Beschluss vom 14.04.2011 -
BVerwG 20 F 19.10ECLI:DE:BVerwG:2011:140411B20F19.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.04.2011 - 20 F 19.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:140411B20F19.10.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 19.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 14. April 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Buchheister
beschlossen:

  1. Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.

Gründe

I

1 Der Antragsteller, der anlässlich eines im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ausgestellten sogenannten Behördenzeugnisses Kenntnis davon erhielt, dass beim das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen zu seiner Person vorhanden sind, begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Beklagten Auskunft über die zu seiner Person erhobenen Daten.

2 Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren einige Angaben gemacht, eine über den Inhalt des Behördenzeugnisses hinausgehende Auskunft der weiteren vorliegenden Einzelinformationen, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen sind, jedoch verweigert. Das Gericht der Hauptsache hat die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 15. Oktober 2008 verpflichtet, die Personenakte des Antragstellers vorzulegen. Daraufhin hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz unter dem 16. Juni 2010 eine „geschwärzte Fassung“ der über den Antragsteller gesammelten Erkenntnisse vorgelegt und zugleich eine Sperrerklärung abgegeben. Danach werden zahlreiche nach Blattzahlen der Originalakte bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen, gar nicht oder in Form von Austauschblättern vorgelegt.

II

3 Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Antragstellers ist unbegründet. Die Weigerung des Beigeladenen, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

4 1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 und vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08  - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02  - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 3. März 2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09  - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).

5 Gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Gemäß § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleibt die Auskunftserteilung, wenn einer der dort genannten Geheimhaltungsgründe vorliegt. Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht und beabsichtigt die oberste Aufsichtsbehörde, die Vorlage der vom Verwaltungsgericht zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung angeforderten Akten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wegen Geheimhaltungsbedürftigkeit ganz oder teilweise zu verweigern, so genügt es nicht, dass sie in ihrer Erklärung gegenüber dem Gericht auf die Geheimhaltungsgründe des Fachgesetzes verweist. Die oberste Aufsichtsbehörde hat vielmehr neben der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten zusätzlich (gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht der Hauptsache auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.

6 2. In der Sperrerklärung vom 16. Juni 2010 hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Antragstellers an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des Bundesamts für Verfassungsschutz im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als eines wesentlichen Elements des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen des Antragstellers zu berücksichtigen (Abschnitt III 1 und 2 der Sperrerklärung).

7 Bei seiner Abwägung ist der Beigeladene unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat zunächst nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet, innerhalb derer die Zurückhaltung der Information jeweils durch denselben Geheimhaltungsgrund gerechtfertigt ist (Abschnitt IV 1 der Sperrerklärung). Dabei ist es - wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. nur Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - Rn. 6 f. und vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 8) - nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel (Abschnitt IV 1 a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt IV 1 b), Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt IV 1 c), Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt IV 1 d) sowie Schutz der Kommunikationswege (Abschnitt IV 1 f) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene, sofern er kein vorrangiges Aufklärungsinteresse des Antragstellers feststellen konnte, die Namen von in den Akten genannten anderen Personen unkenntlich gemacht hat, über die das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen sammeln könnte (Abschnitt IV 1 e). Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und - insbesondere bei Unterstreichungen und Hervorhebungen von Namen - der Vermeidung von Rückschlüssen auf weitere Beobachtungsobjekte, die Arbeitsweise und den Erkenntnisstand des Bundesamts. Der Beigeladene hat auch erkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung wie auch dem privaten Informationsinteresse des Antragstellers zumindest teilweise dadurch Rechnung getragen werden konnte, dass als milderes Mittel zu einer Schwärzung der Austausch von Seiten vorgenommen wurde.

8 Weiter ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene darüber hinaus im Rahmen von Einzelfallabwägungen (Abschnitt IV 2 der Sperrerklärung) weitere Seiten der Akte ganz oder teilweise zurückgehalten hat, weil sie - mitunter zusätzlich zu den bereits angesprochenen formalen Aspekten - Informationen enthalten, deren Sperrung dem Quellenschutz dient, Methoden der operativen Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise des Bundesamts ermöglichen würden (Deckblattberichte, Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen). Das gilt auch für allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber wegen des Zeitpunkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder der Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können.

9 Soweit der Antragsteller geltend macht, es bestehe kein Grund, den Austausch zwischen den Verfassungsschutzbehörden zu schützen, weil dieser schon auf Grund der bestehenden Gesetzeslage bekannt und daher nicht geheimhaltungsbedürftig sei, wird nicht beachtet, dass es nicht um die Tatsache geht, dass sich Verfassungsschutzbehörden überhaupt austauschen. Wie auch der Beigeladene dargelegt hat, geht es vielmehr um die konkrete Art und Weise der Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden, die wiederum Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie der Verfassungsschutzbehörden der Länder erlaubt.

10 Auf gerichtliche Nachfrage hat die Antragsgegnerin in Ergänzung des bereits vom Beigeladenen vorgelegten Originals der Personenakte des Antragstellers die Aktenblätter 1242 bis 1326 als Ausdruck der (elektronisch geführten) Originalakte nachgereicht sowie Blatt 376 vorlegt, das - wie im Schreiben des Senats vom 21. Februar 2011 angemerkt - in der „geschwärzten“ Fassung fehlte.

11 Der Senat hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte „geschwärzte Fassung“ der Personenakte des Antragstellers und das ihm vorgelegte Original im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen zurückgehalten hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht gesondert erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch Leerblätter kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die den eigentlichen Aktenbestandteilen jeweils vorgeheftet sind und - ähnlich etwa der Beschriftung von Aktendeckeln - ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthalten. Selbst wenn man diese Vorblätter und einzelne Formblätter zum Akteninhalt rechnete, was hier dahinstehen kann, erfüllen sie zweifelsfrei die genannten Geheimhaltungsgründe für Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel. Soweit der Antragsteller zu Blatt 575 vorträgt, eine Schwärzung der Namen dritter Personen hätte genügt, zeigt er keinen Ermessensfehler auf. Der Beigeladene durfte den Umstand, dass sich auf diesem Aktenblatt keine Informationen über den Antragsteller befinden, als gegen eine Offenlage sprechend gewichten. Im Übrigen wird die Verweigerung der vollständigen Vorlage nicht allein mit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts begründet. Auch hier hat die Durchsicht ergeben, dass die Nichtvorlage des Aktenblatts nicht zu beanstanden ist. Dass sich auf dem Original des Blattes 1258 zwei Schwärzungen befinden, die sich erkennbar auf eine Namensangabe beziehen, ist nicht zu beanstanden. Nach der Erklärung der Antragsgegnerin handelt es sich um einen Ausdruck der elektronisch angelegten Aktenseiten, so dass davon auszugehen ist, dass bereits das Original die Schwärzung trägt. Ungeachtet der Schwärzung konnte der Senat das Vorliegen des in der Sperrerklärung angeführten Geheimhaltungsgrundes überprüfen.

12 Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. dazu Beschluss vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 20 F 15.10 - juris Rn. 11).

13 Einer Streitwertfestsetzung bedarf es ebenfalls nicht, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem Fachsenat nicht anfallen.