Beschluss vom 19.03.2009 -
BVerwG 5 B 106.08ECLI:DE:BVerwG:2009:190309B5B106.08.0

Beschluss

BVerwG 5 B 106.08

  • VG Berlin - 18.09.2008 - AZ: VG 29 A 183.07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und Dr. Störmer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. September 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen führt weder auf den Zulassungsgrund der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch auf einen dem Urteil anhaftenden Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2 1. Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, „welchen Anwendungsbereich § 1 Abs. 2 Satz 1 des DDR-EErfG hat und ob § 4 der Konzernverordnung davon erfasst wird“. Klärungsbedürftig sei auch, „wie sich diese entsprechend anzuwendende Entschädigungsvorschrift zu anderen Entschädigungs- bzw. Ausgleichsregelungen des Entschädigungsgesetzes und des EALG verhält“. Soweit diese Fragestellung klärungsfähig ist, bedarf es zu ihrer Beantwortung auf der Grundlage der (unstreitigen) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht der Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens.

3 a) Es lässt sich bereits - wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat - im Wege der Auslegung ermitteln, dass es sich bei der in § 4 der Konzernverordnung vom 10. Mai 1949 vorgesehenen Entschädigungsregelung (wonach - soweit nicht Fälle von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten in Rede standen - Art und Höhe der Entschädigung vom „Magistrat von Groß-Berlin“ nach Recht und Billigkeit festgesetzt würden - Abs. 1 -, aber der Entschädigungsanspruch bis zur gesamtdeutschen Regelung des inneren Lastenausgleichs ruhte - Abs. 2 -) nicht um eine Entschädigung handelt, die i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 DDR-EErfG „im Beitrittsgebiet bei Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage vorgesehen“ war. Dies ergibt sich schon daraus, dass die zuletzt genannte Vorschrift zu einer entsprechenden Anwendung von § 1 Abs. 1 DDR-EErfG führt. Hiernach kann sich nämlich ein Anspruch auf Entschädigung gegen einen Träger öffentlicher Verwaltung nur dann richten, wenn dieser Anspruch „nach den zum Zeitpunkt der Enteignung in der früheren Deutschen Demokratischen Republik anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen nicht erfüllt worden“ ist. Die Nichterfüllung eines bestehenden (gesetzlichen) Entschädigungsanspruchs muss daher auch die Fälle des Absatzes 2 von § 1 DDR-EErfG kennzeichnen, um die vorgesehene Rechtsfolge auszulösen; nur dann treten keine Wertungswidersprüche auf und schließen die Fälle des Absatzes 2 eine ähnliche Schutzlücke wie die Fälle des Absatzes 1. Denn der Zweck des § 1 Abs. 2 DDR-EErfG besteht darin, eine vom Vermögensgesetz nicht befriedigend geregelte Schutzlücke zu schließen.

4 b) Der Sache nach ist die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen weitgehend schon in der vermögensrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfolgt, namentlich im vom Verwaltungsgericht herangezogenen Urteil vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 3.96 - (BVerwGE 101, 282). Daraus ergibt sich nämlich, dass für solche Fälle keine durch das DDR-Entschädigungserfüllungsgesetz zu schließende Schutzlücke vorlag, die wie das Streitverfahren dadurch gekennzeichnet sind, dass - erstens - eine Enteignung (nach der Konzernverordnung) auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt ist und - zweitens - kein Anhalt dafür auszumachen ist, dass im Einzelfall bereits durch deutsche Stellen in der Besatzungszeit oder später durch DDR-Stellen mit Hilfe normativer Entschädigungsregeln eine Entschädigung belegbar beabsichtigt war oder eine solche im Einzelfall sogar begonnen oder zumindest ernsthaft ins Auge gefasst worden ist. Nur unter der genannten Voraussetzung, dass ein Entschädigungsverfahren vor dem Beitritt der DDR „steckengeblieben“ (und daher vom vereinigungsbedingten Recht zu „vollenden“) ist, war nämlich eine Schutzlücke in Erwägung zu ziehen, die der Ausfüllung durch das DDR-Entschädigungserfüllungsgesetz bedurfte.

