

41 Aus all dem folgt, dass die Einstufung entsprechender Funktionen nach dem Anhang zur Kontrollratsdirektive Nr. 38 zwar Anhaltspunkte für die Unwürdigkeit im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG geben kann. Sie kann eine Einzelbetrachtung und -bewertung aber nicht ersetzen.

42 5. Der Senat konnte in der Sache abschließend entscheiden; eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht zur weiteren Sachaufklärung war nicht geboten.

43 Bereits im Verwaltungsverfahren hatte die Beklagte Anfragen an Archive auf Landes- und Bundesebene nach Erkenntnissen zum Verhalten des Vaters des Klägers während der NS-Zeit gerichtet. Darüber hinaus hatte der Kläger sowohl im Verwaltungs- als auch im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren Unterlagen beigebracht und ergänzend vorgetragen. An die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist die Revisionsinstanz vorbehaltlich durchgreifender Verfahrensrügen, die hier nicht erhoben wurden, gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Dass sich bei einer Zurückverweisung zusätzliche entscheidungserhebliche Erkenntnisse über Einzelheiten der Amtsausübung durch den Vater des Klägers ergeben könnten, hat keiner der Beteiligten geltend gemacht. Im Widerspruchsbescheid wird vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr aufgeklärt werden könne, welche Handlungen Dr. K. tatsächlich im Einzelnen vorgenommen habe.

44 Der von der Vertreterin des Bundesinteresses im Revisionsverfahren vorgelegte Auszug aus einer Stadtchronik von D. ist nicht entscheidungserheblich. Dort wird berichtet, dass SS-Angehörige in D. noch am 8. Mai 1945 einen Wehrmachtsangehörigen als Deserteur hingerichtet hätten. Dabei hätten sie aus dem Haus von Dr. K. ein Schild geholt und dem Hingerichteten umgehängt. Dem kann schon deshalb keine Relevanz für die Unwürdigkeitsfeststellung in Bezug auf den Vater des Klägers zukommen, weil er sich zu diesem Zeitpunkt in Kriegsgefangenschaft befand, aus der er erst im Oktober 1945 wieder entlassen wurde.

45 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.