Beschluss vom 11.11.2002 -
BVerwG 8 B 124.02ECLI:DE:BVerwG:2002:111102B8B124.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.11.2002 - 8 B 124.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:111102B8B124.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 124.02

  • VG Gera - 13.05.2002 - AZ: VG 5 K 1754/97 GE

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und K r a u ß
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 13. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 59 041,28 € festgesetzt.

Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die begehrte Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Soweit die Beschwerde den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend macht, ist sie bereits unzulässig. Denn die beiläufige Erwähnung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von deren "aufgestellten Grundsätzen zur Anwendbarkeit des § 1 Abs. 3 VermG" das Verwaltungsgericht vermeintlich abgewichen sei, genügt nicht den Anforderungen der Prozessordnung an die hinreichende Bezeichnung eines abstrakten Rechtssatzwiderspruchs.
2. Der Sache kommt auch nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die aufgeworfene Frage,
ob die willkürliche Umgehung einer gesetzlichen Verbotsnorm ... zur Herbeiführung der Anwendungsvoraussetzungen der Enteignungsbestimmungen des Aufbaugesetzes mittels willkürlicher und Westeigentümer diskriminierender Versagung einer staatlichen Genehmigung ... einen machtmissbräuchlichen Zugriff auf den Vermögensgegenstand darstellt,
würde sich in dem beabsichtigten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen, weil das Verwaltungsgericht in Anwendung irrevisiblen DDR-Rechts festgestellt hat, dass keine willkürliche Umgehung des DDR-Rechts vorlag, sondern die Versagung der Genehmigung dem DDR-Recht entsprach.
b) Für die weitere Frage,
ob der hoheitliche Zugriff auf den Vermögenswert unter Anwendung von Enteignungsbestimmungen des Aufbaugesetzes noch den Verlust des Eigentums begründen kann, wenn das Eigentum an dem Vermögenswert bereits aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarung übergegangen war,
gilt das Gleiche. Denn das Verwaltungsgericht hat die rechtsgeschäftliche Vereinbarung - anders als in der Frage unterstellt - kraft DDR-Rechts für unwirksam gehalten, ist also nicht von einer rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung ausgegangen.
c) Die von der Beschwerde unter Buchstabe c formulierte, die konkreten Umstände des Einzelfalles aufgreifende Frage zur Anwendbarkeit des § 1 Abs. 3 VermG auf den geltend gemachten Anspruch der Klägerin ist nicht grundsätzlich bedeutsam, weil die Beschwerde nicht dargetan hat, welche fallübergreifende Fragestellung - über die bloße unrichtige Anwendung der höchstrichterlichen Grundsätze im konkreten Fall hinaus - angesichts der Vielzahl von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 3 VermG noch klärungsbedürftig sein soll.
d) Die Frage,
ob es eine willkürliche Anwendung der Enteignungsbestimmungen des Aufbaugesetzes, die nicht vom Enteignungszweck gedeckt ist, darstellt, wenn damit Dritten Privateigentum an dem Vermögenswert durch staatliche Stellen verschafft werden soll oder nachträglich mit der Anwendung der Enteignungsbestimmungen der gescheiterte rechtsgeschäftliche Erwerb durch die Dritten geheilt bzw. ermöglicht werden soll,
geht erneut an der Feststellung des Verwaltungsgerichts vorbei, dass das nicht revisible DDR-Recht im vorliegenden Fall eingehalten, also gerade nicht "willkürlich" angewandt worden ist.
e) Nichts anderes gilt für die anschließende Frage,
ob es eine Täuschung im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG darstellt, wenn staatliche Stellen zum Zwecke des rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Grundstücken gemäß § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz Tauschflächen übertragen, die nie in der Verfügungsmacht der staatlichen Stelle gestanden haben.
Sie geht von Voraussetzungen aus, die im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts stehen und die die Beschwerde selbst nicht näher darlegt. Denn auch die Beschwerde "begründet" ihre Behauptung, die zur Vermeidung der Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz angebotene Tauschfläche habe sich "damals und heute in Privatbesitz" befunden, lediglich mit der knappen Formulierung, davon gehe die Klägerin aus. Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils standen die Tauschflächen aber seinerzeit im Eigentum des Volkes unter der Rechtsträgerschaft des damaligen Volkseigenen Gutes Eisenberg bzw. des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Eisenberg (UA S. 3).
f) Die abschließende Frage,
ob eine Anwendung der Enteignungsbestimmungen des Aufbaugesetzes zu einem Zeitpunkt, als die Inanspruchnahme des Grundstücks durch die Bebauung mit Einfamilienhäusern bereits abgeschlossen war, noch von den Vorgaben des Enteignungszweckes gedeckt sein konnte, oder dieser nur vorgeschoben war,
