Beschluss vom 14.12.2010 -
BVerwG 1 B 30.10ECLI:DE:BVerwG:2010:141210B1B30.10.0

Beschluss

BVerwG 1 B 30.10

  • VGH Baden-Württemberg - 16.09.2010 - AZ: VGH 11 S 1726/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Dezember 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. September 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde sieht zunächst die Frage als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig an, ob bei zugewanderten Ausländern, die in Deutschland seit Jahren Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und hier in vollem Umfang auch von der Sprache her integriert sind, ein Ausreisehindernis im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG besteht und sie daher einen Anspruch auf weiteren Aufenthalt haben müssen (Beschwerdebegründung S. 4 Nr. 1).

3 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage lässt sich nicht verallgemeinerungsfähig beantworten. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass ein Ausreisehindernis im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG auch darin bestehen kann, dass dem Ausländer die Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Die Unmöglichkeit kann u.a. darin liegen, dass ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich auch aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die ihre Grundlage etwa in Art. 8 EMRK haben (vgl. Urteil vom 27. Juni 2006 - BVerwG 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192 Rn. 17 m.w.N.). Ob sich ein derartiges Abschiebungsverbot als Ergebnis eines langjährigen Prozesses der Verwurzelung des Ausländers in Deutschland ergibt, ist aber eine Frage des Einzelfalls, die sich einer verallgemeinernden Beantwortung entzieht. Dabei ist die von der Beschwerde angesprochene wirtschaftliche Integration nur einer von zahlreichen zu berücksichtigenden Umständen. Nichts anderes ergibt sich bei der von der Beschwerde geforderten Auslegung der Vorschrift im Lichte des Grundgesetzes (hier insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG).

4 2. Die Beschwerde hält weiterhin die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, ob der Ländererlass über den Abschiebestopp für irakische Staatsangehörige ein solcher nach § 60a Abs. 1 AufenthG sei und dieser dann eine Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG bedinge. Denn § 60a Abs. 1 Satz 2
AufenthG regele, dass für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten § 23 Abs. 1 AufenthG gelte, so dass zu klären sei, inwieweit dann von Zuwanderung auszugehen sei mit der Folge, dass dies im Rahmen entweder von § 25 Abs. 3 AufenthG oder § 23 Abs. 1 AufenthG berücksichtigt werden müsse (Beschwerdebegründung S. 4 f. Nr. 2).

5 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage bedarf nicht der Klärung im Rahmen eines Revisionsverfahrens. Sie lässt sich vielmehr ohne weiteres dahin beantworten, dass aus § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG kein Anspruch auf Erlass einer Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG folgt. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits zur Rechtslage nach dem Ausländergesetz 1990 entschieden, dass Abschiebestopp-Erlasse gemäß § 54 AuslG 1990 für ganze Ausländergruppen wegen ihrer weitreichenden Folgewirkungen als politische Grundsatzentscheidungen allein in das Ermessen der Innenministerien des Bundes und der Länder gestellt sind und subjektive, einklagbare Rechte einzelner Ausländer grundsätzlich ausgeschlossen sein sollen (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <327>). Es ist weder von der Beschwerde vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 60a AufenthG hieran etwas ändern wollte. Vielmehr hat das Berufungsgericht überzeugend ausgeführt (UA S. 9), dass der Verweis auf § 23 Abs. 1 AufenthG in § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausschließlich dahin zu verstehen ist, dass es für die Anordnung einer Aussetzung der Abschiebung von länger als sechs Monaten des in § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geregelten Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern bedarf. Hiervon geht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 in Nr. 60a 1.3.1 aus (GMBl 2009, 878). Diese Rechtsauffassung wird auch von der Kommentarliteratur geteilt (vgl. etwa Hailbronner, AuslR, Stand: Juni 2009, § 60a AufenthG Rn. 2 und 14; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 23 Rn. 17, Stand Juni 2007 und § 60a Rn. 31, Stand Mai 2010).

6 Warum die Dauer der Aussetzung der Abschiebung im vorliegenden Fall im Rahmen von § 25 Abs. 3 AufenthG eine Rolle spielen soll, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, wie sie Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG sind, wurden hier rechtskräftig verneint.

7 Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 sowie aus § 52 Abs. 2 GKG.