Beschluss vom 16.07.2010 -
BVerwG 9 B 78.09ECLI:DE:BVerwG:2010:160710B9B78.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.07.2010 - 9 B 78.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:160710B9B78.09.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 78.09

  • OVG des Saarlandes - 29.04.2009 - AZ: OVG 1 A 327/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 29. April 2009 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 21 979 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

2 1. Das angefochtene Urteil leidet an keinem der von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

3 a) Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sein Urteil auf aktenwidrigen Feststellungen beruhe, ist unberechtigt. Diese Rüge steht in Zusammenhang mit der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass bei der gebotenen natürlichen Betrachtung die Straße „A“ zwischen der Steinackerstraße und dem Beginn des Neubaugebiets „Hirtenbrunnen“ sowie die Straße „D“ eine einheitliche Anbaustraße darstellten, die nicht deswegen in selbstständige Teilstücke aufgespalten werden müsse, weil sie auf einer Teilstrecke beidseitig einer Bebauung entzogen sei; denn das fragliche Teilstück sei im Verhältnis zu der in Rede stehenden Straße insgesamt von lediglich untergeordneter Bedeutung (UA S. 37 Mitte). Es kann dahinstehen, ob die Behauptung der Beschwerde zutrifft, das nur einseitig anbaubare Teilstück der Straße „A“ sei nicht rund 127 m (so das angefochtene Urteil), sondern tatsächlich rund 140 m lang, und ob die Straße „A“ nicht eine Länge von rund 405 m (so das Urteil), sondern von rund 365 m aufweist (so die Beschwerde). Denn es ist nicht erkennbar, dass das Urteil des Oberverwaltungsgerichts, namentlich dessen Annahme, die nur einseitig anbaubare Teilstrecke sei von lediglich untergeordneter Bedeutung, auf dem behaupteten Fehler der Feststellungen zu den Straßenlängen „beruhen“ kann i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Beschwerde meint, Letzteres könne nicht ausgeschlossen werden, weil - ausgehend von ihren Zahlen - das nur einseitig anbaubare Teilstück der Straße „A“ nicht etwas über 13 Prozent, sondern über 16 Prozent der nach dem Berufungsurteil maßgeblichen doppelten Gesamtlänge der zusammen zu betrachtenden Straßen „A“ und „D“ (<405 m + 70 m> x 2 = 950 m) betrage, mithin auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts unzutreffend sei, dass der von ihm zugrunde gelegte Grenzwert von 20 Prozent „deutlich unterschritten“ sei mit der Folge, „dass sich weitere Erwägungen erübrigen“. Aus der zuletzt wiedergegebenen Formulierung will die Beschwerde schließen, es sei davon auszugehen, dass das Oberverwaltungsgericht bei einem Prozentanteil von über 16 Prozent weitere Erwägungen angestellt hätte, die zu dem Ergebnis geführt hätten, dass die nur einseitig anbaubare Teilstrecke nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung sei. Es kann offen bleiben, ob die Beschwerde damit die zitierte Wendung des Berufungsurteils nicht missversteht und ob nicht nach dem Ansatz des Oberverwaltungsgerichts erst bei Überschreiten des erwähnten Grenzwertes Anlass für „weitere Erwägungen“ bestanden hätte (vgl. UA S. 44 Mitte). Dass das Berufungsurteil auf der (unterstellten) aktenwidrigen Feststellung zu den Straßenlängen beruhen kann, ist jedenfalls schon deshalb ausgeschlossen, weil das Oberverwaltungsgericht seine Annahme, die nur einseitig anbaubare Teilstrecke sei - bezogen auf die gesamte Anbaustraße - von lediglich untergeordneter Bedeutung, außerdem auf die selbstständig tragende weitere Begründung gestützt hat, dass dies „im Übrigen dem beim Ortstermin gewonnenen Eindruck“ entspreche (UA S. 38, 1. Absatz a.E.).

