Verfahrensinformation

Der Kläger, der auf Grund bestandskräftigen Bescheids die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) erfüllt hatte, begehrt die Ausstellung eines Flüchtlingsausweises nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Er wurde nach einer Verurteilung zu 3 Jahren Freiheitsstrafe (u.a. wegen versuchter räuberischer Erpressung) ausgewiesen. Nach Abschluss eines Vergleichs, der ab 2007 bei straffreier Führung eine Aufenthaltserlaubnis vorsieht, wurden dem Kläger jeweils Duldungen erteilt. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob die Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG (jetzt: § 11 Abs. 1 AufenthG ) der Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GFK an einen ausgewiesenen, jedoch nach § 51 AuslG geduldeten Ausländer entgegensteht.


Pressemitteilung Nr. 65/2005 vom 13.12.2005

Flüchtlingsausweis nach Ausweisung

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass die Ausländerbehörde einem anerkannten Flüchtling einen Reiseausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) auch ausstellen kann, wenn sein Aufenthalt in Deutschland nach bestandskräftiger Ausweisung nur geduldet wird.


Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, hält sich seit seiner Einreise im Jahre 1996 in Deutschland auf. 1997 wurde er als Flüchtling im Sinne der GFK anerkannt. 1999 wurde er ausgewiesen, weil er als „Spendeneintreiber“ für die PKK u.a. wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war. Die Klage gegen die Ausweisung nahm der Kläger im Jahr 2000 nach Abschluss eines Vergleichs zurück. Seitdem wird der Aufenthalt des Klägers geduldet. Der Vergleich sieht vor, dass dem Kläger bei straffreier Führung ab Juli 2007 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.


Im Jahr 2001 beantragte der Kläger die Erteilung eines Reiseausweises nach der GFK. Die beklagte Stadt lehnte den Antrag ab. Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte zur erneuten Ermessensentscheidung über den Antrag (nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GFK). Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Klage dagegen abgewiesen. Nach seiner Auffassung darf ein Reiseausweis an ausgewiesene Ausländer nicht erteilt werden. Dem stehe die gesetzlich vorgesehene sog. "Sperrwirkung" der Ausweisung (§ 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz) entgegen, d.h. das Verbot für ausgewiesene Ausländer, nach der Ausreise oder Abschiebung wieder nach Deutschland einzureisen.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Das allgemeine Verbot der Wiedereinreise für ausgewiesene Ausländer schließt die Ausstellung eines Reiseausweises an einen ausgewiesenen und in Deutschland nur noch geduldeten Konventionsflüchtling nicht aus. Das ergibt sich aus der Sonderregelung in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GFK, die auch geduldeten Flüchtlingen Reisen außerhalb des Aufenthaltsstaats nach dem Ermessen der Ausländerbehörde ermöglichen will. Ein Reiseausweis darf allerdings nicht erteilt werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof bisher nicht geprüft. Deshalb muss das Verfahren zurückverwiesen werden. Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr zunächst prüfen müssen, ob dem Kläger auch unter Berücksichtigung der von ihm begangenen Straftat und seiner früheren Einbindung in die PKK ohne Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung Reisen ins Ausland gestattet werden können. Erst dann wird die Beklagte ihr Ermessen unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange neu auszuüben haben. Dabei kann sie auch den inzwischen ausgesprochenen, aber vom Kläger angefochtenen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung berücksichtigen.


BVerwG 1 C 36.04 - Urteil vom 13.12.2005


Urteil vom 13.12.2005 -
BVerwG 1 C 36.04ECLI:DE:BVerwG:2005:131205U1C36.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 13.12.2005 - 1 C 36.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:131205U1C36.04.0]

Urteil

BVerwG 1 C 36.04

  • VGH Mannheim - 27.10.2004 - AZ: VGH 13 S 865/02 -
  • VGH Baden-Württemberg - 27.10.2004 - AZ: VGH 13 S 865/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n , H u n d
und R i c h t e r , die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k sowie
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. Oktober 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

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