Beschluss vom 19.06.2003 -
BVerwG 1 DB 11.03ECLI:DE:BVerwG:2003:190603B1DB11.03.0

Beschluss

BVerwG 1 DB 11.03

  • BDiG, Kammer XVIII - ... -, - 24.07.2002 - AZ: BDiG XVIII BK 6/02 -

In dem Verfahren hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht H e e r e n und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H. M ü l l e r
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Vorstands der Deutschen Telekom AG
  2. wird der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XVIII - ... -, vom 24. Juli 2002 aufgehoben.

I


Durch Urteil vom 2. Dezember 1992 entfernte das Bundesdisziplinargericht die frühere Beamtin aus dem Dienst, ohne ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen. Die hiergegen von der früheren Beamtin eingelegte Berufung wurde durch Senatsurteil vom 15. Februar 1995 - BVerwG 1 D 13.93 - mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihr ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten zugesprochen wurde. Zuletzt war ihr mit Beschluss des Bundesdisziplinargerichts vom 11. Juni 1996 ab dem 1. April 1996 für sechs Monate ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 65 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts weiter bewilligt worden.
Mit Schreiben vom 17. Juni 2002 beantragte die frühere Beamtin beim Bundesdisziplinargericht die Wiederbewilligung eines Unterhaltsbeitrages. Durch Beschluss vom 24. Juli 2002 erklärte sich das Bundesdisziplinargericht für sachlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Verwaltungsgericht M. Zur Begründung führte es aus, die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ergebe sich aus § 85 BDG, da ein so genannter "Altfall" nicht vorliege und eine analoge Anwendung auf so genannte "Annex-Fälle" angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ausscheide. Der Verweisungsbeschluss sei nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG unanfechtbar. Eine Rechtsmittelbelehrung wurde nicht erteilt.
Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2003, am Folgetag beim Bundesdisziplinargericht eingegangen, hat der Vorstand der Deutschen Telekom AG gegen den Beschluss des Bundesdisziplinargerichts Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts sei der Beschluss gemäß § 79 BDO i.V.m. § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG innerhalb eines Jahres anfechtbar. Aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - ergebe sich eindeutig die sachliche Zuständigkeit des Bundesdisziplinargerichts für Anträge auf Weiterbewilligung von Unterhaltszahlungen. Auch andere Kammern des Bundesdisziplinargerichts hätten in gleich gelagerten Fällen sachlich über derartige Anträge entschieden. Das Verwaltungsgericht M. sandte daraufhin die Gerichtsakten an das Bundesdisziplinargericht zur weiteren Veranlassung zurück. Der Vorsitzende der Kammer XVIII - ... - des Bundesdisziplinargerichts richtete danach am 21. Mai 2003 folgendes Schreiben an das Verwaltungsgericht M.:
"In der Disziplinarsache der früheren Fernmeldeobersekretärin ... sind auch Sie an Gesetz und Recht gebunden, so dass Sie bei feststehender Bindung die Sache nicht an das Bundesdisziplinargericht zurücksenden können, zudem das Bundesverwaltungsgericht gerade am 17. Februar 2003 (Az.: 1 DB 2.03 ) die Bindung an den Verweisungsbeschluss bestätigt hat".
Handschriftlich hatte der Vorsitzende hinzugefügt: "Die Lektüre des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2003 (Az.: 1 DB 2.03 ) wird dringend empfohlen".
Das Verwaltungsgericht M. wertete das Schreiben als Nichtabhilfe im Sinne des § 79 Abs. 3 Satz 1 BDO und legte die Beschwerde vom 13. Mai 2003 dem Bundesverwaltungsgericht - hier eingegangen am 2. Juni 2003 - zur Entscheidung vor.

