Beschluss vom 16.05.2003 -
BVerwG 1 B 251.02ECLI:DE:BVerwG:2003:160503B1B251.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.05.2003 - 1 B 251.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:160503B1B251.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 251.02

  • Thüringer OVG - 28.03.2002 - AZ: OVG 2 KO 107/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Mai 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren gegen Zahlung monatlicher Raten von 45 € an die Landeskasse Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G. beigeordnet.
  2. Der Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 28. März 2002 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 120, 121 Abs. 1 ZPO.
Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO). Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde macht unter Hinweis auf den vom Kläger vorgelegten "Parteiausweis" geltend, das Berufungsgericht hätte aufgrund der Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO und des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) den Kläger zu seinen "persönlichen Vorfluchtgründen" anhören müssen. Die vermeintliche Nichterweislichkeit der UFC-Mitgliedschaft habe das Berufungsgericht dazu verleitet, von der Unglaubwürdigkeit des Verfolgungsvorbringens des Klägers auszugehen. Es sei nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer persönlichen Anhörung des Klägers dessen Vortrag zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal jedenfalls in entscheidungserheblichen Teilen Glauben geschenkt und daraus auf eine erlittene politische Verfolgung geschlossen hätte.
Im Ergebnis ist diese Rüge begründet. Das Berufungsgericht hat eine persönliche Anhörung des Klägers aus zwei Gründen für entbehrlich gehalten. Zum einen, weil der Kläger in der ersten Instanz auf mündliche Verhandlung verzichtet und im Berufungsverfahren "keine neuen tatsächlichen Umstände vorgetragen habe, die eine persönliche Anhörung erforderlich erscheinen lassen" (BA S. 6 Abs. 2). Zum anderen hat es sich - hinsichtlich des Vorfluchtschicksals - ausdrücklich der Würdigung des Bundesamts angeschlossen und deshalb den "Vortrag des Klägers zu seiner Mitgliedschaft in der UFC sowie den angeblichen Verhaftungen" für "unglaubhaft" gehalten (BA S. 9); es komme hinzu, dass der Kläger sein diesbezügliches Vorbringen im gerichtlichen Verfahren weder ergänzt noch konkretisiert habe. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus, um das Unterlassen einer persönlichen Anhörung des Klägers zu rechtfertigen.
Das Berufungsgericht hätte den Kläger im vorliegenden Fall nicht für unglaubwürdig halten dürfen, ohne ihn selbst persönlich angehört zu haben. Nach der Rechtsprechung des Senats darf das Berufungsgericht aus der bei der Anhörung durch das Bundesamt protokollierten Aussage des Ausländers allenfalls dann auf dessen Unglaubwürdigkeit schließen, wenn diese Aussage solche Widersprüche, Ungereimtheiten oder Unvereinbarkeiten mit gesicherten Erkenntnissen des Berufungsgerichts aufweist, dass sie die Wahrheit der behaupteten Tatsachen auch ohne einen persönlichen Eindruck des Gerichts von seiner Glaubwürdigkeit von vornherein ausschließen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 260 und vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - Buchholz a.a.O. Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381). Ein solcher Ausnahmefall wird vom Berufungsgericht nicht dargelegt und ist auch nicht erkennbar. Hier ist vielmehr davon auszugehen, dass das Berufungsgericht dem Kläger ebenso wie zuvor das Bundesamt vor allem deshalb nicht glauben will, weil es ihn insoweit für unglaubwürdig hält (vgl. Bescheid vom 10. Januar 1995, S. 4). Ob das Berufungsgericht - wie die Beschwerde meint - in diesem Zusammenhang auch den vom Kläger im gerichtlichen Verfahren eingereichten Parteiausweis (GA Bl. 111 f.) hätte ergänzend würdigen müssen, kann offen bleiben, ist aber deshalb nicht zweifelsfrei, weil er sich auf eine Mitgliedschaft in der Exilorganisation im Jahr 1996 und nicht auf die Zeit vor der Ausreise bezieht. Damit setzt sich die Beschwerde nicht - wie zur schlüssigen Begründung eines Verfahrensfehlers erforderlich - auseinander.
Der angefochtene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfahrensrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer persönlichen Anhörung des Klägers dessen Vortrag zu der von ihm geschilderten Vorverfolgung jedenfalls in entscheidungserheblichen Teilen Glauben geschenkt und daraus auf eine erlittene oder ihm unmittelbar drohende politische Verfolgung geschlossen hätte. In diesem Fall hätte es die Klage zu § 51 Abs. 1 AuslG nur für den Fall einer hinreichenden Sicherheit des Klägers bei seiner Rückkehr abweisen dürfen. Von einer solchen Sicherheit geht das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht aus.
Die weiteren Rügen (einer Abweichung von dem erwähnten Beschluss des Senats vom 10. Mai 2002 und einer fehlenden Begründung nach § 138 Ziff. 6 VwGO) hätten keinen Erfolg haben können.