Beschluss vom 13.06.2006 -
BVerwG 3 B 179.05ECLI:DE:BVerwG:2006:130606B3B179.05.0

Beschluss

BVerwG 3 B 179.05

  • VG Berlin - 08.09.2005 - AZ: VG 9 A 73.01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger begehrt, ihn nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) wegen der nicht gewährten Möglichkeit eines Forschungsstudiums nach erfolgreichem Abschluss des Studiums der marxistisch-leninistischen Philosophie zu rehabilitieren sowie nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) eine weitere Verfolgungszeit vom 17. Juli 1976 bis 16. September 1978 festzustellen. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage abgewiesen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und eine weitergehende berufliche Rehabilitierung nicht vorgelegen hätten.

2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 3 und 1 VwGO liegen nicht vor.

3 1. Die Beschwerde rügt als Verfahrensmängel die Verletzung der Aufklärungs- und Amtsermittlungspflicht sowie die Verletzung rechtlichen Gehörs, die sie unter Darlegung zahlreicher Details im Einzelnen zu untermauern sucht. So sieht sie einen Verfahrensfehler etwa darin, dass das Verwaltungsgericht festgestellt habe, der Kläger habe „schon im September 1976 an der Sektion WTO der Humboldt-Universität mitgearbeitet“ anstatt festzustellen, dass der Kläger bereits „seit Mai 1976 an der Sektion WTO der Humboldt-Universität mitgearbeitet und auch die Sommerferien zur Arbeit an seiner Konzeption für seine Dissertation genutzt“ habe. Die Behauptung der Rehabilitierungskommission der Humboldt-Universität, die Aufnahme von Absolventen in das Forschungsstudium sei eine seltene Ausnahme gewesen, habe das Gericht ungeprüft
übernommen. Anlass für seine Relegation sei nicht nur seine Weigerung gewesen, der SED beizutreten, sondern vielmehr sein politisches Verhalten während des Studiums insgesamt. In der mündlichen Verhandlung habe keine Erörterung der „Stellungnahme zur Straftat“ des Klägers vom 9. Januar 1979 stattgefunden, so dass im Urteil der falsche Eindruck erweckt werde, der Kläger habe im Prinzip seine Arbeitslosigkeit nach der Relegation selbst verschuldet. Auch den Vortrag der Rehabilitierungskommission der Humboldt-Universität, es sei ein Einsatz des Klägers beim Zentralrat des FDJ vorgesehen gewesen, habe das Gericht ungeprüft übernommen. Es sei schon nicht zu einer Bewerbung gekommen, da der Kläger dem geforderten Kaderprofil nicht entsprochen habe. Unzutreffend sei die Feststellung, dass der Kläger eine Beschäftigung im Ideologiebereich für sich ausgeschlossen habe. Wenn das Gericht den Sachverhalt - auch durch Vernehmung der vom Kläger bereits benannten Frau Christiane K. als Zeugin - weiter aufgeklärt hätte und der Kläger bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs Gelegenheit zum ergänzenden Vortrag gehabt hätte, würde das angefochtene Urteil nicht an unvollständigen und unzutreffenden Feststellungen leiden.

4 Durch diese Rügen wird ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dargelegt. Ein Verfahrensmangel im Sinne der genannten Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine Norm, die den äußeren Verfahrensablauf, also den Weg zum Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses, nicht jedoch dessen Inhalt und den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung betrifft (Beschluss vom 11. Januar 2002 - BVerwG 9 B 40.01 - m.w.N.). In der Sache wendet sich der Kläger nicht gegen eine verfahrensfehlerhafte Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts. Mit der Behauptung unrichtiger Sachverhaltswürdigung ist nämlich in aller Regel kein Verfahrensmangel dargetan. Allerdings kommt eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als Verfahrensfehler in Betracht, wenn die tatsächliche Würdigung von Indizien auf einem Verstoß gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 = Buchholz 310 § 108 Nr. 225). Das ist freilich nur der Fall, wenn eine andere als die angegriffene Einschätzung denk- oder erfahrungsgesetzlich zwingend geboten ist. Das belegt die Beschwerde jedoch nicht. Davon abgesehen scheitert die Aufklärungsrüge auch daran, dass von einer anwaltlich vertretenen Partei im Allgemeinen - so auch hier - erwartet werden kann, dass eine von ihr für notwendig erachtete Sachaufklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt wird. Wenn der Anwalt dies versäumt hat, kann sein Mandant eine mangelnde Sachaufklärung nicht mehr erfolgreich rügen (vgl. z.B. Urteil vom 27. Juli 1983 - BVerwG 9 C 541.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146). Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 8. September 2005 keine Beweisanträge gestellt.

5 2. Der Rechtsstreit weist auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob
„die Entscheidung der DDR-Behörden, nach Abschluss eines Diplomstudiums ein weiterführendes Studium mit dem Ziel der Promotion nachträglich zu verweigern, einen Eingriff in einen durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten Beruf dar(stellt), nachdem das Forschungsstudium bereits begonnen und über mehrere Monate ausgeübt wurde“
und
„die hierdurch verursachte berufliche Benachteiligung als Abstiegsschaden i.S. des § 1 Abs. 1 BerRehaG zu qualifizieren (ist)“.

6 Die durch den Kläger aufgeworfenen Fragen können nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen. In dem Umfang, in dem sich diese Fragen in einem Revisionsverfahren stellen würden, wirft ihre Beantwortung keine Probleme auf, welche die Durchführung eines solchen Verfahrens rechtfertigen könnten; denn es ist offenkundig, dass unter Zugrundelegung der das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht erfüllt sind. In der Sache wendet sich der Kläger - vergleichbar seinen nicht durchgreifenden Verfahrensrügen - gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts. Danach war das vom Kläger erstrebte Graduiertenstudium nicht Teil der zuvor abgeschlossenen Hochschulausbildung und vom Kläger noch nicht begonnen worden. Auf der Grundlage dieser Feststellungen liegt die Folgerung der Vorinstanz, dass sich beim Kläger lediglich das nicht rehabilitierungsfähige Allgemeinschicksal, seine Berufsausbildung nicht frei wählen zu können, realisierte, auf der Hand.

7 Soweit der Beschwerdebegründung eine umfassende vom Kläger persönlich verfasste Stellungnahme (29 Seiten) beigefügt ist, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 VwGO, wonach der Kläger sich bei seinem Rechtsbehelf durch einen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen muss. Aus dem Vertretungszwang folgt, dass der Rechtsmittelbegründung die Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs durch den Rechtsanwalt zu entnehmen sein muss, der die Begründung eingereicht hat. Das heißt, dass der postulationsfähige Prozessbevollmächtigte selbst darlegen muss, weshalb im Einzelnen der Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben sein soll, auf den die Beschwerde gestützt wird (vgl. Beschluss vom 19. August 1993 - BVerwG 6 B 42.93 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 81 m.w.N.). Davon abgesehen sind auch dieser Stellungnahme keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten.

8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.