Beschluss vom 13.12.2007 -
BVerwG 4 BN 41.07ECLI:DE:BVerwG:2007:131207B4BN41.07.0

Leitsätze:

Im Rahmen der Bauleitplanung kann die TA-Lärm zur Bestimmung der Zumutbarkeit der Geräuschimmissionen des Zu- und Abfahrtsverkehrs herangezogen werden, der einem geplanten Vorhaben (hier: großflächiger Einzelhandelsbetrieb) zuzurechnen ist.

Die Lärmgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), auf die Nr. 7.4 Abs. 2 der TA-Lärm verweist, haben in der bauleitplanerischen Abwägung die Funktion von Orientierungswerten, von denen je nach den Umständen der konkreten Planungssituation abgewichen werden darf.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 1 Abs. 7
    TA-Lärm Nr. 7.4 Abs. 2
    16. BImSchV § 2

  • OVG Lüneburg - 31.05.2007 - AZ: OVG 1 KN 265/05 -
    Niedersächsisches OVG - 31.05.2007 - AZ: OVG 1 KN 265/05

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.12.2007 - 4 BN 41.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:131207B4BN41.07.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 41.07

  • OVG Lüneburg - 31.05.2007 - AZ: OVG 1 KN 265/05 -
  • Niedersächsisches OVG - 31.05.2007 - AZ: OVG 1 KN 265/05

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Dezember 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller zu 1 und 2 als Gesamtschuldner, die Antragsteller zu 3 und 4 als Gesamtschuldner sowie der Antragsteller zu 5 jeweils zu einem Drittel.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsteller beimessen.

2 Die Antragsteller wenden sich im Normenkontrollverfahren gegen den von der Antragsgegnerin beschlossenen Bebauungsplan Nr. 244, der das Sondergebiet „Großflächiger Einzelhandel Ulmenstraße“ ausweist, auf dessen Grundlage die Beigeladene einen Verbrauchermarkt von insgesamt 2 030 m² Verkaufsfläche errichten möchte. Die Antragsteller setzen sich u.a. gegen die dem Verbrauchermarkt zuzurechnenden Lärmimmissionen des künftigen An- und Abfahrtsverkehrs zur Wehr, die sie für unzumutbar halten. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt und sich dabei an Nr. 7.4 Abs. 2 der Technischen Anleitung Lärm (TA-Lärm 1998) orientiert: Der durch das Vorhaben ausgelöste Verkehr werde zwar voraussichtlich den Lärmpegel in der Ulmenstraße um mindestens 3 dB(A) erhöhen. Bei einem Immissionspunkt seien Überschreitungen der maßgeblichen Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) um etwa 1,5 dB(A) zu erwarten. Diese Überschreitungen seien von den Antragstellern jedoch hinzunehmen. Eine Überschreitung der Grenzwerte führe nicht automatisch zur Abwägungswidrigkeit des Vorhabens. Es sei nicht abwägungsfehlerhaft, eine geringfügige Überschreitung der Immissionsgrenzwerte in Kauf zu nehmen, um den Missstand einer vollständig versiegelten, zunehmend verwildernden Fläche zu beenden.

3 Die Antragsteller möchten rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
„ob eine nicht vermeidbare Überschreitung der Immissionsgrenzwerte nach der Verkehrslärmschutzverordnung nicht automatisch zur Abwägungswidrigkeit des Vorhabens führt, sondern hinzunehmen ist, wenn dadurch ein seit Jahren zu verzeichnender städtebaulicher Missstand in einer Gemengelage beseitigt wird“.

4 Diese Rechtsfrage ist, soweit sie über den konkreten Streitfall hinaus überhaupt in fallübergreifender verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden kann, nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig. Sie kann auf der Grundlage des bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantwortet werden.

5 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der unter Inanspruchnahme einer öffentlichen Straße abgewickelte Zu- und Abfahrtsverkehr der baulichen Anlage, durch deren Nutzung er ausgelöst wird, zuzurechnen ist, sofern er sich innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs bewegt und vom übrigen Straßenverkehr unterscheidbar ist (Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 - NVwZ 1999, 523 <527> m.w.N.). Auf diesen anlagebezogenen Zu- und Abfahrtsverkehr finden die normativen Lärmgrenzwerte der 16. BImSchV keine unmittelbare Anwendung, weil sie im Zusammenhang mit der Aufstellung von Bauleitplänen nur gelten, wenn diese Pläne den Neubau oder die wesentliche Änderung von Verkehrswegen zum Gegenstand haben. Die Zumutbarkeit von Verkehrsgeräuschen, auf welche die Verkehrslärmschutzverordnung nicht unmittelbar anwendbar ist, ist stets anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der speziellen Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebiets zu bestimmen (Beschluss vom 23. Juni 2003 - BVerwG 4 BN 7.03 - BauR 2004, 975; Beschluss vom 23. Juni 2003 - BVerwG 4 BN 8.03 - Buchholz 406.11 § 12 BauGB Nr. 25). Die vorgenannten Entscheidungen des Senats haben ferner geklärt, dass die TA-Lärm im Rahmen der tatrichterlichen Kontrolle eines Bebauungsplans als Orientierungshilfe zur Bestimmung der Zumutbarkeit von Verkehrsgeräuschen herangezogen werden darf, soweit der zu beurteilende Verkehrslärm seiner Art nach zu den Geräuschimmissionen gehört, deren Beurteilung die TA-Lärm dient. Dem steht nicht entgegen, dass die TA-Lärm sich nicht unmittelbar an die planende Gemeinde richtet, sondern dazu bestimmt ist, auf der Ebene der Anlagenzulassung die Anforderungen bei der Beurteilung von Lärmimmissionen zu konkretisieren, die gewerbliche Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erfüllen müssen (Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 - a.a.O.).

