Beschluss vom 18.05.2004 -
BVerwG 7 B 100.03ECLI:DE:BVerwG:2004:180504B7B100.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.05.2004 - 7 B 100.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:180504B7B100.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 100.03

  • VG Dresden - 25.06.2003 - AZ: VG 12 K 681/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 25. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Die Beigeladenen zu 2 bis 7 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Klägerin begeht nach dem Vermögensgesetz (VermG) die Rückübertragung von Grundstücken in Riesa bzw. die Feststellung, dass ihr der Erlös aus der Veräußerung der Grundstücke zusteht. Sie beruft sich darauf, dass zwar das frühere Zweigwerk in Riesa-Gröba auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sei; von der Enteignung seien aber die streitgegenständlichen Grundstücke nicht erfasst worden. Der faktische Zugriff auf die Grundstücke durch die Eintragung des Eigentums des Volkes im Grundbuch sei entgegen einem Enteignungsverbot der sowjetischen Besatzungsmacht vorgenommen worden. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil das Vermögensgesetz nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nicht anwendbar sei; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zwar zulässig. Die Beschwerdefrist ist gewahrt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist der damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 28. Juli 2003 zugegangen. Die per Fax eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist beim Verwaltungsgericht am 26. August 2003 eingegangen. In der Sache hat die Beschwerde aber keinen Erfolg. Weder liegen die gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vor, noch kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
1. Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), die sie damit begründet, dass das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe. Die Rüge greift nicht durch.
Die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet dem Gericht, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Allerdings lässt sich nicht jede unterbliebene Auseinandersetzung mit Parteivorbringen als Beleg für eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör werten. Dieses ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die nach seiner eigenen Einschätzung für den Prozessausgang von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE 86, 133 <145 f.>; Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.). Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt:
Eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör sieht die Klägerin darin, dass das Verwaltungsgericht ihren Vortrag zur "eindeutigen Begrenzung der Enteignung 1946 auf nur ein Flurstück (274 a) des Leipziger Unternehmens nicht zur Kenntnis" genommen habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass in dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils das Vorbringen der Klägerin ausdrücklich wiedergegeben ist, dass es sich bei dem Zugriff auf das Zweigwerk Riesa-Gröba (Flurstück Nr. 274 a) und demjenigen auf die streitigen Grundstücke um zwei unterschiedliche Vorgänge gehandelt habe und der eigentumsrechtliche Zugriff auf die Grundstücke (erst) durch die von nachgeordneten deutschen Stellen beantragte Grundbuchumschreibung erfolgt sei. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass der Einwand der Klägerin in die Erwägungen des Verwaltungsgerichts eingegangen ist. Denn die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass sich die Enteignung des vormaligen Zweigwerks auch auf die anderen Grundstücke "erstreckte", haben zur Voraussetzung, dass die Enteignung sich (nur) auf das Zweigwerk bezog und es deshalb zusätzlicher Begründung zur "Erstreckung" der Enteignung auch auf die weiteren Grundstücke in Riesa bedurfte. Soweit die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht sei nicht da-
rauf eingegangen, ob die Antragsteller mit den Grundbuchberichtigungsanträgen nach Erlass des SMAD-Befehls Nr. 64 "neuerlich überhaupt Konfiskationen mit besatzungsrechtlicher/-hoheitlicher Deckung vornehmen" konnten, führt dies ebenfalls nicht zu einem Gehörverstoß. Die Rüge zielt darauf, dass der Zugriff auf die Grundstücke mittels Grundbuchumschreibung gegen das in Ziffer 5 des Befehls Nr. 64 enthaltene Sequestrations- und Enteignungsverbot verstoßen habe. Dieser Einwand verkennt, dass das Verwaltungsgericht die "Erstreckung" der Enteignung auf die weiteren Grundstücke auf Nr. 2 der Ersten Vorordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 (Richtlinien Nr. 1) vom 28. April 1948 (abgedruckt bei Fieberg/Reichenbach, Enteignung und offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Band I, unter 2.4.10.1) gestützt hat. Aus der Bezugnahme auf Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Befehls Nr. 64 ergibt sich ohne weiteres, dass das Verwaltungsgericht den Zugriff auf die streitigen Grundstücke von vornherein nicht als von dem Sequestrationsverbot der Ziffer 5 des Befehls Nr. 64 erfasst angesehen hat.
