Beschluss vom 16.06.2005 -
BVerwG 3 B 129.04ECLI:DE:BVerwG:2005:160605B3B129.04.0

Beschluss

BVerwG 3 B 129.04

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 06.09.2004 - AZ: OVG 13 A 3802/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. September 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 700 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Hinsichtlich der beiden unter B I. und II. gestellten Fragen zur Revisionszulassung bei ausgelaufenem Recht und zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt besteht von vornherein kein Klärungsbedarf. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache trotz zwischenzeitlicher Aufhebung der maßgebenden Rechtsnorm nicht verneint werden kann, wenn das neue Recht inhaltlich mit der aufgehobenen Regelung übereinstimmt (vgl. Beschluss vom 9. September 1988 - BVerwG 4 B 37.88 - BVerwGE 80, 201 ff. = Buchholz 406.13 Nr. 2). Die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, da, wie die Beschwerde selbst vorträgt, in den hier interessierenden Fragen zwischen der den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Bestimmung des § 13 Abs. 1 BSeuchG und dem heute geltenden § 17 Abs. 2 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes - IfSG - inhaltlich kein Unterschied besteht.
2. Auch die beiden weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Das gilt zunächst für die Frage, ob § 10 Abs. 1, § 13 BSeuchG bzw. §§ 16, 17 Abs. 2 IfSG bei Entstehen einer Gefahr durch tierische Schädlinge bundesrechtskonform dahin ausgelegt werden darf, dass der Eigentümer einer Sache nur dann als Zustandsverantwortlicher zur Gefahrenabwehr verpflichtet ist, wenn von seiner Sache selbst unmittelbar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, nicht aber auch dann, wenn die Gefahr von dem Eigentum ausgeht, weil Tiere das Eigentum gefahrbegründend ungehindert benutzen können. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil die von dem Beklagten angeführten bundesrechtlichen Bestimmungen keine Aussage darüber enthalten, gegen wen sich die darin vorgesehenen seuchenpolizeilichen Maßnahmen zu richten haben. Sie ermächtigen die zuständige Behörde, die zur Bekämpfung der Seuchengefahr erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, verhalten sich aber nicht dazu, gegen wen diese Maßnahmen zu richten sind. Insoweit sind, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, die ordnungsrechtlichen Bestimmungen der Länder über die Heranziehung von Störern und Nichtstörern zur Gefahrenbeseitigung maßgebend (vgl. Beschluss vom 18. September 1987 - BVerwG 3 B 21.87 - n.v.). Die Frage, ob das Berufungsgericht zu Recht die Zustandshaftung des Sacheigentümers bei der möglichen Ausbreitung von Krankheitserregern auf Fälle beschränkt hat, in denen die Gefahr unmittelbar von der Sache ausgeht, ist folglich nicht durch eine Auslegung der §§ 10, 13 BSeuchG bzw. §§ 16, 17 IfSG zu beantworten; sie ist vielmehr dem Landesrecht zu entnehmen. Dieses ist nach § 137 Abs. 1 VwGO nicht revisibel. Etwaige Fehler bei seiner Auslegung rechtfertigen daher nicht die Zulassung der Revision.
Der Beklagte wirft weiter die Frage auf, ob es mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) vereinbar ist, dass der Eigentümer einer Sache nach Landesrecht nur dann als Zustandsverantwortlicher in Anspruch genommen werden darf, wenn vom Eigentum selbst unmittelbar eine Gefahr ausgeht, eine Verantwortlichkeit jedoch dann nicht eintritt, wenn die Gefahr von tierischen Schädlingen unmittelbar verursacht wird, die das Eigentum ungehindert und gefahrbegründend benutzen können. Diese Frage ist zwar im Gegensatz zur vorhergehenden klärungsfähig, weil sie die Auslegung des Grundgesetzes und damit revisiblen Rechts zum Gegenstand hat. Sie rechtfertigt aber nicht die Zulassung der Revision, weil die Antwort unter Zugrundelegung der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf der Hand liegt. Die Auslegung der landesrechtlichen Bestimmung über die Zustandshaftung durch das Berufungsgericht verstößt nicht gegen die in Art. 14 Abs. 2 GG angeordnete Sozialbindung des Eigentums.
