Beschluss vom 18.08.2008 -
BVerwG 10 B 34.08ECLI:DE:BVerwG:2008:180808B10B34.08.0

Beschluss

BVerwG 10 B 34.08

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 30.01.2008 - AZ: OVG 3 L 75/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. August 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde macht geltend, die angegriffene Entscheidung verstoße gegen § 124a Abs. 3 VwGO. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Beklagten mangels hinreichender Begründung verwerfen müssen, weil diese es versäumt habe, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung darzulegen. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keinen Verfahrensmangel auf, auf dem das angefochtene Urteil beruht.

3 Nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Der Wortlaut der Vorschrift, die nach ihrer Entstehungsgeschichte gewollte Anlehnung an die im verwaltungsprozessualen Revisionsrecht und im Zivilprozess für die Berufungsbegründung geltenden Anforderungen sowie der Zweck der Bestimmung, mit der Berufungsbegründungspflicht die Berufungsgerichte zu entlasten und dadurch das Berufungsverfahren zu straffen und zu beschleunigen, lassen erkennen, dass die Begründung substanziiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein muss. Sie hat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen auszuführen, weshalb das angefochtene Urteil, soweit dagegen die Berufung zugelassen wurde, nach Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss. Erfolgt die Berufungsbegründung durch die Bezugnahme auf den Zulassungsantrag und/oder den Zulassungsbeschluss, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich zulässig ist, müssen diese den genannten Anforderungen genügen. Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab (vgl. Beschluss vom 23. September 1999 - BVerwG 9 B 372.99 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 12 m.w.N.).

4 Lässt das Berufungsgericht die Berufung wegen Divergenz zu, ist der Berufungsführer in aller Regel davon entbunden, in der Berufungsbegründungsschrift über eine Bezugnahme auf den Zulassungsbeschluss hinaus weitere inhaltliche Ausführungen zur Begründung seiner Berufung zu machen. Denn in einem solchen Fall hat das Berufungsgericht die Vereinbarkeit des erstinstanzlichen Urteils mit seiner eigenen Rechtsprechung oder der Rechtsprechung eines anderen Gerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) bereits konkret geprüft und ist hierbei zu der Einschätzung gelangt, dass das angefochtene Urteil aus den mit dem Zulassungsbegehren geltend gemachten Gründen voraussichtlich keinen Bestand haben wird, weil es auf einer entscheidungserheblichen Abweichung beruht. Bezieht sich der Berufungsführer zur Begründung seiner Berufung auf diesen Beschluss, macht er sich die Einschätzung des Berufungsgerichts und die dafür maßgebenden Erwägungen zu eigen, ohne sie im Einzelnen wiederholen zu müssen. Damit wird regelmäßig hinreichend klargestellt, dass und warum das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. Dies genügt dem Zweck der Berufungsbegründungspflicht, durch klare prozessuale Kriterien zu einer Verkürzung und Beschleunigung des Berufungsverfahrens beizutragen (vgl. Urteil vom 23. April 2001 - BVerwG 1 C 33.00 - BVerwGE 114, 155 <158>).

5 Gemessen an diesen Grundsätzen liegt der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht vor. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 10. August 2007 die Berufung „gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zugelassen, nachdem die von der Beklagten zur Begründung des Zulassungsgrundes gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG aufgeworfene Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich und abweichend von der angefochtenen Entscheidung beantwortet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - 1 C 5.06 -)“. Diese Erwägung hat sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung vom 30. August 2007 mit dem Satz „Zur Begründung nehme ich Bezug auf die Gründe des Beschlusses vom 10.08.2007, mit dem der Senat die Berufung zugelassen hat“ zu eigen gemacht. Dies genügt unter den gegebenen Umständen den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung. Der Zulassungsbeschluss kann durch den Verweis auf § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG und die abweichende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur dahin verstanden werden, dass das Berufungsgericht die Berufung wegen Divergenz zugelassen hat. Im Zulassungsbeschluss finden sich zwar keine Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der Abweichung. Nachdem das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil die Aufhebung des Bescheids aber allein darauf gestützt hat, dass das Bundesamt nicht befugt gewesen sei, über etwaige Ansprüche der im Bundesgebiet geborenen Klägerin auf Asyl und/oder Abschiebungsschutz ohne einen entsprechenden Antrag der Klägerin zu entscheiden, und diese Auffassung - wie vom Berufungsgericht im Zulassungsbeschluss festgestellt - von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht, musste die Beklagte in der Berufungsbegründung nicht darlegen, dass der Bescheid des Bundesamts auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig ist.

6 2. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Rechtsfrage rechtfertigt ebenfalls keine Zulassung der Revision. Das Vorbringen genügt insoweit schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

7 Die Beschwerde hält in diesem Zusammenhang für grundsätzlich bedeutsam,
ob § 14a AsylVfG, soweit er anordnet, dass mit einer „Anzeige“ eines Sachverhalts (der Einreise oder der Geburt des Kindes) ein Asylantrag für das eingereiste oder geborene Kind als gestellt gilt, soweit diese Vorschrift also dem Kind eine Willenserklärung unterjubelt, die das Kind niemals abgeben wollte, mit dem Grundgesetz, insbesondere mit den Grundrechten nach Art. 1 bis 3 GG vereinbar ist.

8 Es fehlt jedoch an näheren Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Die Beschwerde unterstellt, dass eine fingierte Willenserklärung grundsätzlich gegen Art. 1 bis 3 GG verstößt, ohne sich in diesem Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen derartigen Grundrechtsverstoß näher auseinanderzusetzen und darzulegen, inwiefern trotz des Umstandes, dass der Betroffene den fingierten Antrag jederzeit zurücknehmen kann, und ungeachtet der zwischenzeitlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Anwendung der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 in Deutschland geborene Kinder keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Urteil vom 21. November 2006 - BVerwG 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161), weiterhin ein grundsätzlicher Klärungsbedarf anzunehmen ist. Allein der Umstand, dass die Beschwerde die Rechtsfolge des § 14a AsylVfG rechtspolitisch für verfehlt hält, genügt hierfür nicht.

9 Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.