Eine Verletzung des Rechts der Klägerin auf rechtliches Gehör ergibt sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht auf die Einwendungen der Klägerin gegen die Anwendung der Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Befehls Nr. 64 nicht eingegangen und keine Erwägungen darüber angestellt habe, ob die Vorschrift im konkreten Fall überhaupt habe sinnvoll angewendet werden können. Nach Auffassung der Klägerin ist dies nicht der Fall, weil nicht ein Unternehmen, sondern nur ein Teilbetrieb enteignet worden sie, so dass das Abgrenzungskriterium des wirtschaftlichen Zusammenhangs nicht passe. Auch wenn das Verwaltungsgericht hierauf nicht eingegangen ist, scheidet ein Gehörsverstoß aus, weil es sich nach dem Rechtsstandpunkt der Vorinstanz (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>; Urteil vom 20. No-vember 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.) nicht um erhebliche Einwendungen handelte. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 14.94 - BVerwGE 96, 253 <256 f.>) davon ausgegangen, dass es auf die Fehlerfreiheit der Enteignungsmaßnahme nicht ankommt. Ob der Vermögensverlust mit den damals geltenden Rechtsvorschriften inhaltlich im Einklang gestanden habe, sei - für die Zurechnung zum Veranwortungsbereich der sowjetischen Besatzungsmacht - nicht entscheidend (Urteilsabdruck S. 9). Dementsprechend war es nach der rechtlichen Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht erheblich, ob Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 auch auf diese Fallkonstellation anwendbar war oder ob die Behörden, die die Grundstücke unter Bezugnahme auf diese Vorschrift als von der sowjetisch bestätigten Listenenteignung erfasst behandelt haben (vgl. Urteilsabdruck S. 11), die Vorschrift fehlerhaft ausgelegt haben.
Ebenso wenig kann eine Verletzung des Rechts der Klägerin auf rechtliches Gehör darin gesehen werden, dass das Verwaltungsgericht, wie die Klägerin meint, sich nicht mit der Frage befasst habe, "welche Bedeutung der Enteignung des 'Teilbetriebes Riesa-Gröba' im Juni/Juli 1946 als Ausnahme von der Freistellung des Gesamtunternehmens durch die 'Präsidialkommission' von der Enteignung überhaupt zukommen" könne. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob sich aus dem Beschluss der Präsidialkommission ein Enteignungsverbot ergibt. Es hat dies letztlich mit Blick darauf verneint, dass "die SMAD ... die Zweigwerksenteignung explizit betätigt" habe. Nach dieser rechtlichen Beurteilung kam dem Beschluss der Präsidialkommission keine entscheidungserhebliche Bedeutung mehr zu.
2. Auch die gerügte Verletzung der Amtsermittlungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO ist nicht gegeben. Nach Auffassung der Klägerin hätte das Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen zur Aufnahme der Firma Heine & Co. AG, Leipzig, und ihres "Teilbetriebs Riesa-Gröba" in die Listen A und B und zur Feststellung der für die Eineignung zuständigen Stellen vornehmen müssen. Die Rüge genügt bereits nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Hierzu ist erforderlich, dass dargelegt wird, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen für das Verwaltungsgericht in Betracht gekommen wären (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14; Beschluss vom 18. Juni 1998 - BVerwG 8 B 56.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 154 S. 475). In der Beschwerdebegründung werden keine Beweismittel benannt, die über die bereits in den Akten enthaltenen Unterlagen hinaus für weitere Ermittlungen zur Verfügung gestanden hätten.
