Beschluss vom 19.04.2004 -
BVerwG 4 BN 9.04ECLI:DE:BVerwG:2004:190404B4BN9.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.04.2004 - 4 BN 9.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:190404B4BN9.04.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 9.04

  • Bayerischer VGH München - 12.11.2003 - AZ: VGH 2 N 02.544

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin beilegt. Es besteht kein Anlass zur Klärung der Frage der "Antragsbefugnis eines Grundstückseigentümers außerhalb des Plangebiets, der durch die als Satzung zur Norm erwachsende Planung in seiner Rechtsposition hinsichtlich der von seinem Grundstück einzuhaltenden Abstandsflächentiefe betroffen ist".
Antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, wer sich auf einen abwägungserheblichen Belang berufen kann. Gibt es einen solchen Belang, so besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Berücksichtigungsbedürftig sind indes nicht alle beliebigen privaten Belange. Außer Betracht bleiben dürfen solche, die in der konkreten Planungssituation als städtebaulich irrelevant einzustufen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87, Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215, Beschluss vom 22. August 2000 - BVerwG 4 BN 38.00 - NVwZ 2000, 1413).
Das Normenkontrollgericht hat sich an dieser Rechtsprechung orientiert. Es hat nicht in Abrede gestellt, dass das Interesse eines Grundeigentümers, eine Bebauung abzuwehren, die bestimmte Abstände nicht einhält, zu den Belangen gehören kann, denen im Rahmen des Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 6 BauGB Rechnung zu tragen ist. Die Möglichkeit einer Verletzung zu Lasten der Antragstellerin hat es indes deshalb verneint, weil es das Interesse, vor der Errichtung eines Gebäudes mit einer maximalen Wandhöhe von 16,30 m auf der gegenüber liegenden Straßenseite bewahrt zu bleiben, als geringwertig und nicht schutzwürdig eingestuft hat. Dass geringwertige Interessen ebenso wie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, nicht in die Abwägung eingestellt zu werden brauchen, entspricht der bereits zitierten Rechtsprechung des Senats und bedarf keiner erneuten Bestätigung in einem Revisionsverfahren.
Die Antragstellerin zeigt nicht auf, inwiefern der anhängige Rechtsstreit durch Besonderheiten gekennzeichnet sein könnte, die im Fall einer Zulassung der Revision Erkenntnisse erwarten lassen, die über den bisherigen Stand der Rechtsprechung hinausreichen. Ihre These, das bayerische Abstandsflächenrecht gewährleiste Rechtspositionen, die in der Bauleitplanung zwangsläufig als Abwägungsposten zu Buche schlügen und im Normenkontrollverfahren eine Antragsbefugnis begründeten, trifft so nicht zu. Den landesrechtlichen Abstandsflächenregelungen wird zwar gemeinhin nachbarschützender Charakter zuerkannt. Abwehrrechte vermitteln sie jedoch nur nach Maßgabe ihrer tatbestandlichen Reichweite. Die Antragstellerin weist selbst darauf hin, dass Art. 7 Abs. 1 BayBO es zulässt, die Festsetzungsmöglichkeiten, die das Städtebaurecht bietet, dafür zu nutzen, die Abstandsflächentiefe zu verkürzen. Sie räumt auch ein, dass hierbei das Nachbarinteresse, das für eine Beibehaltung der in § 6 Abs. 4 und 5 BayBO für den Regelfall vorgeschriebenen Tiefe spricht, und die öffentlichen Interessen, die eine Verkleinerung der Abstandsflächenmaße rechtfertigen, nach § 1 Abs. 6 BauGB gegeneinander abzuwägen sind.
Hat das durch das Abstandsflächenrecht geschützte Nachbarinteresse bei Festsetzungen in einem Bebauungsplan die Qualität eines Abwägungsbelangs, so ist es einer Bewertung nach den zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen zugänglich. Drittschützende Wirkung entfaltete es lediglich insoweit, als es für die Abwägung relevant ist. An diesem Merkmal fehlt es, wenn es im Sinne der Senatsrechtsprechung geringwertig oder nicht schutzwürdig ist.
Das Normenkontrollgericht legt unter Hinweis auf die spezifische städtebauliche Situation, in die die Antragsgegnerin hineingeplant hat, im Einzelnen dar, weshalb die baulichen Veränderungen, die durch den angegriffenen Bebauungsplan in der Nachbarschaft des Grundstücks der Antragstellerin ermöglicht werden, nicht geeignet sind, schützenswerte Erwartungen zu enttäuschen oder nennenswerte Nachteile mit sich zu bringen. Die Antragstellerin beschränkt sich letztlich darauf, dieser Würdigung ihre hiervon abweichende Einschätzung entgegenzusetzen. Ob das Normenkontrollgericht das von ihr geltend gemachte Interesse unterbewertet hat, kann indes nur auf der Grundlage einer einzelfallbezogenen Betrachtung beurteilt werden, die keine verallgemeinerungsfähigen Schlüsse zulässt.
Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Das Normenkontrollgericht hat nicht dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO verstoßen, dass es nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO über den Antrag der Antragstellerin nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat.
Der Senat hat im Urteil vom 16. Dezember 1999 - BVerwG 4 CN 9.98 - (BVerwGE 110, 203) in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entnommen, dass in einem Normenkontrollverfahren, in dem sich der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung in einem Bebauungsplan wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, eine öffentliche mündliche Verhandlung stattzufinden hat. Im Beschluss vom 30. Juli 2001 - BVerwG 4 BN 41.01 - (NVwZ 2002, 87) hat er klargestellt, dass die in der Entscheidung vom 16. Dezember 1999 dargelegten Grundsätze nicht ohne weiteres auch dann anwendbar sind, wenn ein Bebauungsplan von einem Eigentümer angegriffen wird, dessen Grundstück außerhalb des Plangebiets liegt. Ob Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auch bei einem solchen Sachverhalt eine mündliche Verhandlung gebietet, hängt davon ab, ob und inwieweit die planerische Festsetzung über den Planbereich hinaus unmittelbar auf das Grundeigentum einwirkt. Eine bloß mittelbare Betroffenheit mit zudem geringer Intensität reicht nach der vom Senat im Beschluss vom 30. Juli 2001 zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte grundsätzlich nicht aus, um einen Anwendungsfall des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK anzunehmen. Dies gilt nach dem Senatsurteil vom 16. Januar 2003 - BVerwG 4 CN 8.01 - (NVwZ 2003, 730) erst recht, wenn sich der Normenkontrollantrag als unzulässig erweist. Nur ein gegen die Festsetzungen eines Bebauungsplans gerichteter zulässiger Antrag ist geeignet, die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu erfüllen. Bei einem unzulässigen Antrag kommt dagegen die Möglichkeit, dass die gerichtliche Entscheidung in der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte näher beschriebenen Weise auf das Grundeigentum einwirkt, von vornherein nicht in Betracht.
Das Normenkontrollgericht hat den Normenkontrollantrag der Antragstellerin mangels Antragsbefugnis als unzulässig qualifiziert. Die Antragstellerin widerspricht zwar dieser Wertung. Ihre hiergegen gerichteten Angriffe greifen jedoch, wie ausgeführt, nicht durch. Das Normenkontrollgericht war mithin von seinem rechtlichen Ansatz her berechtigt, von dem Ermessen, das ihm § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO einräumt, in der Weise Gebrauch zu machen, dass es von einer mündlichen Verhandlung absah.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.