Urteil vom 17.03.2004 -
BVerwG 2 WD 17.03ECLI:DE:BVerwG:2004:170304U2WD17.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 - 2 WD 17.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:170304U2WD17.03.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 17.03

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 17. März 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant i. G. Oelrich,
Oberleutnant Ewen
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Verteidiger,
Justizobersekretärin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 28. April 2003 aufgehoben.
  2. Gegen den Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von achtzehn Monaten verhängt.
  3. Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug hat der Soldat zu tragen.
  4. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund zu drei Vierteln und dem Soldaten zu einem Viertel auferlegt.

Gründe

I

Der 28 Jahre alte Soldat erwarb 1995 die Allgemeine Hochschulreife.

Er wurde als Grundwehrdienstleistender zum 4. Oktober 1995 zur .../Instand-setzungsbataillon ... in V. einberufen und mit Wirkung vom 1. Juli 1997 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde auf zwölf Jahre festgesetzt und endet planmäßig am 30. September 2007. Mit Wirkung vom 1. Juni 2001 wurde er zum Leutnant ernannt. Nach Versetzungen zur .../Nachschubbataillon ... in D. zum 1. Januar 1996 als Schreibfunker VHF, zur .../Stabs- und Fernmeldebataillon ... in C. zum 1. Juli 1997 als Schüler und zum 3. März 1998 zur F...schule für ... in F. zur Teilnahme am Offizieranwärterlehrgang, den er mit der Abschlussnote „befriedigend“ bestand, wurde der Soldat zum 1. April 1999 zur .../F...regiment (F...Rgt) ... in H. als Schüler versetzt. In der Zeit vom 5. Oktober 1999 bis 31. März 2000 nahm er am Offizierlehrgang Truppendienst bei der O...schule in D. teil, den er mit der Abschlussnote „befriedigend“ bestand. Zum 1. Oktober 2001 wechselte er auf den Dienstposten eines Fernmeldeoffiziers und Zugführeroffiziers. Zur Tatzeit war er Zugführer in der .../F...Rgt ... Aufgrund des Sachverhalts, der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist, wurde er zum 1. April 2003 zur Stabskompanie der ... P...division in D. als Offizier z.b.V. versetzt. Er ist derzeit in der G 4-Abteilung eingesetzt.

In der planmäßigen Beurteilung vom 20. März 2000 erhielt er in den Einzelmerkmalen viermal die Wertung „3“, zehnmal die Wertung „4“, zweimal die Wertung „5“ und bei Eignung und Befähigung für „Verantwortungsbewusstsein“, „Geistige Befähigung“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ jeweils die Wertung „b“ sowie für „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ die Wertung „c“. In der Sonderbeurteilung vom 8. August 2003 erhielt der Soldat in den Einzelmerkmalen für seine Leistungen einmal die Wertung „1“, dreimal die Wertung „2“, sechsmal die Wertung „3“, einmal die Wertung „4“ und viermal die Wertung „5“. Bei Eignung und Befähigung wurde ihm für „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung“ die Wertung „A“, „Verantwortungsbewusstsein“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ die Wertung „B“ sowie für „Geistige Befähigung“ die Wertung „C“ zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ führte der beurteilende Vorgesetzte, Major von der Heide, über den Soldaten aus:

„Leutnant ... ist sehr stolz auf seinen Beruf, erkennbar ehrgeizig und engagiert. Seine beruflichen Vorstellungen scheinen allerdings mehr von seinem Stolz als von wirklicher Reflektion der Rolle und Aufgaben eines Offiziers - vorrangig in Bezug auf Führungsverwendungen - geprägt zu sein. Er ist ein forscher und willensstarker Offizier, der vielfach über mangelndes Unrechtsbewusstsein verfügt. Während seiner Zeit in der .../F...Rgt ... fand er im Kameradenkreis angemessenen Zuspruch, war aber nicht immer in der Lage, einen direkten Zugang zu seinen Unterführern zu finden.

Seine Stärken liegen in der soliden und detailgenauen Vorbereitung von theoretischen Unterrichten und Weiterbildungen im größeren Rahmen. Lt ... orientiert sich mit seinen Methoden an seinem eigenen Wertekanon und hat es nicht verstanden, als militärischer Führer Anerkennung zu finden. Auch im Nachgang lässt sich ein Verständnis für sein Fehlverhalten bei ihm nicht wirklich erkennen.

