Beschluss vom 15.08.2002 -
BVerwG 6 B 46.02ECLI:DE:BVerwG:2002:150802B6B46.02.0

Leitsatz:

Sieht sich das Verwaltungsgericht nicht in der Lage, den Kläger im vereinfachten Verfahren nach § 14 Abs. 3 KDVG anzuerkennen, so genügt es, wenn sich die Gründe dafür aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils hinreichend deutlich ergeben.

  • Rechtsquellen
    KDVG § 14 Abs. 2 und 3
    VwGO §§ 108 Abs. 1 Satz 2

  • VG Berlin - 18.03.2002 - AZ: VG 27 A 335.01

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.08.2002 - 6 B 46.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:150802B6B46.02.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 46.02

  • VG Berlin - 18.03.2002 - AZ: VG 27 A 335.01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. August 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

1. Die auf die Verfahrens- (a) und die Grundsatzrüge (b) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
a) Das verwaltungsgerichtliche Urteil verletzt nach Ansicht der Beschwerde Verfahrensrecht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil die Entscheidungsgründe unvollständig seien (aa) und (bb) und weil das Vorbringen des Klägers unzutreffend gewürdigt worden sei (cc).
aa) Die Beschwerde rügt eine erkennbare Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe (§ 138 Nr. 6 VwGO), weil auf Seite 5 der dem Kläger zugestellten Urteilsausfertigung ein Satz unvollständig sei. Das Urteil sei somit an einem wesentlichen Punkt nicht mit Gründen versehen. Es lasse sich daher nicht ersehen, warum die erkennende Kammer zu dem Ergebnis gekommen sei, nicht nach § 14 Abs. 1 und 3 KDVG entscheiden zu können.
Die von der Beschwerde gerügte Unvollständigkeit der Urteilsgründe liegt nicht vor. Zwar ist dem Kläger eine Urteilsausfertigung zugestellt worden, die die bezeichnete Unvollständigkeit enthielt und die ihn deshalb zu der die Rüge tragenden Annahme gebracht hat. Ausweislich der Akte des Verwaltungsgerichts (dort Blätter 37 und 38) ist der Satz in der Urschrift des Urteils aber vollständig enthalten. Auf Anordnung des Kammervorsitzenden vom 28. Mai 2002 ist dem Kläger eine vollständige Ausfertigung des Urteils zugestellt worden. Soweit sich auch die daraufhin ergänzte Beschwerdebegründung nach wie vor auf § 138 Nr. 6 VwGO stützt, wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO Bezug genommen.
bb) Die Beschwerde sieht ferner eine materielle Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe und damit einen Verstoß gegen die gerichtliche Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO darin, dass das Gericht nicht dargelegt habe, warum es sich nicht aufgrund des Inhalts der Verwaltungsvorgänge und ohne die Vernehmung des Klägers als Partei zu einer Entscheidung zu dessen Gunsten im Stande gesehen habe. Insbesondere fehle - auch in der vollständigen Ausfertigung des Urteils - eine Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Vorbringen des Klägers gegenüber dem Ausschuss für Kriegsdienstverweigerung. Diese Rüge ist gleichfalls nicht begründet.
Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hat sich das Verwaltungsgericht nach Antragstellung zur Beratung zurückgezogen und ohne Angabe von Gründen den Beschluss über die Parteivernehmung des Klägers zu seinen Kriegsdienstverweigerungsgründen verkündet. In den Entscheidungsgründen des Urteils findet sich zur Begründung insofern lediglich der Satz (Seite 4 des Urteils): "Eine Anerkennung des Klägers im vereinfachten Verfahren ohne persönliche Anhörung vor der Kammer nach § 14 Abs. 1 und 3 KDVG kam nicht in Betracht, weil die Kammer in der Zwischenberatung zu der Auffassung gekommen war, dass die schriftlichen Darlegungen eine Gewissensentscheidung nicht hinreichend zu begründen vermochten." Diese Ausführungen genügen - jedenfalls in Anbetracht des sonstigen Inhalts der Entscheidungsgründe - den Anforderungen nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Der Senat betont zwar in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit einer ausführlichen Urteilsbegründung gerade in Rechtsstreitigkeiten um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. So muss sich die Begründung ggf. auch auf die Frage erstrecken, aus welchen Gründen das Gericht die Überzeugung von einer ernsthaften Gewissensentscheidung des Klägers in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 3 KDVG allein auf der Grundlage des Akteninhalts gewonnen hat, obwohl der Ausschuss für Kriegsdienstverweigerung diese Überzeugung nach persönlicher Anhörung des Klägers nicht zu gewinnen vermochte; in diesen Fällen muss sich das Gericht mit der Wertung des Ausschusses auseinander setzen, um seine eigene abweichende Entscheidung nachvollziehbar