5 aa) Wie das Bundesverwaltungsgericht im vorbezeichneten Urteil vom 27. Juni 1996 (a.a.O.) auch und gerade für von der Konzernverordnung erfasste Enteignungsfälle entschieden hat, ist zwar kein Anhaltspunkt dafür auszumachen, dass die sowjetische Besatzungsmacht für mittelbar ausländisches Vermögen (sogar bei ausschließlich ausländischer Anteilseignerschaft) ein generelles Schutzversprechen gegenüber deutschen Enteignungen ausgesprochen hatte, aber gleichwohl die Umstände des Einzelfalls ergeben können, dass durch konkrete Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht ein konkretes Enteignungsverbot verlautbart worden ist, welches für eine gleichwohl durchgeführte Enteignung den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang unterbrochen hat (Urteil vom 27. Juni 1996 a.a.O. S. 284). Entsprechendes gilt für alle besatzungshoheitlichen Enteignungen, für die ein (generelles bzw.) konkretes Enteignungsverbot der Besatzungsmacht in Betracht zu ziehen ist, ohne dass ein solches mit einer ausländischen Vermögensinhaberschaft bzw. Beteiligung zu begründen wäre (beispielsweise in Fällen eines Verbots aus politischen Gründen wie etwa einer belegbaren Nazigegnerschaft oder einer erwiesenen sozialistischen Grundeinstellung).

6 Dies bedeutet aber, dass auch und gerade für - vorbehaltlich einer einzigen sichtbaren, im Folgenden zu erörternden Gruppe von für das Streitverfahren nicht bedeutsamen Ausnahmen - alle Fälle, die von der Konzernverordnung erfasst worden sind, bereits vor dem Inkrafttreten des DDR-Entschädigungserfüllungsgesetzes eine hinreichende vermögensrechtliche Folgenbewältigung vorgelegen hat: Entweder war durch ein generelles oder konkretes Enteignungsverbot der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang unterbrochen, was zur Folge hat, dass eine gleichwohl erfolgte Enteignung zu einer vermögensrechtlichen Restitution führen konnte (etwa nach § 1 Abs. 3 VermG, vgl. das Urteil vom 27. Juni 1996 a.a.O. S. 287), oder der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang muss als gewahrt angesehen werden, was zur Folge hat, dass Restitutionen ausgeschlossen sind und die Geschädigten (indessen nur die natürlichen Personen) auf die Geltendmachung der Ansprüche auf Ausgleichsleistung beschränkt sind. Entgegen den Behauptungen der Beschwerde hat es hiermit - auch nach dem Inkrafttreten des DDR-Entschädigungserfüllungsgesetzes - sein Bewenden.

7 bb) Der vorbezeichnete Regelungszusammenhang lässt nur eine, vom DDR-Entschädigungserfüllungsgesetz zu schließende und geschlossene sichtbare Lücke, nämlich diejenige der als im deutschen Verständnis in der Besatzungszeit (bzw. späteren DDR-Verständnis) als „problematisch“ empfundenen Enteignungen, die deswegen normativ als entschädigungsbedürftig bewertet worden sind, ohne dass freilich eine Entschädigung tatsächlich erfolgt ist (bzw. ein begonnenes Entschädigungsverfahren „steckengeblieben“ ist). Dies zeigt sich vor allem in der Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 2 DDR-EErfG über die „zunächst freigestellten Beteiligungen von ausländischen Gesellschaftern an den“ besatzungsrechtlich bzw. -hoheitlich „enteigneten Unternehmensträgern“:

8 Den gesetzgebenden Organen waren ausweislich der Begründung zum Entschädigungsrechtsänderungsgesetz (BTDrucks 15/1180 S. 26) Fallgruppen bekannt, die durch ein solches normativ anerkanntes Entschädigungsbedürfnis für Enteignungen gekennzeichnet sind, welche entweder in der Besatzungszeit oder zwar später erfolgten, aber letztlich auf einen besatzungsrechtlichen bzw. -hoheitlichen Zusammenhang zurückzuführen waren. Bei solchen Enteignungen wäre es verfehlt, sie als - i.S.v. § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG - „entschädigungslos“ erfolgt zu verstehen, weswegen eine Rückgabe regelmäßig auch dann nicht in Betracht zu ziehen wäre, wenn die Enteignung nicht als besatzungsrechtliche oder -hoheitliche zu qualifizieren wäre, und folglich eine „Schutzlücke“ dann vorliegt, wenn eine versprochene Entschädigung bis zum Beitritt der DDR nicht festgesetzt oder ausgezahlt (der Anspruch mithin nicht erfüllt) worden ist.

