Beschluss vom 11.11.2004 -
BVerwG 8 B 48.04ECLI:DE:BVerwG:2004:111104B8B48.04.0

Beschluss

BVerwG 8 B 48.04

  • VG Gera - 03.12.2003 - AZ: VG 5 K 916/00 Ge

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G o l z e und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. H a u s e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2003 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Gera wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 002,01 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchst richterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist.
Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob die Energiewirtschaftsverordnung vom 22. Juni 1949 eine besatzungshoheitliche Grundlage gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ist. Nach dem Enteignungsverbot gemäß SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 habe es mangels anderweitiger Zustimmung der Besatzungsmacht keine besatzungshoheitliche Grundlage mehr für den Erlass der Energiewirtschaftsverordnung vom 22. Juni 1949 gegeben.
Dieses Vorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nicht. Die Frage lässt sich vielmehr anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des angefochtenen Urteils beantworten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die zum Restitutionsausschluss führende Verantwortung der Sowjetunion nicht notwendiger Weise voraus, dass sie die Enteignung im Einzelfall geprüft und gebilligt hat (Beschluss vom 16. Juni 1995 - BVerwG 7 B 126.95 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 47).
Auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgten Enteignungen, die zwar nicht auf Beschluss der sowjetischen Besatzungsmacht vorgenommen wurden, die aber auf Anregungen oder Wünsche der Besatzungsmacht zurückgingen oder sonst ihrem generellen oder im Einzelfall geäußerten Willen entsprachen (stRspr, vgl. Urteile vom 30. Juni 1994 - BVerwG 7 C 58.93 - BVerwGE 96, 183 <185> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 26 S. 46 <47 f.>, vom 28. September 1995 - BVerwG 7 C 28.94 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 54 S. 149 <151> und vom 2. Februar 2000 - BVerwG 8 C 15.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 10 S. 36 <37>).
Gemessen an diesen Grundsätzen beruhen Enteignungen, die aufgrund der von der Deutschen Wirtschaftskommission am 22. Juni 1949 erlassenen Energiewirtschaftsverordnung erfolgten, die in § 3 eine Übernahme von privatbetriebenen Energieanlagen in "zonale Verwaltungen" vorsah, auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG (vgl. zu der am selben Tage erlassenen Apothekenverordnung das Urteil vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 C 12.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 13 S. 30 <33>). Die Deutsche Wirtschaftskommission hat die Energiewirtschaftsverordnung in ihrer Vollversammlung am 22. Juni 1949 beschlossen. Dieser Beschluss steht im Zusammenhang mit dem SMAD-Befehl Nr. 32 ("Zusammensetzung und Vollmachten der Deutschen Wirtschaftskommission") vom 12. Februar 1948 (ZVOBl S. 89). Aufgabe der Deutschen Wirtschaftskommission war hiernach "die Prüfung der Fragen der Wiederherstellung und Entwicklung der Friedensindustrie in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands" (Nr. 2 des Befehls). Der Wirtschaftskommission wurde zur Verwirklichung der Aufgaben das Recht eingeräumt, im Einklang mit der von der SMAD festgelegten Ordnung Verfügungen und Instruktionen zu beschließen und zu erlassen, die für alle deutschen Organe auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands obligatorisch sind, und ihre Erfüllung zu überprüfen (vgl. Nr. 4 des Befehls). Die Wirtschaftskommission übte ihre Tätigkeit unter der Kontrolle der sowjetischen Militär-Administration aus (Nr. 6 des Befehls).
Die Deutsche Wirtschaftskommission beschloss am 14. April 1948, dass sie zur "Erfüllung der ihr übertragenen Aufgabe der Entwicklung der Friedenswirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone Verordnungen und Anordnungen erlassen" könne, die für die Bevölkerung unmittelbar verbindlich seien. Dieser Beschluss der Deutschen Wirtschaftskommission wurde durch den Obersten Chef der Sowjetischen Militär-Administration vom 20. April 1948 bestätigt (ZVOBl S. 138). Damit wird deutlich, dass der Erlass der Energiewirtschaftsverordnung auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne des Gesetzes erfolgte.
Auch die zusätzlich aufgeworfene Frage, ob die Energiewirtschaftsverordnung trotz ihres Erlasses erst nach Ergehen des SMAD-Befehls Nr. 64 noch als besatzungshoheitliche Grundlage für eine nachfolgende Enteignung angesehen werden kann, lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Maßnahmen deutscher Behörden vor dem 7. Oktober 1949 sind nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen nicht von der Gesamtverantwortung der sowjetischen Besatzungsmacht gedeckt, z.B. wenn sie sich nachweislich über den im Einzelfall erklärten Willen der sowjetischen Militäradministration hinwegsetzen (Beschluss vom 11. Juni 1991 - BVerfG 1 BvR 193/91). Der SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 setzte den Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 nach seiner Durchführung außer Kraft und verbot jegliche weitere Sequestrierung auf dessen Grundlage, betraf aber nicht sonstige Anordnungen der Deutschen Wirtschaftskommission.
