Beschluss vom 15.04.2004 -
BVerwG 6 B 62.03ECLI:DE:BVerwG:2004:150404B6B62.03.0

Beschluss

BVerwG 6 B 62.03

  • VG Frankfurt am Main - 26.06.2003 - AZ: VG 2 E 1785/02 (2)

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht B ü g e
und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 26. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 776,45 € festgesetzt.

Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.) und des Verfahrensfehlers (2.) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlichen noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage ist im Wesentlichen nicht klärungsbedürftig und im Übrigen für eine Revisionsentscheidung nicht erheblich.
Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig, ob den Anforderungen des § 17 Abs. 4 WPflG an die von Amts wegen durchzuführende Untersuchung eines Wehrpflichtigen auf seine körperliche Tauglichkeit genügt ist, wenn die Behörde nur denjenigen Anhaltspunkten nachgeht, die von einem Wehrpflichtigen gegenüber sonstiger Darstellung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen "mit genügender Hervorhebung und Eindringlichkeit" vorgebracht werden.
Diese Frage ist in dem Kontext, in welchem sie sich dem Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung gestellt hat, ohne weiteres zu bejahen, so dass die Klärung in einem Revisionsverfahren nicht erforderlich ist. Das Verwaltungsgericht ist nach Vernehmung des Musterungsarztes, des Zeugen Dr. M., zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser die Anamnese ordnungsgemäß erhoben hat und dass er einer Äußerung des Klägers, er kriege schwer Luft und komme schnell außer Atem, wenn er sich anstrenge, nachgegangen wäre. Dennoch wollte das Verwaltungsgericht die Behauptung des Klägers über die angebliche Äußerung nicht als unwahr verwerfen. Es hat dazu erwogen, der Kläger könne jene Äußerung bei der Musterung zwar fallen gelassen haben, er könne dies aber nicht in einer Weise getan haben, welche die Aufmerksamkeit des Musterungsarztes darauf hätte lenken müssen. Damit ist eine im Revisionsverfahren klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht aufgeworfen. Wie sich aus § 17 Abs. 4 WPflG ohne weiteres ergibt, ist im Rahmen des Musterungsverfahrens allen vom Wehrpflichtigen geltend gemachten tauglichkeitsrelevanten Gesundheitsbeschwerden nachzugehen. Die Ermittlungspflicht der Wehrersatzbehörden knüpft insoweit jedoch an die Mitwirkungspflicht des Wehrpflichtigen an. Sie setzt erst ein, wenn der Wehrpflichtige im Gespräch mit dem Musterungsarzt solche zuvor noch nicht erörterte Beschwerden in einer Weise schildert, die dem wehrmedizinisch erfahrenen Musterungsarzt Anlass zu Nachfragen oder weiter gehenden Maßnahmen geben müssen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der Wehrpflichtige Beschwerden nur beiläufig und als nicht weiter ernst zu nehmen anzeigt. Dem Wehrpflichtigen obliegt daher hinsichtlich der noch nicht von Amts wegen erörterten Beschwerden eine Substantiierungspflicht, die jedenfalls so weit geht, dass beim Musterungsarzt überhaupt der Eindruck entstehen kann, es handele sich um unter Umständen tauglichkeitsrelevante Gesundheitsmängel. Da dies hier nach Beweiswürdigung zu verneinen war, durfte das Verwaltungsgericht gemäß seiner zutreffenden Rechtsauffassung zur Kostenerstattung nach § 80 VwVfG zugrunde legen, dass der Kläger im Widerspruchsverfahren zunächst ohne Einholung und Vorlage privatärztlicher Gutachten den Wehrersatzbehörden Gelegenheit geben musste, den im Musterungsverfahren bisher nicht ordnungsgemäß geltend gemachten Gesundheitsmängeln nachzugehen.
2. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bleibt ohne Erfolg, und zwar sowohl hinsichtlich der Aufklärungsrüge (a), als auch hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (b) und der Gehörsrüge (c).
