Beschluss vom 12.03.2008 -
BVerwG 4 B 9.08ECLI:DE:BVerwG:2008:120308B4B9.08.0

Beschluss

BVerwG 4 B 9.08

  • Bayerischer VGH München - 28.09.2007 - AZ: VGH 26 B 06.765

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. März 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn, Gatz
und Dr. Jannasch
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. September 2007 werden zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtskos-ten und die außergerichtlichen Kosten der Kläger je zur Hälfte und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 750 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerden haben keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde der Beigeladenen führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beigeladene beimisst.

3 Die Beigeladene wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf, ob es sich bei besonderen Lärmereignissen wie nächtlichem Hupen oder Anfahren mit hochgedrehtem Motor beim Verlassen einer Tankstelle um kurzzeitige Geräuschspitzen im Sinne von Nr. 2.8 TA Lärm 1998 handelt, die dem bestimmungsgemäßen Betriebsablauf einer Tankstelle zuzurechnen sind. Wie sich aus ihrer Beschwerdebegründung ergibt, möchte sie geklärt wissen, ob „Lärmexzesse“ aufgrund rechtswidrigen Verhaltens von Fahrzeugführern (unnötige „Kavalierstarts“, missbräuchliches Hupen) auf dem Tankstellengelände sowie bei der Ein- und Ausfahrt zum bestimmungsgemäßen Betriebsablauf einer Tankstelle gehören.

4 Mit dieser Zielrichtung würde sich die Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Sie geht an der Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs vorbei. Der Verwaltungsgerichtshof hat die inkriminierten Geräusche dem Tankstellenbetrieb zugerechnet, soweit sie auf rechtmäßigem, der Straßenverkehrsordnung entsprechendem Verhalten der Fahrzeugführer beruhen. Das hat er angenommen, wenn die Betätigung der Hupe der Warnung vor einer Gefahrensituation auf dem Tankstellengelände oder beim Verlassen desselben dient und das Einfädeln in den Straßenverkehr ein verstärktes Gasgeben durch Hochdrehen des Motors erfordert. Dass rechtswidriges Verhalten motorisierter Tankstellenbesucher außerhalb der Zweckbestimmung einer Tankstelle liegt, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht in Abrede gestellt (UA S. 12). Gleichwohl hat er einen Zusammenhang mit dem Tankstellenbetrieb im Sinne der Nr. 7.4 TA Lärm 1998 hergestellt, weil nicht festgestellt werden könne, ob ein Einzelgeräusch jeweils durch rechtswidriges oder rechtmäßiges Verhalten verursacht werde (UA S. 13). Gegen die Auslegung der Nr. 7.4 TA Lärm 1998 im Berufungsurteil wendet sich die Beigeladene nicht. Sie beanstandet vielmehr die tatrichterlichen Feststellungen zum rechtmäßigen Verhalten von Fahrzeugführern an Tankstellen, indem sie einwendet, im Regelfall komme es nicht zu Verkehrssituationen, die zum nächtlichen Hupen auf Tankstellengrundstücken berechtigten oder Kavalierstarts mit der damit verbundenen übermäßigen Lärmentwicklung erforderten. Mit Angriffen gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache freilich nicht begründen.

5 2. Die Beschwerde der Beklagten nötigt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

6 a) Die Beklagte strebt die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht nur mit derselben Fragestellung an wie die Beigeladene, sondern wirft in Bezug auf Nr. 7.4 TA Lärm 1998 zusätzlich die Frage auf, ob in Notsituationen Geräusche, die beim rechtmäßigen Gebrauch von Fahrzeugen und ihrer Einrichtungen auf einem Tankstellengelände erzeugt werden, im Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb stehen. Diese Frage ist ohne Weiteres zu bejahen. Mit der Regelung in Nr. 7.4 TA Lärm 1998, die in der TA Lärm 1968 fehlte, hat die Bundesregierung die Kriterien übernommen, die die Rechtsprechung zur Berücksichtigung betriebsbezogener Fahrzeuggeräusche entwickelt hatte (Feldhaus/Tegeder in: Bundesimmissionsschutzrecht, B 3.6, 6. BImSchVwV - Nr. 7, Rn. 35; Stand Juni 2006). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war bei der Beurteilung der von Vorhaben ausgehenden Lärmeinwirkungen auch der mit ihnen typischerweise verbundene Zu- und Abgangsverkehr zu berücksichtigen, soweit er sich noch innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs der Anlage bewegte (vgl. Urteil vom 22. Mai 1987 - BVerwG 4 C 6.85 und 7.85 - NVwZ 1987, 1078; Beschluss vom 9. Oktober 1990 - BVerwG 4 B 121.90 - NVwZ 1991, 267). In der Konsequenz dieser Rechtsprechung und mit der Folge der Übertragbarkeit auf Nr. 7.4 TA Lärm 1998 hat das Bundesverwaltungsgericht zum Verkehrslärm, der einer Tankstelle zuzurechnen ist, alle Arten von Einzelgeräuschen gerechnet, die von motorisierten Tankstellenbesuchern verursacht werden, darunter auch Hup- und Abfahrgeräusche (Urteil vom 24. September 1992 - BVerwG 7 C 6.92 - BVerwGE 91, 92 <100 f.>). Übrigens hat es nicht danach differenziert, ob die jeweilige Lärmverursachung den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt oder nicht.

7 b) Der Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - (BVerwGE 98, 235 <246>) den abstrakten Rechtssatz, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO schütze den Nachbarn nur vor Gesundheitsgefahren durch ein Vorhaben, und meint, dass der Verwaltungsgerichtshof durch einen entgegenstehenden Rechtssatz die Schwelle, bei der § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu Gunsten des Nachbarn eingreife, niedriger angesetzt habe. Das trifft nicht zu. Die Beklagte verkürzt das Urteil vom 18. Mai 1995 unzulässig, indem sie die ihr ungünstigen Darlegungen verschweigt. In dem Urteil heißt es, soweit es darauf ankommt: „...Das bedeutet freilich nicht, dass der Betreiber der emittierenden Anlage nur soweit Rücksicht zu nehmen hätte, dass die Grenze zu ungesunden Wohnverhältnissen unterschritten bleibt; er kann auch zu einer weitergehenden Rücksichtnahme verpflichtet sein, ... Die Grenze der Wohnunverträglichkeit markiert nur, oberhalb welchen Grades der Immissionsbelastung eine Baugenehmigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BauNVO nicht mehr erteilt werden darf.“ Diesen rechtlichen Vorgaben hat sich der Verwaltungsgerichtshof nicht widersetzt.

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.