Die weitere in der Beschwerde eher beiläufig aufgeworfene Frage, ob bei Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage auch nach Gründung der DDR vorgenommene "Exzesse" von der Regelung des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG erfasst werden, könnte sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat, dass die Enteignung der hier streitigen Grundstücke auf einem derartigen Exzess beruhte.
2. Es liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Soweit das Verwaltungsgericht die Restitutionsklage abgewiesen hat, weil anhand der Altunterlagen nachvollziehbar sei, dass die streitgegenständlichen Grundstücke anhand einer Ausgliederungsbilanz dem Elektrizitätswerk zugeordnet worden seien, lässt sich weder ein Verstoß gegen eine ordnungsgemäße richterliche Überzeugungsbildung noch eine mangelhafte Sachaufklärung feststellen.
a) Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Es gehört zu der dem Tatsachengericht durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragenen Aufgabe, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden (Beschluss vom 14. März 1988 - BVerwG 5 B 7.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 S. 31 <32 f.>). Revisionsrechtlich sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO regelmäßig nicht bezeichnet werden (Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>). Allenfalls könnte eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung der Vorinstanz als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>). Ein Tatsachengericht hat aber nicht schon deswegen gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung der Beschwerde unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 4).
Das Verwaltungsgericht hat anhand der ihm vorliegenden Altunterlagen aus einem Schriftverkehr der VVB Energiebezirk Süd an die Deutsche Investitionsbank den Schluss gezogen, dass die streitgegenständlichen Grundstücke frühestens zum 1. Januar 1952, jedoch vor der Grundbuchumschreibung im Jahre 1956, enteignet worden sind, indem sie mittels einer Ausgliederungsbilanz den Vermögenswerten, die zum Elektrizitätswerk gehören, zugeordnet wurden. Damit hat es nicht gegen Denkgesetze verstoßen, sondern lediglich anhand der vorliegenden Altunterlagen und Behördenakten versucht zu rekonstruieren, wann der eigentliche enteignende Vorgang stattgefunden hat. Demgegenüber ist die Behauptung, bei den Auflistungen zur Ausgliederungsbilanz habe es sich lediglich um "Wunschzettel" gehandelt, nicht geeignet, darzutun, bei der vom Verwaltungsgericht gezogenen Folgerung handele es sich um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss.
b) Das Verwaltungsgericht hat auch seine Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) nicht verletzt. Die Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 S. 8). Außerdem muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Verwaltungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist kein Mittel, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (Urteil vom 23. Mai 1986 - BVerwG 8 C 10.84 - Buchholz 448.0 § 17 WPflG Nr. 7).
Das Verwaltungsgericht hat in einem ausführlichen Schreiben vom 10. November 2003 darauf hingewiesen, dass es für die Erfolgsaussichten der Klage die Frage als relevant ansieht, auf welcher Grundlage auf die streitgegenständlichen Grundstücke zugegriffen worden ist. Unter anderem hat es als Eingriffsmöglichkeit auf die Energiewirtschaftsverordnung vom 20. April 1949 hingewiesen und in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass es auf den tatsächlichen Zugriff ankomme. Wörtlich führt das Gericht aus: "Demgegenüber wurde auf die der KG gehörenden Grundstücke, soweit sie dem Elektrizitätswerk zuzuordnen waren, durch Ausgliederung aus der Bilanz zugegriffen. Die Grundbuchumschreibung erfolgte teilweise erst wesentlich später. Dokumentiert ist diese differenzierte Vorgehensweise insbesondere in einer als 'Gesamtgrundstücksnachweis der F.-I.-Werke KG' bezeichneten Übersicht (vgl. Beiakte Band 7 Blatt 159 bis 163). Dort ist genau ausgeführt, wem die Grundstücke zuvor gehörten und wie diese genutzt wurden." Demgegenüber haben die anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausweislich der Niederschrift nicht Versäumnisse des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung gerügt oder das Gericht darauf aufmerksam gemacht, dass die dem Gericht vorliegenden Altunterlagen als Erkenntnisquelle ungeeignet seien.
Das Gericht ist bei seiner Entscheidungsfindung von der Tatsache ausgegangen, dass die F.-I.-Werke KG sich in verschiedene Geschäftsbereiche gegliedert hat und dass es im vorliegenden Verfahren nur um die zum Elektrizitätswerk gehörenden Grundstücke geht (so auch der angefochtene Bescheid, wenn man von dem später abgetrennten Lichtspieltheater absieht). Die Bevollmächtigten der Kläger hätten ggf. bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hinweisen müssen, dass es sich beim streitgegenständlichen Grundstück - wie die Beschwerde nunmehr vorträgt - um "Wald mit einem Waldgasthaus" gehandelt haben soll, in dem zeitweise Mitglieder der Familie I. gewohnt hätten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 13, 14 GKG a.F.