Beschluss vom 15.12.2004 -
BVerwG 7 B 80.04ECLI:DE:BVerwG:2004:151204B7B80.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 80.04

  • VG Leipzig - 09.03.2004 - AZ: VG 7 K 1188/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Dezember 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 9. März 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 48 573 € festgesetzt.

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, durch den die Beklagte zwei Bescheide ihres Funktionsvorgängers aufgehoben hat, auf deren Grundlage der Erlös aus der investiven Veräußerung eines Grundstücks an den Kläger ausgekehrt worden war. Eigentümerin des Grundstücks war die Rechtsvorgängerin des Beigeladenen gewesen. Das Grundstück stand seit 1960 unter staatlicher Verwaltung. Der staatliche Verwalter veräußerte das Grundstück 1969 an das Eigentum des Volkes. Die Rechtsvorgängerin des Beigeladenen beantragte im September 1990 die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks. Dieses wurde im Mai 1992 auf der Grundlage eines Investitionsvorrangbescheides veräußert. Der Kläger gewährte als Träger der Sozialhilfe der Rechtsvorgängerin des Beigeladenen Hilfe zur Pflege. Nach ihrem Tod machte er gegenüber dem Funktionsvorgänger der Beklagten Kostenerstattungsansprüche nach § 92c BSHG geltend. Der Funktionsvorgänger der Beklagten stellte durch den nunmehr aufgehobenen Bescheid fest, dass der Kläger einen Anspruch auf Auskehr des Erlöses aus der investiven Veräußerung des Grundstücks hat. Durch den jetzt angefochtenen Bescheid nahm die Beklagte den zu Gunsten des Klägers ergangenen Bescheid zurück und stellte die vermögensrechtliche Berechtigung des Beigeladenen fest. Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen unter Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrags des Klägers als verfristet und deshalb unzulässig zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Widerspruchsbehörde zum einen dem Kläger zu Recht eine Wiedereinsetzung in die schuldhaft versäumte Widerspruchsfrist versagt habe und der Rücknahmebescheid der Beklagten zum anderen in der Sache rechtmäßig ergangen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil jeweils selbstständig tragend darauf gestützt, dass der Kläger einerseits schuldhaft verspätet Widerspruch gegen den Rücknahmebescheid der Beklagten eingelegt hat und andererseits dieser Rücknahmebescheid auch in der Sache rechtmäßig ist. Die Revision kann deshalb nur zugelassen werden, wenn der Kläger gegen beide Begrün-
dungen durchgreifende Zulassungsgründe vorbringt. Das ist hier jedenfalls insoweit nicht der Fall, als der Kläger sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, der Rücknahmebescheid sei in der Sache rechtmäßig. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Kläger gegen die weitere Begründung des Verwaltungsgerichts durchgreifende Zulassungsgründe geltend macht.
1. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), soweit der Kläger die Frage aufwirft, wann die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG zu laufen beginnt. Soweit die Frage hier beantwortet werden muss, ergibt sich die Antwort aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beginnt die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kann erst beginnen, wenn die Entscheidungsreife eingetreten ist. Zu deren Herstellung gehört regelmäßig das Anhörungsverfahren. Erst nach dessen Abschluss beginnt deshalb die Frist (Urteil vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 6.01 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103). Sinngemäß möchte der Kläger wohl geklärt wissen, wann ein Anhörungsverfahren als abgeschlossen zu betrachten ist, insbesondere wenn der Betroffene schweigt. Diese Frage wäre aber in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zu entscheiden. Der Kläger übersieht, dass im Verwaltungsverfahren nach dem Vermögensgesetz eine förmliche Anhörung vorgeschrieben ist (§ 32 Abs. 1 VermG), an deren Abschluss der Beginn der Frist anknüpft. Diese maßgebliche Anhörung ist hier nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Ende Januar 2001, also weniger als ein Jahr vor Erlass des Rücknahmebescheides vom 20. März 2001 eingeleitet und schon deshalb erst recht weniger als ein Jahr vor seinem Erlass abgeschlossen worden.
Soweit der Kläger hieran anschließend die Frage aufwirft, in welchen Fällen die zuständige Behörde ihre Befugnis zur Rücknahme eines Verwaltungsakts verwirkt, rechtfertigt dies die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Die Annahme einer Verwirkung hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, dass das angestrebte Revisionsverfahren geeignet wäre, über den Einzelfall hinaus verallgemeinerungsfähige Aussagen zu treffen.
