Beschluss vom 11.07.2002 -
BVerwG 6 B 10.02ECLI:DE:BVerwG:2002:110702B6B10.02.0

Beschluss

BVerwG 6 B 10.02

  • VG der Freien Hansestadt Bremen - 19.10.2001 - AZ: VG 7 K 812/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 19. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde bleibt sowohl hinsichtlich der Verfahrensrüge (1.), als auch hinsichtlich der Abweichungs- (2.) und Grundsatzrüge (3.) ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) stützt der Kläger auf Verstöße gegen Aufklärungs- und Hinweispflichten (§ 86 VwGO) sowie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO). Nach seiner Ansicht ist das Verwaltungsgericht unter Missachtung der vorgenannten Rechtsvorschriften zu der Annahme gelangt, dass er die Bundesrepublik Deutschland bereits zum 1. Juli 1999 mit der Absicht verlassen habe, in der Schweiz ein Studium aufzunehmen. Das Gericht hätte nach seiner Auffassung bei Beachtung dieser Grundsätze vielmehr festgestellt, dass er im Sommer 1999 noch nicht die Absicht hatte, in der Schweiz zu studieren.
Dieses Vorbringen kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, weil es für die Beurteilung des Zurückstellungsbegehrens des Klägers nicht auf die von ihm mit der Verfahrensrüge angegriffene Feststellung des Verwaltungsgerichts ankommt.
Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Zurückstellung des Klägers vom Wehrdienst nach § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG verneint. Zwar lägen die Voraussetzungen einer besonderen Härte gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 a WPflG wegen eines weitgehend geförderten Ausbildungsabschnitts im Hinblick auf den erreichten Stand seines Studiums in der Schweiz vor. Darauf könne der Kläger sich aber nicht berufen, weil die zur besonderen Härte führenden Umstände erst entstanden seien, nachdem und weil er die Bundesrepublik Deutschland ohne die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WPflG erforderliche Genehmigung verlassen habe. Nach der zuletzt genannten Vorschrift muss die Genehmigung eingeholt werden, wenn die Bundesrepublik Deutschland von vornherein für einen längeren Zeitraum als drei Monate verlassen werden soll. Der Kläger stellt mit seiner Verfahrensrüge in Abrede, dass bei ihm zum Zeitpunkt seines Umzugs in die Schweiz schon die Absicht für einen derart langen Auslandsaufenthalt bestanden habe.
Auf diesen Umstand kommt es indes nicht entscheidend an, weil der Kläger jedenfalls nach § 3 Abs. 2 Satz 2 WPflG verpflichtet gewesen wäre, eine Genehmigung zum Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland einzuholen. Dies ist nach der genannten Vorschrift nämlich auch dann der Fall, wenn ein - zunächst nicht genehmigungspflichtiger - Auslandsaufenthalt über drei Monate hinaus ausgedehnt werden soll. Diese Voraussetzungen lagen nach den tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils vor. Danach hat der Kläger sich nämlich zum 1. Juli 1999 von Bremen in die Schweiz abgemeldet und dort zum Wintersemester 1999 sein Studium aufgenommen. Das zur Zurückstellung führende fortgeschrittene Studium in der Schweiz konnte somit nur unter Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 WPflG unternommen werden. Auch insofern gilt, dass ein Sachverhalt, der entstanden ist, nachdem und weil ein Wehrpflichtiger den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes ohne die nach § 3 Abs. 2 WPflG erforderliche Genehmigung verlassen hat, grundsätzlich nicht eine die nachträgliche Genehmigung rechtfertigende Härte im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 4 und § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 a WPflG zu begründen vermag (vgl. Urteil vom 3. August 1977 - BVerwG 8 C 6.76 - Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 9 = BVerwGE 54, 240, 246 ff.).
Hieran ändert sich nichts dadurch, dass das Verwaltungsgericht im stattgebenden Teil seines Urteils die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger die Genehmigung zum Auslandsaufenthalt zu erteilen. Nicht aus dem Tenor, wohl aber aus den Gründen ergibt sich, dass die Gültigkeitsdauer der Genehmigung erst mit dem 25. November 1999 beginnt, also jenem Tag, an welchem der Kläger den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt hat. Sie erstreckt sich daher nicht auch auf die Zeit ab 1. Oktober 1999 und wirkt daher nicht auf den Zeitpunkt des Studienbeginns zurück. Es bleibt daher dabei, dass der Kläger sich jedenfalls insofern pflichtwidrig verhalten hat, als er seinen Aufenthalt in der Schweiz im Oktober 1999 ohne die dazu erforderliche Genehmigung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 WPflG zu Studienzwecken fortsetzte. Dies ist auch materiellrechtlich erheblich, weil dem Kläger damals die Genehmigung nach § 3 Abs. 2 Satz 3 WPflG nicht hätte erteilt werden können. Denn er stand zum Wehrdienst heran, da er wehrdienstfähig gemustert war und die Beklagte ihn nach Beendigung seiner schulischen Ausbildung einzuberufen beabsichtigte. Die Zeiten seines Auslandsstudiums können daher nicht als Härte im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 4 und § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a WPflG anerkannt werden, weil es sich um Umstände handelt, die der Kläger unter Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 WPflG herbeigeführt hat (vgl. Urteil vom 3. August 1977 a.a.O. S. 247 f.; Urteil vom 24. Oktober 1979 - BVerwG 8 C 22.78 - BVerwGE 59, 23, 27 f.; Urteil vom 26. Juli 1996 - BVerwG 8 C 4.95 - Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 18 S. 4).
