Beschluss vom 14.07.2005 -
BVerwG 1 B 135.04ECLI:DE:BVerwG:2005:140705B1B135.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.07.2005 - 1 B 135.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:140705B1B135.04.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 135.04

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 29.06.2004 - AZ: OVG 9 A 2226/02.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juli 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde des Klägers hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) und den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Wegen dieser Verfahrensmängel, auf denen die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.
Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, hatte geltend gemacht, ihm drohten bei einer Rückkehr in den Irak aufgrund von ihm begangener Straftaten Inhaftierung und menschenrechtswidrige Behandlung sowie Gefahren für Leib und Leben in den dortigen Gefängnissen. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Klägers in dem im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO ergangenen Beschluss für unglaubhaft gehalten und das Bestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG verneint (BA S. 13 f.). Die Beschwerde rügt insoweit der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht diesen Schluss nicht hätte ziehen dürfen, ohne zuvor durch persönliche Anhörung des Klägers sich ein eigenes Bild von dessen Glaubwürdigkeit zu machen. Das Berufungsgericht hat aus den protokollierten Aussagen des Klägers vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und der Polizei in München Widersprüche abgeleitet, ohne den Kläger persönlich anzuhören. Dass dies hier ausnahmsweise verfahrensrechtlich zulässig war, lässt sich der Berufungsentscheidung nicht entnehmen (vgl. Beschlüsse vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 218.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 328 und vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 260). Im Übrigen hat sich das Berufungsgericht mit seiner tatrichterlichen Bewertung auch in Widerspruch zu der Würdigung des Verwaltungsgerichts gesetzt, das den Kläger nach persönlicher Anhörung für glaubwürdig hielt (erstinstanzliches Urteil S. 7 f.). Von einer erneuten Anhörung hätte es unter diesen Umständen nicht absehen dürfen (vgl. Beschlüsse vom 26. Februar 2003 - BVerwG 1 B 218.02 - a.a.O. und vom 28. April 2000 - BVerwG 9 B 137.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 235). Der angefochtene Beschluss kann auf diesem Verfahrensverstoß beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer persönlichen Anhörung des Klägers dessen Vorbringen Glauben geschenkt hätte.
Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, selbst bei Unterstellung des Vorbringens des Klägers als wahr sei kein Raum für die Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses, beruhen seine Erwägungen ebenfalls auf einem Verfahrensfehler. Das Gericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Der Kläger, der vom Berufungsgericht mit Mitteilung vom 7. Juni 2004 zur vorgesehenen Verfahrensweise nach § 130a VwGO angehört worden ist, hat mit Schriftsätzen vom 11. und 24. Juni 2004 die Vernehmung des R. als Zeugen zum weiteren Schicksal zweier angeblicher Mittäter bei den erwähnten Straftaten sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens u.a. zu der ihm drohenden Strafverfolgung angeregt. Es kann offen bleiben, ob es unter den Umständen des vorliegenden Falles einer erneuten Anhörungsmitteilung bedurfte. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht das - in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Beschlusses nicht erwähnte - in Rede stehende Beweisangebot nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen und damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Hierfür spricht namentlich, dass das Berufungsgericht ausgeführt hat, eine Verfolgung der behaupteten Straftaten über fünf Jahre nach der Ausreise des Klägers sei nicht beachtlich wahrscheinlich (BA S. 14), ohne sich mit dem in das Wissen des benannten Zeugen gestellten Vortrag auseinander zu setzen, einer der beiden damaligen Mittäter befinde sich im Irak im Gefängnis und ein weiterer Mittäter sei nach seiner Verhaftung nicht mehr nach Hause zurückgekehrt.
Da die Beschwerde schon wegen des festgestellten Verfahrensmangels Erfolg hat, kommt es auf die weiteren Verfahrensrügen nicht an.