9 Dies betrifft neben den Fällen von etwa Enteignungen im Apotheken- bzw. Lichtspieltheaterbereich (vgl. BTDrucks 15/1180 a.a.O. sowie die dort erwähnte Liste von einzelnen Vorschriften über zu entschädigende Enteignungen in: Motsch u.a., Kommentar zum EALG, § 1 AusglLeistG, Anlage nach Rn. 80) auch und gerade Vorschriften über ausländische Beteiligungen an enteigneten Unternehmen und deren Entschädigung. Diese und ähnliche frühere Vorschriften sind, wie vor allem der in § 1 Abs. 2 DDR-EErfG aufgegriffene Ausdruck der „freigestellten Beteiligungen von ausländischen Gesellschaftern“, der nach den Urteilsgründen bereits in einer DDR-Vorschrift aus dem Jahre 1956 enthalten war, zeigt, beredter Ausdruck dafür, dass zwar nach dem damaligen Rechtsverständnis oft die Enteignung des jeweiligen Unternehmens (die Enteignung des Unternehmensträgers um sein Unternehmen) als solche durchgesetzt werden bzw. Bestand behalten sollte, es aber gleichwohl als problematisch und deswegen als entschädigungsauslösend bewertet worden ist, wenn hiervon einzelne schutzbedürftige Unternehmensträger bzw. Anteilseigner betroffen waren. Speziell bei den zunächst (von den Enteignungswirkungen) „freigestellten“ ausländischen Beteiligungen setzte sich zwar die Einsicht durch, dass es praktischen Bedürfnissen besser entsprach, die ausländischen Anteilseigner - anstatt ihre Beteiligungen aufrechtzuerhalten - zu entschädigen, was aber gleichwohl regelmäßig unterblieb (vgl. BTDrucks 15/1808, S. 13).

10 Folgerichtig trägt § 1 Abs. 2 Satz 2 DDR-EErfG in spezieller Weise einem schutzbedürftigen Interesse bestimmter Anteilseigner Rechnung, während § 1 Abs. 2 Satz 1 DDR-EErfG allgemein solche Fälle regelt, die nach einem verlautbarten damaligen Selbstverständnis als entschädigungsbedürftig angesehen worden sind, was sich auch in (der Normierung bzw. Durchführung von) Entschädigungsverfahren ausgedrückt hat.

11 c) Die Klägerin hat sich im Übrigen weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren auf eine Zugehörigkeit zu einer im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich bezeichneten Gruppe (einschließlich betroffener ausländischer Anteilseigner) berufen. Auch auf ein sonstiges (generelles bzw.) konkretes, zu ihren Gunsten wirkendes (übergangenes) Enteignungsverbot der Besatzungsmacht hat sie sich niemals bezogen.

12 Es steht deshalb im Ergebnis, was nicht erst der Klärung durch ein Revisionsverfahren bedarf, fest, dass die Klägerin nicht von den begünstigenden Regelungen in § 1 Abs. 2 DDR-EErfG erfasst sein kann. Denn unbeschadet der Frage, ob § 4 der Konzernverordnung bereits zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens von vornherein als bloßes Scheinversprechen anzusehen war oder nicht (vgl. hierzu das Urteil vom 27. Juni 1996 a.a.O. S. 286 f.), ist weder von der Beschwerde dargelegt noch ansonsten ersichtlich, dass dieses äußerst unbestimmte, „ruhende“ - und auch nach dem Beschwerdevorbringen nicht nach dem Inkrafttreten bereits konkret ins Werk gesetzte - Entschädigungsversprechen später (bis zum Beitritt der DDR) normativ oder in der geübten Verwaltungspraxis in der Weise umgesetzt worden wäre, dass auch Entschädigungsbegehren nicht ausländischer bzw. ansonsten besonders geschützter Anteilseigner bzw. Betroffener als bescheidungsfähige Begehren entgegengenommen oder gar positiv beschieden worden wären. Nur unter diesen Voraussetzungen könnte nämlich davon die Rede sein, dass i.S.d. - gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 DDR-EErfG entsprechend anwendbaren - § 1 Abs. 1 Satz 1 DDR-EErfG ein „Anspruch auf Entschädigung nach den ... anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen nicht erfüllt worden“ ist.

13 2. Vor dem bezeichneten Hintergrund führt das Beschwerdevorbringen auch auf keinen beachtlichen Verfahrensmangel.

14 Das Verwaltungsgericht hätte den Bedeutungsgehalt der Entschädigungsregelung in § 4 der Konzernverordnung nur dann in der von der Beschwerde vermissten Weise näher aufklären müssen, wenn es die Auffassung der Klägerseite geteilt hätte, wonach bereits jede (unbestimmt) vorgesehene Entschädigung in einer besatzungszeitlichen Enteignungsgrundlage ohne Weiteres zu einem nicht erfüllten Entschädigungsanspruch im Sinne von § 1 DDR-EErfG führt. Diesen rechtlichen Standpunkt hat das Verwaltungsgericht indessen - wie dargelegt - gerade nicht eingenommen.

15 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

17 Die Streitwertbemessung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.