4 b) Die Beschwerde sieht einen weiteren Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz darin, dass das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, eine Bebauung der Grundstücke nördlich der Straße „A“ auf dem streitigen Teilstück sei auf Dauer ausgeschlossen; für diese Schlussfolgerung fehle es an einer tragfähigen Grundlage, insoweit liege ein Verstoß gegen Denkgesetze vor. Auch dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Annahme, dass nördlich der in Rede stehenden Teilstrecke der Erschließungsanlage nicht gebaut werden darf, darauf gestützt, dass diese Tatsache bereits bei der Aufstellung des Bebauungsplans „Auf der Alten Nachtweide“ auf Dauer angelegt gewesen sei, und hat hierfür aus dessen Begründung zitiert, derzufolge die ursprünglich beabsichtigte Bebauung im endgültig beschlossenen Bebauungsplan gestrichen worden sei, weil eine ausreichende Wasserversorgung, insbesondere im Brandfall, als nicht hinreichend gesichert angesehen worden sei. Weiter hat das Oberverwaltungsgericht für seine Ansicht angeführt, dass die frühere Gemeinde Hierscheid, zu deren Gebiet dieser Geländestreifen überwiegend gehört habe, schon bei der Planaufstellung und bis heute Bauplätze nicht nördlich des Neubaugebiets „Alte Nachtweide“, sondern im Anschluss an den im Zusammenhang bebauten Ortsteil angestrebt habe; darauf sei zurückzuführen, dass auch 25 Jahre nach Erlass des Bebauungsplans „Auf der Alten Nachtweide“ noch kein Baurecht für das Gelände nördlich der Straße „A“ geschaffen worden sei (UA S. 44 f.). Angesichts dieser nachvollziehbaren Begründung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts kann von einem Verstoß gegen Denkgesetze keine Rede sein. Im Übrigen handelt es sich bei der genannten Annahme des Oberverwaltungsgerichts nur um eine von drei je selbstständig tragenden Erwägungen, warum die nur einseitige Anbaubarkeit eines Teils der Straße „A“ keinen Abzug vom beitragsfähigen Erschließungsaufwand rechtfertigt. Auf einem Fehler dieser Annahme könnte die Entscheidung deshalb nicht beruhen.

5 c) Die Beschwerde sieht ferner einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) darin, dass das Oberverwaltungsgericht nicht geprüft habe, ob mit der Entscheidung des Beklagten, im angefochtenen Bescheid lediglich eine Fläche von 1 510 qm zu berücksichtigen, ein Beitragserlass i.S.v. § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB verbunden gewesen sei, da in dem zugehörigen Berechnungsbogen ausgeführt sei, dass mit dieser Flächenreduzierung auch der für das Siedlungsgebiet atypischen Baustellengröße der Kläger habe Rechnung getragen werden sollen. Diese Rüge bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil sie nicht den Darlegungserfordernissen genügt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), die an eine Aufklärungsrüge zu stellen sind. Die Beschwerde zeigt weder auf, dass die Kläger selbst im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht durch einen entsprechenden Beweisantrag auf die von ihnen nunmehr beanstandete unterbliebene Sachaufklärung hingewirkt hätten, noch welche konkreten Aufklärungsmaßnahmen sich dem Oberverwaltungsgericht von Amts wegen hätten aufdrängen sollen. Ihre Rüge richtet sich in Wahrheit gegen die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, nämlich dass dieses keinen Anhaltspunkt für eine Auslegung oder Umdeutung des angefochtenen Bescheides in dem von den Klägern intendierten Sinne gesehen hat. Angriffe gegen die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts sind indes regelmäßig nicht geeignet, einer Verfahrensrüge zum Erfolg zu verhelfen. Im Übrigen spricht alles dafür, dass der Beklagte sich mit der Flächenreduzierung lediglich an die Vorgaben der in dem Ermittlungsbogen in Bezug genommenen satzungsmäßigen Tiefenbegrenzung hat halten wollen, aber keinen Beitragserlass beabsichtigt hat.

6 2. Eine Zulassung der Revision wegen der von der Beschwerde behaupteten Divergenz zu Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts kommt ebenfalls nicht in Betracht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Es kann dahinstehen, ob der Annahme des Oberverwaltungsgerichts zu folgen ist, dass bei einer auf einer Teilstrecke nur einseitig anbaubaren Erschließungsstraße der beitragsfähige Erschließungsaufwand (abgesehen vom Gemeindeanteil) vollständig auf die Anlieger zu verteilen ist, sofern das nur einseitig anbaubare Straßenstück „verhältnismäßig kurz“ ist, was bei einem Grenzwert von 20 Prozent der Fall sei, mit dem die Zumutbarkeitsgrenze „abstrakt festgelegt“ sei (UA S. 44). Denn die Beschwerde genügt insoweit schon nicht den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge, weil sie keine sich widersprechenden abstrakten Rechtssätze des angefochtenen Urteils einerseits und der von ihr herangezogenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts andererseits aufzeigt. Abgesehen davon ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass ein Abzug vom beitragsfähigen Erschließungsaufwand wegen der streckenweise nur einseitigen Anbaubarkeit der Straße „A“ nicht zu erfolgen braucht, zusätzlich auf die die Entscheidung selbstständig tragende Erwägung gestützt, dass die Straße „A“ im Bereich ihrer einseitigen Anbaubarkeit nur in dem Umfang hergestellt worden sei, wie dies zur hinreichenden Erschließung der Grundstücke „schlechthin unerlässlich“ sei (zu dieser Ausnahme zum sog. Halbteilungsgrundsatz vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 12 Rn. 50 ff.). Mangels eines durchgreifenden Revisionszulassungsgrundes auch hinsichtlich dieser Begründung des angefochtenen Urteils, kann es nicht auf der behaupteten Divergenz beruhen. Aus demselben Grunde kommt auch eine Umdeutung der Divergenzrüge in eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht in Betracht.

7 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.