Die Ausführungen der Klägerin können dahin verstanden werden, dass sie außerdem eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend machen will. Nach Auffassung der Klägerin ist das Verwaltungsgericht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und habe nicht berücksichtigt, dass der "Teilbetrieb Riesa-Gröba" der Firma Heine & Co. AG, Leipzig, nicht auf der Enteignungsliste A gestanden habe, die von der Landesverwaltung Sachsen am 12. Juni 1946 der "Zentralen Kommission für Sequestrierungen und Beschlagnahmen in der Sowjetischen Okkupationszone" eingereicht worden sei und die dem Volksentscheid in Sachsen vom 30. Juni 1946 zugrunde gelegen habe. Die Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts, dass beim Volksentscheid vom 30. Juni 1946 die "Fa. Heine Co., Riesa Heiko-Str." auf der Liste A der zu enteignenden Betriebe für den Kreis Großenhain aufgenommen worden sei, sei deshalb falsch. Ob diese Rüge, die darauf abstellt, dass die Vorinstanz von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen sei, begründet ist, bedarf keiner Klärung. Auch wenn dies der Fall wäre, würde sie der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das Urteil des Verwaltungsgerichts würde sich nach dem im Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbaren § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis als richtig erweisen. Wenn eine Enteignung des Zweigbetriebswerkes und des Flurstücks Nr. 274 a erst nach dem Volksentscheid vom 30. Juni 1946 erfolgt wäre, wäre an dem besatzungshoheitlichen Charakter der Enteignung aufgrund der mit Befehl Nr. 64 vorgenommenen Bestätigung der Enteignung durch die sowjetische Besatzungsmacht ebenso nicht zu zweifeln.
3. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Die Klägerin strebt eine Klärung der "Abgrenzung zwischen befugter Enteignung durch bestatzungsrechtlich/-hoheitlich zuständige Behörden einschließlich Exzessen und Gesetzeswidrigkeiten einerseits und unbefugt ohne Zurechnungszusammenhang zur Besatzungsmacht handelnden deutschen Stellen andererseits (an), insbesondere der VEBs und ihrer Zusammenfassungen, die auf vorgeblich besatzungsrechtlich/-hoheitlicher Grundlage nach dem 17. April 1948 (Erlass des SMAD-Befehls Nr. 64) Sequestrationen und nachfolgende faktische Enteignungen durch Grundbuchberichtigungen oder ähnliche Maßnahmen bewirkt haben". Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin in der Beschwerdebegründung (S. 7) ist für die betroffenen Grundstücke die Eintragung des Eigentums des Volkes im Grundbuch auf Ersuchen der Landesregierung Sachsen vom 13. Juli 1948 erfolgt. Die Landesregierung hat bei dem Ersuchen um Grundbuchumschreibung nicht als unzuständige oder "unbefugte" Stelle gehandelt. Vielmehr war sie nach Ziffer 5 der Ersten Verordnung zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 (Richtlinien Nr. 1) vom 28. April 1948 dafür zuständig, die Grundbuchämter um die Eintragung des Eigentums des Volkes zu ersuchen und die für die Führung der Handelsregister zuständigen Amtsgerichte zur Löschung der bisher eingetragenen Unternehmen zu veranlassen. Die zusätzlichen Aktivitäten der Vereinigung der volkseigenen Betriebe und die auf deren Veranlassung vorgenommene erneute Eintragung des Eigentums des Volkes können deshalb nichts daran ändern, dass die für die Enteignung maßgebliche Grundbuchumschreibung auf Ersuchen der Landesregierung durchgeführt worden war. Soweit die Klägerin Ausführungen dazu macht, dass der Zweigbetrieb, wie sie meint, durch die Initiative unzuständiger Stellen nachträglich in die Liste A aufgenommen worden sei, ergibt sich hieraus ebenfalls nicht die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage. Denn aufgrund der Bestätigung der Enteignung durch die sowjetische Besatzungsmacht mit Befehl Nr. 64 bestehen an der Verantwortung der Besatzungsmacht für die Enteignung, wie dargelegt, keine Zweifel.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.