Im KFOR-Einsatz hat er sich in der G 6-Abteilung bewährt. Für Einsätze im erweiterten Auftragsspektrum der Bundeswehr scheint er bedingt geeignet; eine Verwendung mit Führungsverantwortung für unterstellte Soldaten sollte jedoch nicht erfolgen.

Auf Grund seiner deutlichen charakterlichen Schwächen sollte Lt ... nicht weiter gefördert werden. Eine Eignung zum Berufssoldaten ist nicht erkennbar.“

In den Verwendungshinweisen erhielt er für Fach- und Stabsverwendungen die Stufe „geeignet“ sowie für Führungsverwendungen in der Truppe, Allgemeine Führungsverwendungen, Verwendungen mit besonderer Außenwirkung und Lehrverwendungen die Stufe „Eignung nicht erkennbar“.

In der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten, des Stellvertretenden Kommandeurs der ... P...division, Brigadegeneral G., heißt es:

„Die umfassende Beurteilung beschreibt Lt ... treffend.

Er hat es als verantwortlicher Zugführer nicht verstanden, die ihm anvertrauten Soldaten entsprechend den dienstlichen Vorgaben zu führen. Seine Fähigkeiten und Qualitäten als militärischer Vorgesetzter entsprechen nicht den Erfordernissen zeitgemäßer Menschenführung.

Sollte ihm auch weiterhin ein Verbleiben in der Bundeswehr gewährt werden, sollte er in einem Bereich verwendet werden, in dem keine Führungsverantwortung verlangt wird.

Seine fachlichen Fähigkeiten liegen über den Anforderungen.

Mit den Verwendungsvorschlägen bin ich einverstanden, ändere die Eignungsstufe in I.01.b) in ‚geeignet’ mit der deutlichen Einschränkung für entsprechende Verwendungen, in denen er ohne Führungs- und Vorgesetztenaufgaben als Sachbearbeiter verwendet wird.“

Hauptmann L., früherer Disziplinarvorgesetzter des Soldaten, erklärte vor der Truppendienstkammer, er habe über das Fehlverhalten des Soldaten erst durch Meldungen erfahren, zuvor sei ihm nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Es habe sich auch kein Unterführer oder Rekrut bei ihm beschwert. Nach Bekanntwerden des Sachverhalts habe er den Soldaten sofort von seinem Dienstposten abgelöst und ihn nicht mehr in einer Führungsposition oder im Umgang mit Rekruten sehen wollen.

Gegen den Soldaten ist durch Urteil des Truppendienstgerichts Nord vom 16. November 1999 - N 12 VL 24/99 - ein Beförderungsverbot von einem Jahr verhängt worden. Er hatte abweichend vom Ausbildungsplan ohne Genehmigung seines Kompaniechefs eine Ausbildung durchgeführt, den Rekruten seines Zuges (einschließlich eines Soldaten mit Fußverletzung) bei einer Rucksackkontrolle den objektiv nicht durchführbaren Befehl erteilt, fehlende Ausrüstungsgegenstände innerhalb von zwei Minuten aus der Unterkunft zu holen, seinen Rekruten ohne Rücksicht auf deren Schamgefühl befohlen, sich bis auf die Unterhose zu entkleiden und schließlich den Rekruten den objektiv nicht durchführbaren Befehl erteilt, sich innerhalb von zehn Minuten wieder anzuziehen, die Ausrüstung zu verpacken und anschließend - ohne inneren Zusammenhang zur Ausbildung - im Feldanzug und mit der gesamten Ausrüstung eine Runde um den Sportplatz zu laufen.

Der Zentralregisterauszug vom 26. Juni 2003 enthält keine Eintragung. Im Disziplinarbuchauszug vom 12. September 2003 ist das gegen den Soldaten durch Urteil des Truppendienstgerichts Nord vom 16. November 1999 verhängte Beförderungsverbot für die Dauer eines Jahres eingetragen.

Der ledige Soldat erhält Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 9, 4. Dienstaltersstufe, des Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von brutto 2.087,56 €, netto 1.697,98 €. Eine Kreditschuld von derzeit ca. 10.000 € trägt er in monatlichen Raten von 200 € ab.

II

III