Beschluss vom 12.03.2009 -
BVerwG 3 B 2.09ECLI:DE:BVerwG:2009:120309B3B2.09.0

Beschluss

BVerwG 3 B 2.09

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 28.10.2008 - AZ: OVG 4 A 2104/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Oktober 2008 wird, soweit mit ihm die Klage abgewiesen worden ist, und hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben. Der Rechtsstreit wird in diesem Umfang zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf
  4. 28 226,14 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin bildet Altenpfleger aus. Mit Bescheiden vom 28. März 1995 und vom 13. Dezember 1995 bewilligte die Beklagte ihr hierzu einen Zuschuss als Festbetrag in Höhe von 290 320 DM. Nachdem die Klägerin einen Verwendungsnachweis vorgelegt hatte, widerrief die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 25. Februar 2002 ihre Zuwendungsbescheide in Höhe von 64 735,94 DM wegen nicht zweckentsprechender Verwendung und forderte die Klägerin zur Erstattung auf. Unter anderem erkannte sie von der Klägerin geltend gemachte Sachausgaben in Höhe von 54 135,26 DM für fiktive Gebäudemieten nicht an. Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte habe ihr Widerrufsermessen nicht fehlerfrei ausgeübt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und den Widerrufsbescheid nur insoweit aufgehoben, als die Beklagte mehr als 55 205,53 DM zurückverlangt hat; die weitergehende Klage hat es abgewiesen.

2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses im Umfang der Klageabweisung und zur Zurückverweisung dieses Teils des Rechtsstreits an das Oberverwaltungsgericht. Die Klägerin rügt mit Recht, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung in diesem Punkt beruhen kann (§ 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

3 Die Klägerin rügt eine Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren, und sieht sich durch den angefochtenen Beschluss überrascht. Die Rüge ist begründet.

4 Nach § 108 Abs. 2 VwGO (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) darf das Gericht seine Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Dies schließt den Anspruch der Verfahrensbeteiligten ein, nicht durch Unkenntnis über die nach Auffassung des Gerichts für die Entscheidung erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte an einer sachdienlichen Äußerung gehindert zu sein. Den Prozessbeteiligten wird somit die Gelegenheit, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern, auch dann prozessordnungswidrig vorenthalten, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und so dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der ein Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Kammerbeschluss vom 2. Januar 1995 - 1 BvR 320/94 - NJW 1996, 45; BVerwG, Urteile vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235 und vom 24. September 1992 - BVerwG 3 C 88.88 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 61).

5 Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung hinsichtlich der Zuwendungsfähigkeit der Gebäudekosten (fiktive Mietaufwendungen) auf die Zuordnungsrichtlinien zum Gruppierungsplan (ZR-GPI) gestützt, die als Bestandteil der Verwaltungsvorschriften zur Haushaltssystematik des Landes Nordrhein-Westfalen mit Runderlass des Finanzministers vom 20. November 1973 bekannt gemacht worden waren (MinBl S. 2009 <2018>). Dies war ein bis dahin nicht erörterter rechtlicher Gesichtspunkt. In dem angefochtenen Bescheid, in dem anschließenden Schriftsatzwechsel zwischen den Beteiligten und im erstinstanzlichen Urteil spielten die Zuordnungsrichtlinien keine Rolle. Das Oberverwaltungsgericht hat die Zuordnungsrichtlinien zwar während des Berufungsverfahrens bei der Beklagten angefordert und der Klägerin auch Einsicht in sie gewährt. Es hat aber - trotz ausdrücklicher Frage der Klägerin - nicht mitgeteilt, inwiefern es für die Frage der Zuwendungsfähigkeit der Gebäudekosten auf diese Zuordnungsrichtlinien ankommt, insbesondere welche konkrete Regelung dieser zwanzigseitigen Verwaltungsvorschrift ihm einschlägig erscheint. Auch mit der nachfolgenden Anhörung zu der Absicht des Gerichts, über die Berufung nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, ist der vermisste Hinweis nicht erfolgt. Ohne einen solchen Hinweis aber war die Klägerin zu sachgerechtem Vortrag insofern außerstande; namentlich musste sich ihr auch bei Anspannung der im Prozess gebotenen Sorgfalt keine der Regelungen dieser Verwaltungsvorschrift als offenbar einschlägig aufdrängen.

6 Auf dem Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO kann die Entscheidung beruhen. Die Klägerin trägt zwar nicht vor, was sie bei rechtzeitiger Kenntnis von dem neuen rechtlichen Gesichtspunkt vorgetragen hätte. Hierzu ist sie aber auch unverändert außerstande. Das Oberverwaltungsgericht hat nämlich auch in dem angefochtenen Beschluss nicht mitgeteilt, auf welche konkrete Regelung der Zuordnungsrichtlinie es seine Auffassung, fiktive Gebäudekosten seien nicht zuwendungsfähig, stützen will. Damit ist der Klägerin auch der nachträgliche Vortrag verwehrt. Das kann ihr nicht zum Nachteil gereichen. Um ihr die von § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG gebotene Möglichkeit zum Sachvortrag zu sämtlichen entscheidungserheblichen Punkten zu bieten, muss der angefochtene Beschluss vielmehr aufgehoben und der Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden.

7 Hiergegen kann nicht eingewandt werden, das Oberverwaltungsgericht habe die Klägerin vor seiner Entscheidung immerhin pauschal auf die Zuordnungsrichtlinie als solche hingewiesen, und es habe seine Entscheidung dann auch nur ebenso pauschal auf diese Zuordnungsrichtlinie gestützt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine solche Kongruenz zwischen Streitstoff und Entscheidungsgrundlage den Vorwurf der überraschenden Entscheidung entfallen ließe. Denn dann beruhte die angefochtene Entscheidung jedenfalls auf einem Mangel der richterlichen Überzeugungsbildung. Nach § 108 Abs. 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Diese Vorschrift gebietet dem Gericht, den ihm unterbreiteten oder von ihm ermittelten Sachverhalt im Sinne der Rechtsanwendung daraufhin zu würdigen, ob er den Tatbestand einer Rechtsnorm erfüllt und deshalb die dort vorgesehene Rechtsfolge trägt. Die richterliche Überzeugungsbildung muss das Ergebnis der Anwendung eines Rechtssatzes sein (Dawin in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, § 108 VwGO Rn. 7, 119). Deshalb muss das Gericht seine Überzeugungsbildung von einer bestimmten Rechtsnorm leiten lassen, und es muss diese Rechtsnorm in den Gründen seines Urteils angeben. Die pauschale Bezugnahme auf „die Zuordnungsrichtlinien zum Gruppierungsplan“ lässt jedoch die Angabe einer konkreten Rechtsnorm vermissen.

8 Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorbehalten. Dabei wird das Oberverwaltungsgericht auch die Anwendung von § 21 GKG zu erwägen haben.