2. Der Kläger hält ferner für grundsätzlich bedeutsam die Frage, inwieweit eine Behörde gegenüber einer anderen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann. Er hat aber auch insoweit nicht dargelegt, dass auf diese Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Antwort möglich ist, die über den Einzelfall hinaus weist. Das Verwaltungsgericht ist im rechtlichen Ansatz davon ausgegangen, dass auch das Vertrauen des Klägers als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in den Bestand des aufgehobenen Verwaltungsakts schutzwürdig sein kann. Es hat aber aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles angenommen, dass der Kläger hier in den Bestand der Feststellung seiner Berechtigung nach dem Vermögensgesetz nicht vertrauen durfte. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit ergänzend auf den Rücknahmebescheid der Beklagten bezogen, dessen Begründung es sich damit zu Eigen gemacht hat. Dort hatte die Beklagte angenommen, der Kläger habe auf den Bestand des Verwaltungsakts nicht vertrauen dürfen, weil er die Gründe für die Rechtswidrigkeit der Berechtigtenfeststellung gekannt habe oder jedenfalls hätte kennen müssen. Denn der Kläger hätte als (erfahrener) Träger der Sozialhilfe wissen müssen, dass der Restitutionsanspruch der Hilfeempfängerin oder ihres Rechtsnachfolgers nicht ohne eine (hier gerade unterbliebene) Überleitung nach § 90 BSHG auf ihn übergehen konnte, weil der Kostenerstattungsanspruch gegen den Erben des Hilfeempfängers nach § 92c BSHG keinen gesetzlichen Forderungsübergang bewirkt. Diese tatsächliche, auf den Einzelfall bezogene Würdigung greift der Kläger nicht an. Von ihr ausgehend wäre auch in dem angestrebten Revisionsverfahren davon auszugehen, dass ein Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Berechtigtenfeststellung nicht schutzwürdig war.
3. Der Kläger möchte schließlich die Frage geklärt wissen, inwieweit ein "fehlgeleiteter" begünstigender Verwaltungsakt einer Behörde zu Gunsten eines Nichtberechtigten durch Genehmigung des eigentlich rechtlich Begünstigten wirksam werden kann. Die Antwort auf diese Frage erfordert indes nicht erst die Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sie ohne weiteres auf der Hand liegt.
Wer Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes ist, richtet sich allein nach dessen Vorschriften, insbesondere nach § 2 VermG. Hat das Vermögensamt die Berechtigung einer (hier juristischen) Person festgestellt, auf welche die Voraussetzungen des § 2 VermG nicht zutreffen, wird diese Person nicht dadurch zum Berechtigten, dass der "wahre" Berechtigte die durch die Behörde getroffene rechtswidrige Feststellung konkludent genehmigt. Mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen bleibt die Berechtigtenfeststellung rechtswidrig.
Davon abgesehen geht der Kläger von einem Sachverhalt aus, den das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat und der deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren auch nicht zugrunde gelegt werden könnte. Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Beigeladene die rechtswidrige Berechtigtenfeststellung zu Gunsten des Klägers genehmigt hätte. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet. Der Kläger rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs. Die Rüge ist nicht nachvollziehbar. Er hat erstmals in seiner Beschwerdeschrift behauptet, der Beigeladene habe die Berechtigtenfeststellung konkludent genehmigt. Das Verwaltungsgericht hatte keinen Anlass, auf diesen Gesichtspunkt einzugehen und hierzu Hinweise zu erteilen, wie der Kläger offenbar meint. Denn der Akteninhalt gab und gibt für die behauptete konkludente Genehmigung nichts her.
4. Das angefochtene Urteil weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 6.01 - (Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103) ab. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz abweicht, den das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil aufgestellt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat angenommen, eine Behörde könne ihre Befugnis zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts verwirken. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Möglichkeit nicht auseinander gesetzt, offenkundig weil es nach Lage des Falles dazu keinen Anlass sah. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls nicht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis komme (generell) nicht in Betracht. Der Kläger legt nur dar, dass die Beklagte nach den konkreten Umständen des Falles ihre Rücknahmebefugnis verwirkt habe. Er macht damit nur geltend, das Verwaltungsgericht habe einen Rechtssatz nicht oder nicht richtig angewandt. Damit kann eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F.