II


Die statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.
Entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts ist die Beschwerde gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft (zur analogen Anwendung der §§ 17 a und 17 b GVG vgl. Beschluss vom 15. Oktober 1993 - BVerwG 1 DB 34.92 - <BVerwGE 103, 26>). Diese Vorschrift eröffnet die Beschwerde gegen einen Verweisungsbeschluss nicht einheitlich für alle Verfahrensordnungen, sondern die (sofortige) Beschwerde ist nur "nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben". § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG regelt die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde konstitutiv und verweist lediglich wegen der weiteren Verfahrensvoraussetzungen dieses Rechtsmittels auf die Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung (vgl. Kissel, GVG, 3. Aufl., § 17 Rn. 36 i.V.m. 25; Albers in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 17 a GVG Rn. 13).
Die hier anzuwendende Verfahrensordnung ist die Bundesdisziplinarordnung und nicht das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Bundesdisziplinargesetz. Nach dem Beschluss des Senats vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - (DokBer B 2002, 95 = DÖD 2002, 97 = ZBR 2002, 436) richtet sich die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags auch nach dem In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach dem bisher geltenden Recht (§§ 110, 77 BDO), wenn die Erstbewilligung - wie hier - auf § 77 BDO beruht. An dieser Entscheidung, mit der sich das Bundesdisziplinargericht in dem angefochtenen Verweisungsbeschluss inhaltlich nicht auseinander setzt, hält der Senat fest. Danach muss die eingelegte Beschwerde die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 79 BDO erfüllen.
Die Beschwerde des Vorstands der Deutschen Telekom AG nach § 79 BDO ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt. Da der Verweisungsbeschluss vom 24. Juli 2002 keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, betrug die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels gemäß § 24 Abs. 2 BDO ein Jahr. Diese Frist ist eingehalten. Der Vorstand der Deutschen Telekom AG ist zur Einlegung der Beschwerde auch berechtigt. Als oberste Dienstbehörde ist er sogar neben der betroffenen früheren Beamtin ausschließlich beschwerdebefugt (so bereits Beschluss vom 22. Mai 1969 - BVerwG 1 DB 7.69 - <BVerwGE 33, 285>). Ihm fehlt entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts auch nicht die erforderliche Beschwer. Weil jede Partei gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ein Recht auf den gesetzlichen Richter hat und sich aus den einzelnen Verfahrensordnungen rechtlich erhebliche Unterschiede ergeben, ist auch durch eine Rechtswegentscheidung eine materielle Beschwer möglich (vgl. Wolf in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Rn. 32 zu § 17 a GVG). Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen einer ausdrücklich vorgetragenen Auffassung nicht entsprochen wurde oder der Betroffene - wie hier - infolge der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs seine von der des Gerichts abweichende Auffassung erst nachträglich vortragen konnte, so dass auch eine formelle Beschwer gegeben ist.
Nach den Einschränkungen des § 79 Abs. 1 BDO ist die Beschwerde hier nicht ausgeschlossen. § 79 Abs. 1 1. Halbsatz BDO erklärt die Beschwerde gegen nicht endgültige Beschlüsse des Bundesdisziplinargerichts für zulässig. Hier handelt es sich um einen nicht endgültigen Beschluss, weil es an einer dem § 83 Satz 2 VwGO entsprechenden Vorschrift fehlt (zu dem anders gelagerten Fall, dass sich die sachliche Zuständigkeit nach neuem Recht richtet und § 83 Satz 2 VwGO über § 3 BDG Anwendung findet, vgl. Beschluss vom 17. Februar 2003 - BVerwG 1 DB 2.03 ). Der 2. Halbsatz des § 79 Abs. 1 BDO nimmt zwar "Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen", von der Beschwerde aus, soweit es sich nicht um bestimmte in diesem 2. Halbsatz aufgezählte Fälle handelt, von denen hier keiner vorliegt. Die Verweisung wegen Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs ist jedoch keine Entscheidung, die das Urteil nur vorbereiten soll, und damit keine Entscheidung, die der Urteilsfällung im Sinne von § 79 BDO vorausgeht (vgl. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 79 Rn. 7 mit Hinweis auf BDHE 5, 140 <142>; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 305 Rn. 1, 4). Die Verweisung steht nicht in einer späteren Entscheidung des Spruchkörpers zur erneuten Überprüfung an, sondern äußert selbstständige prozessuale Wirkungen.
Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, dem Bundesdisziplinargericht vor der Entscheidung über die Beschwerde Gelegenheit zu einer formgerechten Abhilfeentscheidung zu geben. Zwar kann die Stellungnahme des Vorsitzenden der Kammer XVIII - ... - des Bundesdisziplinargerichts vom 21. Mai 2003 inhaltlich als Nichtabhilfe im Sinne des § 79 Abs. 3 Satz 1 BDO gewertet werden. Hierzu ist der Vorsitzende jedoch nicht allein berechtigt, vielmehr wäre ein Beschluss der Kammer herbeizuführen gewesen (§ 50 Abs. 2 Satz 1 BDO). Die durch die Rückgabe der Akte zum Zwecke der Nachholung einer formgerechten Abhilfeentscheidung eintretende Verfahrensverzögerung wäre jedoch gerade im vorliegenden Falle, in dem die Betroffene Unterhaltszahlungen begehrt, nicht zu vertreten (vgl. auch Beschluss vom 29. Juni 1995 - BVerwG 1 DB 12.95 - Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 1 = DokBer B 1995, 265). Der Vorsitzende der Kammer XVIII des Bundesdisziplinargerichts hat auch so deutlich genug zum Ausdruck gebracht, dass er zur Herbeiführung einer Sachentscheidung ohne förmliche Abhilfeentscheidung und gegebenenfalls sich anschließende Beschwerdeentscheidung nicht gewillt ist.
Die Beschwerde ist begründet und der angefochtene Beschluss vom 24. Juli 2002 aufzuheben. Da nach der Rechtsprechung des Senats sich die Verfahren der vorliegenden Art weiterhin nach der Bundesdisziplinarordnung richten, ist das Bundesdisziplinargericht weiter zur Entscheidung über den Antrag gemäß § 110 Abs. 2 BDO berufen. Das Verfahren über die Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrags bleibt danach weiterhin beim Bundesdisziplinargericht anhängig und ist zu bescheiden.
Nach § 116 Abs. 1 BDO war eine Kostenentscheidung nicht zu treffen.