Verfahrensinformation

Die Beteiligten streiten um Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge. Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken im Gewerbe- und Industriegebiet Sprotta/Paschwitz, das nördlich von der Bahnlinie Leipzig-Torgau, südlich von der Bundesstraße 87 und östlich von der Verbindungsstraße Sprotta-Paschwitz begrenzt wird. Im Jahr 1992 erließen die früheren Gemeinden Sprotta und Paschwitz einen Bebauungsplan, der die gesamte Fläche dieses Dreiecks erfasst und im Wesentlichen Gewerbegebiete festsetzt. Im Jahr 2004 wurde die östliche Teilfläche des Gebietes von der beklagten Gemeinde Doberschütz neu überplant, um den damals bereits erschlossenen Bereich an den Bedarf anzupassen. Die Gemeinde bestimmte sodann diesen Bereich als gemeinsames Abrechnungsgebiet und zog die Grundstückseigentümer, darunter die Klägerin für zahlreiche Grundstücke, zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die dort bereits weitgehend fertig gestellten Straßen heran. Die dagegen gerichteten Klagen blieben vor dem Oberverwaltungsgericht überwiegend erfolglos; insbesondere bestätigte das Oberverwaltungsgericht die gemeinsame Abrechnung des Erschließungsaufwandes in einer Erschließungseinheit, die hier aus insgesamt fünf Straßen mit zwei Anschlüssen an das übrige Straßennetz gebildet werde. Mit den vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revisionen macht die Klägerin geltend, dass die angegriffenen Urteile den Begriff der Erschließungseinheit überdehnten.


Urteil vom 12.05.2016 -
BVerwG 9 C 13.15ECLI:DE:BVerwG:2016:120516U9C13.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 12.05.2016 - 9 C 13.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:120516U9C13.15.0]

Urteil

BVerwG 9 C 13.15

  • VG Leipzig - 22.02.2011 - AZ: VG 6 K 1068/10
  • OVG Bautzen - 16.12.2014 - AZ: OVG 5 A 640/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher, Dr. Külpmann, Steinkühler und Dr. Martini
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten um Vorausleistungen auf einen Erschließungsbeitrag.

2 Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken in einem Gebiet, das in einem von der Bahnlinie L.-T., der Bundesstraße ... und der Verbindungsstraße S.-P. gebildeten Dreieck liegt. Ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1992 setzt dort im Wesentlichen Gewerbegebiete sowie Verkehrsflächen fest. Im Jahr 2004 wurde die östliche, an die Verbindungsstraße angrenzende Teilfläche durch einen vorzeitigen Bebauungsplan der Beklagten überplant, der dort auch Industriegebietsflächen ausweist und bei der Darstellung der Verkehrsflächen dem Bebauungsplan von 1992 folgt. Das Teilgebiet wird von fünf Straßen durchzogen. Die E.-Straße und die weiter südlich parallel geführte V.-Straße münden ostwärts in die erwähnte Verbindungsstraße ein. Zwischen der E.-Straße und der V.-Straße verlaufen rechtwinklig die P.-Straße, die zugleich die westliche Grenze des vorzeitigen Bebauungsplans bildet, und östlich davon die M.-Straße; beide werden untereinander durch die G.-Straße verbunden.

3 Durch Beschluss des Gemeinderats vom 14. Dezember 2006 bestimmte die Beklagte für die genannten Verkehrsanlagen in einem Bereich, der mit dem Gebiet des Bebauungsplans von 2004 im Wesentlichen übereinstimmt, ein gemeinsames Abrechnungsgebiet. Mit Bescheid vom 30. November 2006 zog die Beklagte die Klägerin für das Flurstück .../..., das an die V.-Straße und die P.-Straße angrenzt, zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 29 322,83 € heran. Die Vorauszahlung wurde im Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2008 auf 70 % des angeforderten Betrages, mithin auf 20 525,98 €, vermindert. Mit Teilaufhebungsbescheid vom 25. September 2008 reduzierte die Beklagte die Vorauszahlung auf 20 008,10 €.