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat er dabei sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als auch der Sozialpflichtigkeit des Eigentums Rechnung zu tragen. Das Wohl der Allgemeinheit, an dem sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu orientieren hat, ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die Beschränkung des Eigentümers. Der Gesetzgeber hat dabei die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen (vgl. BVerfGE 102, 1, 16 f.). Es ist mithin Sache des Gesetzgebers, die sich aus der Sozialbindung des Eigentums ergebenden Grenzen und Belastungen des Eigentumsrechts zu bestimmen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist Art. 14 Abs. 2 GG keine unmittelbar zu Lasten des Eigentümers anwendbare Rechtsnorm, aus der sich im Wege der Auslegung bestimmte Rechtspflichten ableiten ließen. Bei einem Objekt, das wie eine Eisenbahnbrücke über eine Straße einen starken sozialen Bezug aufweist, hat der Gesetzgeber bei der Festlegung von Inhalt und Schranken des Eigentums einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 102, 1, 17).
In der Auslegung des Landesrechts durch das Berufungsgericht ist die Zustandshaftung des Sacheigentümers auch im Bereich der Bekämpfung von Infektionskrankheiten auf die Fälle beschränkt, in denen die Gefahr unmittelbar mit dem Zustand der Sache ursächlich in Verbindung steht. Unmittelbarkeit ist nach Auffassung des Berufungsgerichts gegeben, wenn bei wertender Betrachtung aller Umstände durch den Zustand des Gegenstandes selbst die Gefahrengrenze überschritten wird. In dieser Auslegung verstößt das Landesrecht nicht gegen die Vorgabe der Sozialbindung des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat das Kriterium der Unmittelbarkeit zur Abgrenzung der Zustandsverantwortlichkeit im Ordnungsrecht herangezogen (vgl. Urteil vom 4. Oktober 1985 - BVerwG 4 C 76.82 - Buchholz 442.40 § 29 LuftVG Nr. 3 = DÖV 1986, 287 f.). Im Polizei- und Ordnungsrecht wird es ganz überwiegend als sachgerechtes Kriterium zur Bestimmung der Zustandshaftung angesehen (vgl. Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage S. 318; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Auflage 2004, Rn. 325 ff. S. 178). Warum dieser Maßstab bei der Bekämpfung der Gefahren, die von den unter einer Eisenbahnbrücke nistenden Tauben ausgehen, verfassungswidrig sein soll, ist nicht erkennbar. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang u.a. darauf abgestellt, dass von dem Brückenbauwerk selbst überhaupt keine Gefahr ausgeht und dass selbst die Nistplätze als solche keinerlei Gefahr darstellen. Zudem hat es darauf hingewiesen, dass den Beklagten selbst durch unzureichende Straßenreinigung eine Verantwortung für die bestehende Infektionsgefahr trifft. Vor diesem Hintergrund ist kein Raum für die Annahme, der Landesgesetzgeber hätte im Hinblick auf die Sozialbindung des Eigentums eine Zustandshaftung des Brückeneigentümers zur Bekämpfung der im Brückenbereich bestehenden Taubenplage festlegen müssen.
3. Die Rüge der Beschwerde, der angefochtene Beschluss weiche von verschiedenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), geht ebenfalls fehl. Der Beklagte stützt sich bei dieser Rüge darauf, das Berufungsgericht habe die Inanspruchnahme des Eigentümers einer Sache nach § 13 BSeuchG nur dann für zulässig erklärt, wenn er selbst die Gefahr unmittelbar verursacht habe. Dieser Satz findet sich im Berufungsurteil weder ausdrücklich noch sinngemäß. Vielmehr legt das Berufungsgericht dar, dass es auf den gefährlichen Zustand der Sache ankomme, ohne dass das Verhalten des Eigentümers oder die Ursache des Gefahrenzustandes eine Rolle spielten. Unter diesen Umständen gehen die Ausführungen der Beschwerde, dass der entsprechende Satz des Berufungsurteils der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts widerspreche, ins Leere. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass es in den von der Beschwerde angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen darum ging, ob eine vom Gesetzgeber angeordnete Zustandshaftung mit der Eigentumsgewährleistung vereinbar war; mit der hier interessierenden Frage, ob der Gesetzgeber aufgrund des Art. 14 Abs. 2 GG unter bestimmten Umständen zur Festlegung einer Zustandshaftung verpflichtet ist, befassen sich diese Entscheidungen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG n.F.