zu machen (vgl. Urteil vom 31. Mai 1990 - BVerwG 6 C 37.88 - Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 22). Das bedeutet indes nicht, dass das Gericht seine Entscheidung für das vereinfachte Verfahren entsprechend § 14 Abs. 3 KDVG stets im Einzelnen begründen müsste. Der Senat hat darauf bezogen schon früher in verallgemeinernder Form ausgesprochen, es sei nicht in jedem Falle die ausdrückliche Angabe der Gründe für das gewählte Verfahren geboten; im Einzelfall könne es vielmehr auch genügen, wenn der Gesamtzusammenhang des Urteils deutlich erkennen lasse, dass und warum das Gericht aufgrund des Akteninhalts und der für dessen Ergänzung vorgenommenen persönlichen Anhörung zu der nach § 14 Abs. 1 KDVG gebotenen Überzeugung gelangt sei (Beschluss vom 14. Mai 1985 - BVerwG 6 B 164.84 - Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 7 S. 28). Dieser Gesichtspunkt kommt auch im umgekehrten, hier gegebenen Fall zum Tragen, in welchem das Verwaltungsgericht nach einer Vollprüfung im eingehenderen Verfahren zur Klageabweisung gelangt. In einem solchen Fall erübrigt sich eine besondere Begründung im Urteil dafür, dass das Gericht von einer Anerkennung im vereinfachten Verfahren nach § 14 Abs. 3 KDVG abgesehen hat, jedenfalls immer dann, wenn die gerichtliche Vollprüfung thematisch an den Sachvortrag des Klägers in den Verwaltungsinstanzen anknüpft. So liegt es hier. Wie aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2002 zu entnehmen ist, knüpfte die dortige Befragung des Klägers thematisch an seinen Vortrag im Verwaltungsverfahren, insbesondere an seine Antragsbegründung vom 11. April 2001, an. Der Kläger hat die Gelegenheit erhalten und genutzt, diesen Vortrag zu ergänzen und zu vertiefen. Das Verwaltungsgericht hat begründet, warum dies alles nicht ausgereicht hat, um ihm die Überzeugung von der gebotenen Gewissensentscheidung des Klägers zu vermitteln. Dies lässt ohne weiteres darauf schließen, weshalb sich das Verwaltungsgericht - erst recht - nicht in der Lage gesehen hat, den Kläger im vereinfachten Verfahren nach § 14 Abs. 3 KDVG anzuerkennen.
cc) Die Beschwerde rügt, das Verwaltungsgericht habe darüber hinaus in einer Anzahl von Einzelpunkten unter Verstoß gegen § 108 VwGO wesentliche Tatsachen oder Vorbringen des Klägers zu dessen Nachteil nicht gewürdigt.
(1) Das Verwaltungsgericht habe in den Urteilsgründen außer Acht gelassen, dass der Kläger Arzt sei. Ihm sei bei der Befragung immer wieder vorgehalten worden, dass er als Arzt keine kriegerischen Taten begehen müsse und somit sein Gewissen nicht belastet werden könne. Demgemäß habe sich zwangsläufig der Schwerpunkt der Antworten des Klägers auf entsprechende Vorhalte verlagert.
Die Rüge greift nicht durch. Die Beschwerde wendet sich gegen den Inhalt der Parteivernehmung durch das Verwaltungsgericht. Damit ist kein Verfahrensmangel i.S. des § 108 VwGO dargetan worden. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den aktenkundigen Umstand, dass der Kläger Arzt ist, weder übersehen noch im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung unberücksichtigt gelassen (vgl. Seite 8 des Urteils).
(2) Das Verwaltungsgericht habe die Äußerungen des Klägers sehr selektiv gewertet. In den Urteilsgründen finde sich auf Seite 7 der Satz: "Später hat der Kläger von einem 'veränderten Bild' zur Bundeswehr gesprochen, die sich von einer mit humanitären Aufgaben betrauten Truppe zur Kriegsarmee gewandelt habe". Dem Kläger werde also die Aussage unterstellt, dass die Bundeswehr sich in den letzten 10 Jahren geändert habe. Tatsächlich habe er ausweislich der Niederschrift in der mündlichen Verhandlung aber davon gesprochen, "dass sich mein Bild von der Bundeswehr in den letzten 10 Jahren stark geändert hat". Damit habe das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 108 VwGO wesentliche Bekundungen eines Beteiligten nicht berücksichtigt oder ihm Erklärungen unterstellt, die er nicht abgegeben habe.
Der behauptete Widerspruch zwischen der - protokollierten - Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung und den Urteilsgründen liegt nicht vor. Zwar entnimmt die Beschwerde dem Sitzungsprotokoll zu Recht die Aussage des Klägers, dass sich sein Bild von der Bundeswehr in den letzten 10 Jahren stark geändert habe. Doch folgt dieser Aussage des Klägers bereits im übernächsten Satz des Protokolls die auf das vom Kläger wahrgenommene Erscheinungsbild der Bundeswehr bezogene weitere Aussage: "In den letzten 10 Jahren hat sich das immer mehr zum Krieg hingewandelt." Die von der Beschwerde beanstandete Formulierung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils gibt daher - ungeachtet der sprachlich ungenauen Verwendung der Präposition "zur" - zutreffend die vor dem Verwaltungsgericht geäußerte Ansicht des Klägers wieder, die Bundeswehr habe sich in den vergangenen Jahren in eine Organisation zur Kriegsführung verwandelt. Der Kläger hatte im Übrigen bereits in seiner Antragsbegründung vom 11. April 2001 ausdrücklich die Meinung vertreten, dass sich der Auftrag der Bundeswehr in den neunziger Jahren grundlegend geändert habe.
