Beschluss vom 26.05.2011 -
BVerwG 5 B 26.11ECLI:DE:BVerwG:2011:260511B5B26.11.0

Leitsatz:

Schmerzensgeld ist im Rahmen der Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht als Vermögen einzusetzen.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 166
    WoGG § 14
    ZPO § 114 Satz 1, §§ 115, 117, 121 Abs. 1

  • Niedersächsisches OVG - 07.02.2011 - AZ: OVG 4 LC 151/09
    VG Osnabrück - 23.04.2009 - AZ: VG 4 A 29.09

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.05.2011 - 5 B 26.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:260511B5B26.11.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 26.11

  • Niedersächsisches OVG - 07.02.2011 - AZ: OVG 4 LC 151/09
  • VG Osnabrück - 23.04.2009 - AZ: VG 4 A 29.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Mai 2011
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Häußler
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision in seinem Beschluss vom 7. Februar 2011 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., ..., beigeordnet.

Gründe

1 Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

2 Die Revision kann dem Senat Gelegenheit zur Klärung der Rechtsfrage geben, ob bei der Berechnung von Wohngeld (§ 14 WoGG) Zinseinnahmen aus angelegtem Schmerzensgeld als Einkommen berücksichtigt werden dürfen.

3 Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ein Anwalt beizuordnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet - was hier bereits aus der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache folgt (vgl. Beschluss vom 26. März 2009 - BVerwG 2 PKH 1.09 <BVerwG 2 C 83.08 > - juris) - hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

4 Auch die übrigen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts liegen vor (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 115, 117 und 121 Abs. 1 ZPO). Nach der Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO) ist sein um die monatlichen Ausgaben bereinigtes Einkommen so gering, dass ihm Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu gewähren ist.

5 Zwar verfügt der Kläger über ein nicht unbeträchtliches Bankguthaben (ca. 97 000 €), das nach seinen Angaben wie auch den zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehenden Feststellungen der Vorinstanzen aus einer Schmerzensgeldzahlung wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers stammt. Der Einsatz dieses Vermögens ist dem Kläger aber nicht zumutbar (§ 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO), weil dies für ihn eine Härte bedeuten würde (§ 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entsprechend).

6 Die einen Härtefall begründende Atypik der Fallgestaltung ergibt sich daraus, dass der Einsatz des Schmerzensgeldes im Rahmen der Prozesskostenhilfe seiner besonderen Zwecksetzung zuwider liefe; das Schmerzensgeld stünde dem Betroffenen nicht mehr zu den Zwecken zur Verfügung, für die es bestimmt ist (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 5 C 22.93 - BVerwGE 98, 256 <258 f.> zur sozialhilferechtlichen Freistellung des Schmerzensgeldes durch die Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 BSHG <heute: § 90 Abs. 3 SGB XII>). Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 253 Abs. 2 BGB) handelt es sich bei dem Schmerzensgeld um eine Geldleistung zur Abdeckung eines immateriellen Schadens. Es dient vor allem dem Ausgleich erlittener oder andauernder Beeinträchtigungen der körperlichen und seelischen Integrität, insbesondere auch dem Ausgleich von Erschwernissen, Nachteilen und Leiden, die über den Schadensfall hinaus anhalten und die durch die materielle Schadensersatzleistung nicht abgedeckt sind, und trägt zugleich dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229 <240> m.w.N.). Der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspricht es, dass das Leben des Geschädigten dadurch in gewissem Umfang erleichtert werden soll. Dies alles ist aber nur gewährleistet, wenn der Geschädigte das Schmerzensgeld zur freien Verfügung behält und nicht für Prozesskosten oder seinen notwendigen Lebensunterhalt aufwenden muss (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - VI ZB 26/05 - VersR 2006, 673 f.). Schmerzensgeld ist deshalb im Rahmen der Prozesskostenhilfe regelmäßig nicht als Vermögen einzusetzen (so auch OLG Köln, Beschluss vom 8. November 1993 - 27 W 20/93 - FamRZ 1994, 1127; OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Februar 1999 - 12 W 64/99 - NJW-RR 1999, 1228; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Juni 2007 - 18 WF 112/07 - FamRZ 2007, 1661; Geimer, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., Stand 2010, § 115 Rn. 61 jeweils m.w.N.).