6 Als Orientierungshilfe für die Bauleitplanung und deren gerichtliche Überprüfung kann auch Nr. 7.4 Abs. 2 TA-Lärm dienen, der bestimmt:
„Geräusche des An- und Abfahrtsverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem Abstand von bis zu 500 m von dem Betriebsgrundstück in Gebieten nach Nummer 6.1 Buchstaben c bis f sollen durch Maßnahmen organisatorischer Art soweit wie möglich vermindert werden, soweit
- sie den Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche für den Tag und die Nacht rechnerisch um mindestens 3 dB(A) erhöhen,
- keine Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgt ist und
- die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) erstmals oder weitergehend überschritten werden.“

7 Die Verweisung auf die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung bedeutet nicht, dass die dort normativ festgelegten Lärmgrenzwerte der bauleitplanerischen Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) hinsichtlich der Berücksichtigung eines prognostizierten anlagenbezogenen Zu- und Abfahrtverkehrs strikte rechtliche Grenzen setzt. Welche Lärmbelastungen einem Wohngebiet unterhalb der Grenze zu Gesundheitsgefahren, die hier nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts nicht annähernd erreicht wird, zugemutet werden darf, richtet sich auch bei der Orientierung an Nr. 7.4 Abs. 2 TA-Lärm nach den Umständen des Einzelfalls. Nr. 7.4 Abs. 2 TA-Lärm dient auch insoweit (nur) als Orientierungshilfe im Rahmen einer gerechten Abwägung, als auf die Lärmgrenzwerte der 16. BImSchV verwiesen wird. Das bedeutet: Von den in der 16. BImSchV festgelegten Immissionswerten darf in einer Bebauungsplanung, die nicht den Neubau oder die wesentliche Erweiterung einer Straße zum Inhalt hat, abgewichen werden. Das gilt auch für die planerische Ausweisung eines Sondergebiets für den großflächigen Einzelhandel. Eine Überschreitung der Immissionswerte kann das Ergebnis einer gerechten Abwägung sein. Je weiter die in der 16. BImSchV festgelegten Werte infolge der Errichtung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs überschritten würden, desto gewichtiger müssen allerdings die für die Planung sprechenden städtebaulichen Gründe sein und um so mehr hat die Gemeinde die baulichen und technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihr zu Gebote stehen, um diese Auswirkungen zu verhindern oder auf ein nach den örtlichen Gegebenheiten erträgliches Maß zu senken (vgl. auch Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - ZfBR 2007, 466 - zu den Orientierungswerten der DIN 18005 im Städtebaurecht; zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

8 Eine derartige auf den Einzelfall zugeschnittene Beurteilung der konkreten Situation hat das Normenkontrollgericht hier vorgenommen. Dieser rechtliche Ansatz steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Ob die Beseitigung eines städtebaulichen Missstandes es rechtfertigt, Überschreitungen der Immissionswerte der Lärmschutzverordnung, auf die Nr. 7.4 Abs. 2 TA-Lärm verweist, als für die Betroffenen noch zumutbar anzusehen, ist eine Frage des Einzelfalls, die sich einer verallgemeinerungsfähigen Klärung für eine Vielzahl von Fällen entzieht. Die Beschwerde zeigt im Übrigen nicht auf, dass die Rechtsprechung des Senats zur rechtlichen Funktion der TA-Lärm als Orientierungshilfe in der Bauleitplanung aus Anlass des vorliegenden Falles der richterlichen Fortentwicklung, Ergänzung oder Korrektur bedürfte.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Von dem Gesamtstreitwert in Höhe von 30 000 € entfallen auf die Antragsteller zu 1 und 2 10 000 €, auf die Antragsteller zu 3 und 4 10 000 € und auf den Antragsteller zu 5 10 000 €.