a) Die Aufklärungsrüge bleibt ohne Erfolg. Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Die Beschwerde ist der Ansicht, wenn das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich habe darauf abstellen wollen, ob der Kläger seine Bronchialbeschwerden mit der von dem Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltenen "Eindringlichkeit" vorgetragen hätte, dann hätte es den Kläger im Rahmen der informatorischen Anhörung hierzu befragen müssen. Wäre der Kläger in der mündlichen Verhandlung dazu befragt worden, hätte er wahrheitsgemäß ange-
geben, dass er die Angaben zu seinen Atemnotbeschwerden mit derselben
- wie das Verwaltungsgericht formuliert - "Eindringlichkeit" bzw. mit demselben "Nachdruck" wie alle anderen Angaben auch gemacht habe, wie er dies von ärztlichen Untersuchungen gewohnt sei. Er hätte erklärt, dass diese Angaben sich insoweit nicht von denjenigen Angaben unterschieden hätten, die von dem untersuchenden Arzt Dr. M. in das Untersuchungsprotokoll aufgenommen worden seien. Das Verwaltungsgericht hätte es dann nicht bei der Schlussfolgerung oder bloßen Vermutung belassen dürfen, "dass dies ganz offensichtlich nicht mit dem gebotenen Nachdruck erfolgt" sei.
Dem Verwaltungsgericht musste sich eine ergänzende informatorische Anhörung des Klägers nicht aufdrängen. Dieser hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 26. Juni 2003 eingeräumt, sich an genauere Einzelheiten nicht erinnern zu können. Diese Äußerung durfte das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung auf den gesamten entscheidungserheblichen Vorgang beziehen, zumal dieser im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts bereits mehr als dreieinhalb Jahre zurücklag und auch weitere Aussagen des Klägers auf - wegen des Zeitablaufs verständliche - Erinnerungslücken schließen ließen. Angesichts dessen lag die Annahme nicht nahe, dass eine erneute informatorische Anhörung des Klägers weitere entscheidungserhebliche Erkenntnisse zutage gefördert hätte.
b) Die Rüge eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Das Gebot der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verlangt, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Es ist daher verletzt, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (Urteil vom 31. Oktober 1994 - BVerwG 9 C 25.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 261).
Die Beschwerde wendet sich gegen den Erwägungsansatz in den Urteilsgründen, es komme entscheidend darauf an, in welchem Abschnitt des Musterungsverfahrens der Kläger die Angaben zu seiner Atemnot gemacht habe. Zu diesem Zweck wiederholt sie die einschlägigen Passagen von Verhandlungsniederschrift und Urteil, unterzieht sie einer anderen inhaltlichen Bewertung als das Verwaltungsgericht und führt die Beweiswürdigung dementsprechend zu dem mit der Klage verfolgten Ergebnis. Damit zeigt sich nicht, dass das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, sondern nur, dass es denselben Sachverhalt wie die Beschwerde zu Grunde gelegt, aber anders gewürdigt hat. Darin liegt kein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
c) Schließlich bleibt auch die Gehörsrüge (§ 108 Abs. 2 VwGO) ohne Erfolg. Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör darin, dass das Verwaltungsgericht vor dem Urteil nicht auf die Entscheidungserheblichkeit des "Nachdrucks" sowie der "genügenden Hervorhebung und Eindringlichkeit" des Hinweises auf die Atembeschwerden durch den Kläger im Musterungsverfahren hingewiesen habe. Der Einzelrichter wäre verpflichtet gewesen, die Parteien darauf hinzuweisen. Es handele sich hierbei nicht um die Darlegung des Beweisergebnisses, die nicht gefordert werden könne, sondern um Schlussfolgerungen, mit denen die Parteien nicht ohne weiteres hätten rechnen können.
Dieser Beurteilung ist nicht zu folgen. Die bereits bei der Behandlung der Grundsatzrüge erörterten Erwägungen des Verwaltungsgerichts liegen nicht außerhalb dessen, womit der anwaltlich vertretene Kläger rechnen musste. Ihn konnte nicht überraschen, dass nicht jede beiläufige oder sonst unsubstantiierte Äußerung des Wehrpflichtigen bei der Musterung geeignet ist, die behördliche Ermittlungspflicht nach § 17 Abs. 4 WPflG auszulösen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 2 GKG.