7 Der Senat folgt nicht der hiervon abweichenden Auffassung, bei hohen Schmerzensgeldzahlungen und geringem Streitwert könne der teilweise Einsatz zumutbar sein, wenn der Partei der wesentliche Teil des Schmerzensgeldes verbliebe bzw. die Funktion des Schmerzensgeldes nicht wesentlich beeinträchtigt werde (so OLG Hamm, Beschluss vom 16. Juni 1987 - 10 WF 278/87 - FamRZ 1987, 1283; OLG Jena, Beschluss vom 29. Februar 2000 - 4 W 81/00 - OLGR Jena 2000, 185; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Dezember 1998 - 2 WF 139/97 - FamRZ 1998, 758 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2010 - 14 W 85/09 - VersR 2011, 88 f.; offenlassend LSG München, Beschluss vom 30. September 2008 - L 13 B 657/08 R - juris). Das Schmerzensgeld ist nämlich - um zur Erreichung der mit ihm verfolgten Zwecke weiterhin zur Verfügung zu stehen - nicht nur mit einem bestimmten Anteil, sondern in seiner ganzen noch vorhandenen Höhe geschützt. Weil seine Höhe von der Schwere der Schädigung und dem Gewicht des erlittenen Unrechts abhängt, ist es nicht gerechtfertigt, die freie Verfügbarkeit des zu deren Ausgleich und Genugtuung erhaltenen Schmerzensgeldes in Teilen einzuschränken (Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O. <260>).

8 Demgegenüber bedarf es hier im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe keiner Entscheidung darüber, ob Zinseinnahmen aus angelegtem Schmerzensgeld als Einkommen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO einzusetzen sind. Auch wenn die diesbezüglichen Zinseinkünfte des Klägers, die er mit monatlich ca. 135 € angegeben hat, als Einkommen berücksichtigt werden, liegt sein nach den Abzügen verbleibendes und insgesamt einzusetzendes Einkommen unter 15 €, so dass dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen zu bewilligen ist (vgl. § 115 Abs. 2 ZPO).

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 5 C 10.11 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.

Beschluss vom 12.06.2012 -
BVerwG 5 PKH 7.11ECLI:DE:BVerwG:2012:120612B5PKH7.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.06.2012 - 5 PKH 7.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:120612B5PKH7.11.0]

Beschluss

BVerwG 5 PKH 7.11

  • Niedersächsisches OVG - 07.02.2011 - AZ: OVG 4 LC 151/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Häußler
beschlossen:

Der Beschluss des Senats über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 26. Mai 2011 wird dahin abgeändert, dass der Kläger einen Betrag von 764,09 € aus seinem Vermögen an die zuständige Gerichtskasse zu zahlen hat.

Gründe

1 Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung wird abgeändert (§ 166 VwGO i.V.m. § 120 Abs. 4 ZPO).

2 Ändern sich die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse, ist entsprechend § 120 Abs. 4 ZPO zwar keine Aufhebung der Bewilligung möglich, weil dies nur bei Vorliegen eines der abschließenden in § 124 ZPO genannten - und hier nicht einschlägigen - Gründe zulässig ist. Erwirbt der Beteiligte jedoch nachträglich Vermögen, aus dem die Kosten der Prozessführung ohne Weiteres aufgebracht werden können, kann die Zahlung eines Betrags aus dem Vermögen angeordnet werden (vgl. etwa OLG Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2001 - 9 WF 112/01 - FamRZ 2002, 403; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 11. Dezember 2000 - 9 W 74/00 - AnwBl 2001, 373 f. und vom 18. Juni 2010 - I-4 W 22/10 - juris Rn. 3; Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 166 Rn. 58; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 166 Rn. 172; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 120 Rn. 13). So verhält es sich hier.

3 Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Zahlung der angefallenen und fälligen Kosten der Prozessführung in Höhe von 764,09 € (davon 489,09 € an Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts und 275,00 € Gerichtskosten), deren Tragung dem Kläger angesichts seines nachträglichen Vermögenserwerbs ohne Weiteres möglich und zumutbar ist, anzuordnen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 2. April 2012 mitgeteilt, durch eine Erbschaft Vermögen in Höhe von ca. 25 000 € erlangt zu haben. Der Schonbetrag für Geldwerte beläuft sich im Rahmen der Prozesskostenhilfe hingegen auf 2 600 € (§ 166 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII).

4 Dem Kläger wird eine gesonderte Zahlungsaufforderung über den von ihm zu leistenden Betrag zugehen.