Beschluss vom 13.11.2003 -
BVerwG 1 B 260.03ECLI:DE:BVerwG:2003:131103B1B260.03.0

Beschluss

BVerwG 1 B 260.03

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 12.08.2003 - AZ: OVG 15 A 1932/00.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. November 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. August 2003 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, unter welchen Bedingungen eine maßstabsenkende Vorverfolgung vorliegt. Sie bezieht sich dabei auf die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach der Kläger die Türkei unverfolgt verlassen habe und die von ihm behaupteten Verfolgungsmaßnahmen aus dem Jahre 1991 dabei schon deshalb keine Rolle spielten, weil sie zeitlich so weit, nämlich fast vier Jahre, vor der Ausreise des Klägers lägen, dass es an der notwendigen Zeitnähe der Ausreise zur Beendigung der Verfolgungsmaßnahme fehle; nach diesem Vorfall habe der Kläger keine asylrechtlich erheblichen Verfolgungsmaßnahmen erlitten (UA S. 6 f.). Die Beschwerde meint, diese Auffassung stehe in Widerspruch zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach der es gerade nicht auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise ankomme.
Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht aufgezeigt. Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Frage, ob der Zeitablauf zwischen Verfolgung und Flucht für die Feststellung einer Vorverfolgung von Bedeutung ist, bereits rechtsgrundsätzlich, und zwar in bejahendem Sinne, entschieden (vgl. zuletzt Urteil vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 28.99 - BVerwGE 111, 334 m.w.N.; Beschluss vom 8. Februar 2000 - BVerwG 9 B 4.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 229; ebenso das von der Beschwerde selbst zitierte Urteil vom 3. Dezember 1991 - 9 C 35.90 - VBlBW 1992, 250 und <juris> und das vom Berufungsgericht zitierte Urteil vom 30. Oktober 1990 - BVerwG 9 C 60.89 - BVerwGE 87, 52). Danach setzen sowohl das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG als auch das Recht auf Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG jeweils grundsätzlich den Kausalzusammenhang Verfolgung - Flucht - Asyl voraus. Die Ausreise muss sich bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellen. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit maßgebliche Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland verbleibt, umso mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. Daher kann schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist demnach regelmäßig nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verlässt. Inwiefern insoweit aus Anlass des vorliegenden Falles noch weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf bestehen soll, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Ob im Fall des Klägers nach diesen Grundsätzen der Zeitablauf zwischen der als wahr unterstellten Verfolgung und der Ausreise dazu geführt hat, dass seine Ausreise nicht den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht hatte, ist eine von den Tatsachengerichten nach den Gesamtumständen zu beurteilende Frage des Einzelfalles, die die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtfertigt.
Die von der Beschwerde wohl auch gerügte Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist ebenfalls nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargetan. Es fehlt schon an der erforderlichen Darlegung, dass der von der Beschwerde behauptete Rechtssatz, wonach der Zeitablauf zwischen Verfolgung und Flucht für die Feststellung einer Vorverfolgung keine Rolle spielen soll, der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung
überhaupt zu entnehmen ist. Dies ist, wie oben im Rahmen der Grundsatzrüge ausgeführt, auch tatsächlich nicht der Fall. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht in den seit 1990 ergangenen einschlägigen Entscheidungen genau den gegenteiligen Rechtssatz aufgestellt, der im Übrigen auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht (vgl. BVerfGE 80, 315 < 344>; 74, 51 <60 >). Dass sich aus den von der Beschwerde genannten zwei Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts etwas anderes entnehmen lässt, legt die Beschwerde weder dar noch ist es sonst ersichtlich.
Soweit die Beschwerde schließlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, dass das Berufungsgericht die vom Kläger geltend gemachte Verfolgung im Jahre 1991 offen gelassen und nicht weiter ermittelt habe, ist damit ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dargetan. Er läge nur vor, wenn das Berufungsgericht entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hätte. Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil nach der insoweit maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts der Vortrag des Klägers über die erlittene Verfolgung im Jahre 1991 gerade nicht entscheidungserheblich war.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.