(3) Auch die Ausführung in den Urteilsgründen "Die vom Kläger vorgenommene Verknüpfung der Verantwortlichkeit eines Soldaten mit den ... besonders grausamen Mitteln der Kriegsführung ... lässt es bereits als zweifelhaft erscheinen, ob die Kriegsdienstverweigerung des Klägers auch nur wesentlich von dem die Gewissensentscheidung kennzeichnenden inneren Gebot der Achtung menschlichen Lebens bestimmt wird", lasse außer Acht, dass der Kläger generell ausgeführt habe: "Hierdurch ist mir klar geworden, dass es eine Armee ohne Krieg nicht gibt und es auch keine Abteilung innerhalb der Armee gibt, die am Krieg nicht beteiligt ist." Hierdurch werde deutlich, dass es dem Kläger um die Ablehnung jedweder militärischer Gewalt und nicht nur unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Formen gehe. Wenn das Gericht angesichts der Äußerungen des Klägers gemeint habe, die bezeichneten Schlussfolgerungen ziehen zu können, so hätte es sich durch Nachfragen davon überzeugen müssen, welche Interpretation der vom Kläger gemeinten Aussage entspreche.
Die Rüge greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat die genannte Äußerung ebenso wie andere in die gleiche Richtung gehende Aussagen des Klägers am Ende seiner Vernehmung durchaus zur Kenntnis genommen und in seine Würdigung einbezogen, wie die Ausführungen auf Seite 6 f. des Urteils belegen. Es hat diesen Äußerungen mit Blick auf andere Akzente im Vortrag des Klägers jedoch kein solches Gewicht beigemessen, dass Zweifel an einer im Wesentlichen sittlich motivierten Entscheidung als ausgeräumt gelten mussten. Die dahin gehende Beweiswürdigung lässt Verstöße gegen die Grundsätze des § 108 VwGO nicht erkennen.
(4) Die Feststellung auf Seite 8 des Urteils, "Das Beharren des Klägers auf vordergründigen und rational bestimmten Äußerungen ohne jedes Anzeichen einer inneren Beteiligung, damit das völlige Fehlen einer auch nur ansatzweise erkennbaren und glaubwürdigen Darlegung einer im Falle der Beteiligung bei Kriegseinsätzen vorliegenden Gewissensnot ..." stehe im Widerspruch zu anderen Stellen des Urteils, wo dem Kläger "spürbare Emotionalität" (Urteil S. 6) und "größte Emotionalität" (S. 7) zugesprochen würden. Das Gericht habe es unter Verstoß gegen § 108 VwGO versäumt, die emotionalen Äußerungen des Klägers als Ausdruck seiner Gewissensnot zu würdigen.
Auch insofern ist kein Verstoß des erstinstanzlichen Urteils gegen § 108 VwGO erkennbar. Die Beschwerde rügt wiederum nicht ein Verfahrensdefizit der Entscheidung, sondern wendet sich gegen das Ergebnis der Beweiswürdigung. Insofern ist das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt, dass Emotionalität des Klägers sich im Zusammenhang mit Aussageabschnitte gezeigt habe, die politischen oder rationalen Charakter gehabt hätten, während ein Zusammenhang mit einer in seinem Inneren bestehenden verbindlichen und unabdingbaren Gewissensnot im Falle der Ableistung des Kriegsdienstes mit der Waffe nicht hergestellt werden konnte (Urteil S. 8).
b) Mit der Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bringt der Kläger vor, im Urteil werde ausgeführt: "Liegt der maßgebliche Grund für die Kriegsdienstverweigerung in der von ihm primär benannten Verantwortlichkeit des Soldaten für Kriegstaten "seiner" Armee, schließt dieser auf rationalen Erwägungen beruhende Gesichtspunkt das Vorhandensein einer Gewissensentscheidung zwar nicht von vornherein aus ... stellt aber allein auch noch keine Gewissensentscheidung dar". Grundlegend sei, ob es sich bei den geschilderten Beweggründen überhaupt um rationale Erwägungen handele oder nur um einen erweiterten Begriff der "Teilnahme an Kriegseinsätzen", die ihm sein Gewissen verbiete.
Die aufgeworfene Frage gebietet nicht die Zulassung der Revision, weil sie offensichtlich im Sinne des angefochtenen Urteils zu beantworten ist. Fühlt der Wehrpflichtige sich als Soldat für das Verhalten "seiner" Armee verantwortlich, so ist dies für die Darlegung einer von Art. 4 Abs. 3 GG geschützten Gewissensentscheidung unschädlich. Diese Haltung gibt jedoch als solche noch nicht hinreichend zu erkennen, von welchen Motiven die Weigerung getragen ist, sich den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland überhaupt als Soldat zur Verfügung zu stellen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.