betrifft den konkreten Einzelfall, ohne eine darüber hinausgehende Bedeutung aufzuzeigen. Die Beschwerde setzt der Würdigung des Sachverhalts und des DDR-Rechts durch das Verwaltungsgericht lediglich ihre gegenteilige Auffassung entgegen und vernachlässigt dabei den Umstand, dass die zunächst beabsichtigte Umsetzung der Bebauungskonzeption mittels Flächentauschs hinsichtlich der Klägerin wegen des Genehmigungserfordernisses gescheitert und insoweit mit Hilfe des Aufbaugesetzes ohne Änderung des bereits eingeleiteten Konzepts weiter verfolgt wurde.
3. Die Verfahrensrüge greift ebenfalls nicht durch (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Zu Unrecht wirft die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vor, es habe die Unwirksamkeit des Tauschvertrages mit DDR-Vorschriften begründet, die erst nach dessen Abschluss und ohne Rückwirkungsregelung in Kraft getreten seien. Denn das Verwaltungsgericht hat das Genehmigungserfordernis nicht nur dem Devisengesetz vom 19. Dezember 1973, sondern auch dem Gesetz vom 8. Februar 1956 über Devisenverkehr und Devisenkontrolle entnommen (UA S. 7) und damit Vorschriften herangezogen, die bei Abschluss des Tauschvertrages zweifelsfrei gültig waren.
b) Die entscheidungserhebliche Prüfung des Genehmigungserfordernisses bezüglich der Tauschverträge stellt auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung dar (§ 108 Abs. 2 VwGO). Denn die Tauschverträge und ihre Wirksamkeit waren Gegenstand des gesamten Verfahrens; die Beteiligten mussten deshalb mit der Erheblichkeit aller für deren Wirksamkeit maßgeblichen Gesichtspunkte rechnen. Dementsprechend ist bereits im Erörterungstermin vom 6. August 2001 die verweigerte Genehmigung des Tauschvertrages angesprochen und von den Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen zu 2, 3, 7 und 8 mit Schriftsatz vom 13. September 2001 erneut problematisiert worden.
c) Deshalb geht auch die in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) fehl. Das Verwaltungsgericht durfte auf der Grundlage der beigezogenen Akten und des Vorbringens der Beteiligten davon ausgehen, dass die devisenrechtliche Genehmigung versagt worden ist. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat die von ihr nunmehr aufgestellte Behauptung, eine solche devisenrechtliche Genehmigung existiere, seinerzeit nicht unter Beweis gestellt und auch jetzt nicht belegt; dem Verwaltungsgericht mussten sich weitere Ermittlungen in dieser Richtung nicht aufdrängen.
d) Die Beschwerde wirft dem Verwaltungsgericht ferner vor, es habe das Abstraktionsprinzip des bürgerlichen Gesetzbuchs fälschlicher Weise auf im Geltungsbereich des Zivilgesetzbuches der DDR abgeschlossene Rechtsgeschäfte angewandt und damit - so ist die Beschwerde sinngemäß zu verstehen - sein Urteil auf unrichtige Tatsachen, zu denen das DDR-Recht gehört, gestützt sowie das Überzeugungsgebot verletzt. Auch diese Rüge trifft nicht zu. Das Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. Juni 1975 (GBl DDR I, 465) ist erst am 1. Januar 1976 - und damit nach Abschluss der fraglichen Tauschverträge - in Kraft getreten (§ 1 des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. Juni 1975 <GBl DDR I, 517>), zuvor galt auch in der DDR das Bürgerliche Gesetzbuch. Für ihre Behauptung, die dingliche Abstraktion habe "in der Rechtspraxis der DDR ... auch vor In-Kraft-Treten des ZGB ... keine Anwendung" gefunden, hat die Beschwerde nichts dargetan. Das von der Beschwerde zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. November 1992 - V ZR 230/91 - (BGHZ 120, 204 ff.) belegt ihre Auffassung ebenfalls nicht; denn es behandelt entscheidungstragend einen Vertrag, der zweifelsfrei unter der Geltung des ZGB abgeschlossen worden war, und äußert sich nur zur Rechtslage nach dem Zivilgesetzbuch der DDR. Das Verwaltungsgericht hat zur behaupteten "Rechtspraxis der DDR" nichts festgestellt. Sollte es stillschweigend von dem Gesetzeswortlaut des damals noch anwendbaren BGB ausgegangen sein, läge darin weder ein Aufklärungsmangel noch ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz.
Abgesehen davon verkennt die Beschwerde jedoch den Gedankengang des angefochtenen Urteils, das sich mit dem Abstraktionsprinzip - also der Trennung zwischen obligatorischem und dinglichem Rechtsgeschäft - gar nicht befasst, sondern mit der "drucktechnischen Hervorhebung" auf S. 5 des amtlichen Abdrucks lediglich deutlich macht, dass es nur einen der mehreren Tauschverträge - nämlich denjenigen zwischen der Klägerin und dem VEG - für unwirksam, die anderen hingegen mangels Relevanz der devisenrechtlichen Vorschriften für gültig hielt. Mit dem Abstraktionsprinzip hat diese getrennte Betrachtung mehrerer obligatorischer Rechtsgeschäfte nichts zu tun.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13 und 14 GKG.