Beschluss vom 11.08.2004 -
BVerwG 7 B 32.04ECLI:DE:BVerwG:2004:110804B7B32.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.08.2004 - 7 B 32.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:110804B7B32.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 32.04

  • VG Dresden - 30.10.2003 - AZ: VG 7 K 559/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. August 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 30. Oktober 2003 werden zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und zu 2. Die Beigeladenen zu 3 und zu 4 tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 350 000 € festgesetzt.

Die Klägerinnen begehren aus abgetretenem und aus eigenem Recht die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Unternehmens und von Grundstücken, die früher zu diesem Unternehmen gehört haben. Der Beklagte hat ihren Restitutionsantrag abgelehnt; das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen: Das Unternehmen sei auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden und der Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes sei deshalb nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG nicht eröffnet. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerinnen.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Entgegen der Rüge der Klägerinnen hat das Verwaltungsgericht sein Urteil nicht unter Verstoß gegen § 108 Abs.  2 VwGO auf eine tatsächliche Grundlage gestützt, zu der sie sich nicht hatten ausreichend äußern können.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, das zurückbegehrte Unternehmen sei auf besatzungshoheitlicher Grundlage, nämlich aufgrund des Volksentscheids vom 30. Juni 1946 enteignet worden; es sei auf der Liste A der enteigneten betrieblichen Vermögensobjekte für das Land Sachsen verzeichnet gewesen, die durch den SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigt worden sei. Hierfür hat das Verwaltungsgericht sich auf eine ihm vorliegende Kopie der Liste mit Bestätigungsvermerk gestützt.
Die Klägerinnen räumen ein, dass das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, dass ihm diese Kopie einer Liste vorliegt. Sie beanstanden nur, das Verwaltungsgericht hätte dieses Erkenntnismittel nicht erst zu Beginn oder im Laufe der mündlichen Verhandlung in den Rechtsstreit einführen dürfen. Wegen des Umfangs der Liste und der Notwendigkeit, sie auszuwerten und zu prüfen, habe ihnen Zeit und Gelegenheit gefehlt, sich sachgerecht, überlegt und fundiert zu äußern.
Dieser Vortrag ergibt keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Ein Beteiligter muss alle verfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeiten ausgenutzt haben, sich schon in der Vorinstanz rechtliches Gehör zu verschaffen, soweit ihm diese Möglichkeiten im Einzelfall zumutbar waren. Sich äußern kann auch, wer lediglich die Möglichkeit hat, sich Gehör zu verschaffen. Hatte ein Beteiligter eine solche ihm zumutbare Möglichkeit, hat er sie aber nicht genutzt, ist er nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Weist das Gericht erstmals in der mündlichen Verhandlung auf neue, aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Gesichtspunkte rechtlicher oder tatsächlicher Art hin, mit denen ein Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, so kann der Beteiligte eine Unterbrechung oder Vertagung der mündlichen Verhandlung beantragen, wenn er sich nicht sofort und umfassend zu dem für ihn neuen Gesichtspunkt äußern kann. Einen solchen Antrag haben die Klägerinnen nicht gestellt. Sie können deshalb nicht als Verletzung ihres rechtlichen Gehörs rügen, es sei ihnen nicht möglich gewesen, noch in der mündlichen Verhandlung zum Inhalt der Liste und ihrem Aussagegehalt Stellung zu nehmen.
Aus diesem Grund kann offen bleiben, ob das Vorgehen des Verwaltungsgerichts die Klägerinnen überhaupt von entscheidungserheblichem Vortrag abgehalten hat. Sie hätten nach ihren Angaben ihrerseits eine Liste in den Rechtsstreit eingeführt, aus der sich nach ihrer Auffassung ergibt, dass sich das hier streitige Unternehmen nicht auf der Liste A befunden habe, welche die SMAD mit dem Befehl Nr. 64 bestätigt habe. Ob das streitige Unternehmen mit Bestätigung der SMAD enteignet worden ist, machte indes den Kern des Rechtsstreits aus. Die Klägerinnen hatten mithin unabhängig von dem Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die ihm vorliegende Kopie einer Liste mit Bestätigungsvermerk Anlass, alles das vorzutragen, was aus ihrer Sicht gegen eine Bestätigung der Enteignung durch die SMAD sprach.
2. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Klägerinnen möchten die Frage geklärt wissen,
ob eine Enteignung durch deutsche Stellen der sowjetischen Besatzungsmacht zugerechnet werden kann, wenn das enteignete Unternehmen weder in die durch den SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigte Liste aufgenommen noch auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 sequestriert war, ferner nicht in dem Verzeichnis der zur weiteren Entscheidung den deutschen Selbstverwaltungsorganen übergebenen Unternehmen auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 154/181 enthalten und nicht in der Liste der zum Eigentum des Volkes erklärten Betriebe nach dem Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes des Landes Sachsen vom 30. Juni 1946 genannt wurde.
Diese Frage würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen und könnte deshalb dort nicht beantwortet werden. Mangels durchgreifender Verfahrensrügen wäre der Senat im Revisionsverfahren an die tatsächliche Feststellung des Verwaltungsgerichts gebunden, dass das streitige Unternehmen in der Liste A der enteigneten betrieblichen Vermögensobjekte für das Land Sachsen enthalten war, welche durch SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigt wurde. Die Grundsatzrüge bezieht sich nur auf die Hilfserwägung des Verwaltungsgerichts, auf die es nicht mehr ankommt, weil gegen die in erster Linie tragende Begründung durchgreifende Zulassungsgründe nicht geltend gemacht sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.