4 Das Verwaltungsgericht hat der Klage im noch anhängigen Umfang stattgegeben, weil die Voraussetzungen für eine Erschließungseinheit nicht vorlägen. Nach Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte eine Alternativberechnung erstellt, die sich auf die Einzelanlagen "V.-Straße, 1. Abschnitt" und "P.-Straße" bezieht. Unter Berücksichtigung weiterer, bisher nicht geltend gemachter Kosten ergebe sich für die P.-Straße ein Beitragssatz von 8,58 €/m² und für das betroffene Grundstück, das wegen seiner Ecklage mit 2/3 der Fläche zu berücksichtigen sei, ein Beitrag von voraussichtlich 32 363,76 €. Dies rechtfertige - für eine wirtschaftliche Einheit des Flurstücks .../... mit dem wegen seiner geringen Größe nicht selbstständig bebaubaren Flurstück .../... - allein in Bezug auf die P.-Straße eine Vorauszahlung von 22 654,63 €.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Beklagten stattgegeben und die Klage im noch anhängigen Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe die Straßen des Gebietes im Hinblick auf ihre identische Ausstattung zur gemeinsamen Abrechnung zusammenfassen dürfen. Dies vermeide eine erhebliche Spreizung der Beitragssätze, die ihren Grund bei gleicher Vorteilslage allein in der unterschiedlichen Größe der anliegenden Nutzungsflächen habe.

6 Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision geltend, das Berufungsurteil habe den Begriff der Erschließungseinheit überdehnt. Zudem lägen die Voraussetzungen für die Erhebung der Vorausleistung nicht vor, denn die Beklagte habe die Absicht aufgegeben, die Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren herzustellen.

7 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2014 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 22. Februar 2011 zurückzuweisen.

8 Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9 Sie verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.

II

10 Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.

11 Die in § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Voraussetzungen, unter denen eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag verlangt werden kann, sind erfüllt. Insbesondere war die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen, bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, innerhalb von vier Jahren zu erwarten. Hinsichtlich der Höhe der geschuldeten Vorausleistung ist das Berufungsurteil zwar nicht fehlerfrei. Denn es nimmt zu Unrecht an, die innerhalb des Abrechnungsgebietes gelegenen Verkehrsflächen bildeten eine Erschließungseinheit im Sinne des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB. Das Berufungsurteil erweist sich aber im Ergebnis als zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Beklagte hat im Berufungsverfahren eine Alternativberechnung vorgelegt, in der sie die Kosten der fünf Verkehrsanlagen, die innerhalb des von der Beklagten gebildeten Abrechnungsgebietes gelegen sind, einzeln ermittelt hat. Auf der Grundlage des voraussichtlichen Beitragssatzes von 8,58 €/m² für die P.-Straße, an die das Grundstück der Klägerin angrenzt, ergibt sich danach - selbst wenn die Mehrfacherschließung durch die V.-Straße ebenso unberücksichtigt bleibt wie die von der Beklagten in der Alternativberechnung angenommene wirtschaftliche Einheit mit dem Flurstück .../... - eine höhere Vorausleistung als diejenige, die nach dem einheitlichen Beitragssatz errechnet und zwischen den Beteiligten noch umstritten ist. An diesem Ergebnis ändert sich im Übrigen auch dann nichts, wenn das Flurstück .../... wegen seiner Hinterliegersituation (vgl. dazu das den Beteiligten bekannte Urteil vom heutigen Tag in dem Verfahren BVerwG 9 C 8.15 ) mit 2/3 seiner Nutzungsfläche zusätzlich bei der P.-Straße berücksichtigt wird und der Beitragssatz für diese Erschließungsanlage damit auf 8,07 €/m² sinkt. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren tatsächliche Einwände gegen die Alternativberechnung erhoben hatte, hat sie daran in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich nicht festgehalten. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein heutiges Urteil gleichen Rubrums im Verfahren BVerwG 9 C 11.15 .

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.