Erweist sich somit das angefochtene Urteil im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), so sind die gerügten Verfahrensfehler unerheblich. Dies gilt auch für die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs. Die Gehörsrüge ist nämlich trotz § 138 Nr. 3 VwGO unbeachtlich und hindert die Anwendung von § 144 Abs. 4 VwGO nicht, wenn es auf die möglicherweise unter Verletzung rechtlichen Gehörs getroffene Tatsachenfeststellung nicht ankommt (vgl. Urteil vom 16. März 1994 - BVerwG 11 C 48.92 - Buchholz 442.15 § 46 StVO Nr. 10 S. 5). So liegt es hier, weil der Kläger auch dann gegen § 3 Abs. 2 WPflG verstoßen hat, wenn er entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts den Entschluss zur Aufnahme eines Studiums in der Schweiz erst nach seiner Übersiedlung dorthin im Sommer 1999 gefasst haben sollte.
2. Die Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) stützt der Kläger auf eine Unvereinbarkeit des erstinstanzlichen Urteils mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. November 1998 - BVerwG 6 B 90.98 - (Buchholz 448.11 § 23 ZDG Nr. 1). Darin habe das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der damaligen Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen, weil sich der dortige Kläger unverzüglich nach Ablauf der ihm für den Auslandsaufenthalt - wenn auch nachträglich - erteilten Genehmigung um deren Verlängerung bemüht habe. Demzufolge habe das Bundesverwaltungsgericht den dortigen Kläger nicht zur Gruppe derjenigen Dienstpflichtigen gehörend betrachtet, die sich unter Verletzung der Genehmigungspflicht ins Ausland begeben bzw. dort weiter aufgehalten hätten. Das Bundesverwaltungsgericht habe mithin angenommen, dass nur ein unter Verstoß gegen § 3 Abs. 2 WPflG herbeigeführter Zurückstellungsgrund die Versagung der Zurückstellung rechtfertige. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben, weil das Verwaltungsgericht ihm für sein Studium einen Anspruch auf Genehmigung des Auslandsaufenthalts gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 WPflG zuerkannt habe.
Die Rüge bleibt ohne Erfolg, weil das erstinstanzliche Urteil keinen Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es von einem in dem genannten Beschluss aufgestellten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen wäre. Im Beschluss vom 18. November 1998 hat der Senat die oben zitierte Rechtsprechung zur Unbeachtlichkeit von Umständen, die der Wehrpflichtige unter Verstoß gegen die Genehmigungspflicht nach § 3 Abs. 2 WPflG geschaffen hat, zugrunde gelegt, aber in der einzelfallbezogenen Würdigung der Vorinstanz keinen Widerspruch zu jener Rechtsprechung erblickt. Nach den damaligen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hatte der Wehrpflichtige die Genehmigung nach § 3 Abs. 2 WPflG bereits vor Verlassen des Bundesgebiets beantragt und sie im Widerspruchsverfahren von der zuständigen Wehrbereichsverwaltung mit Rückwirkung auf den Beginn seines Auslandsaufenthalts erhalten. Diese Sachlage, welche die Vorinstanz ohne Divergenz zugunsten des Wehrpflichtigen gewürdigt hat, unterscheidet sich von derjenigen im vorliegenden Fall, in welchem der Beginn des genehmigungspflichtigen Auslandsaufenthalts nicht von der erteilten Genehmigung erfasst wird.
3. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bleibt ebenfalls mit allen drei aufgeworfenen Fragen ohne Erfolg. Die erste in Abschnitt III der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Sie beruht auf der Annahme, dass die Beklagte dem Kläger nach dem Verpflichtungsausspruch des Verwaltungsgerichts eine Genehmigung zum Verlassen der Bundesrepublik "für das Studium" erteilen muss. Diese Annahme trifft nicht zu. Denn der Verpflichtungsausspruch des Verwaltungsgerichts trägt, wie bereits erwähnt, lediglich dem Umstand Rechnung, dass der Kläger seit der Stellung seines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerung am 25. November 1999 nicht mehr für eine Einberufung zum Wehrdienst heranstand; dementsprechend ist die zu erteilende Genehmigung nicht auf die Dauer des Studiums, sondern auf die Dauer des Anerkennungsverfahrens bezogen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 WPflG). Ende November 1999 hatte der Kläger jedoch bereits sein Studium, auf dessen weitgehende Förderung er sich nunmehr beruft, ohne die erforderliche Genehmigung aufgenommen.
Die beiden weiteren Fragen sind gleichfalls unerheblich, weil sich das angefochtene Urteil im Ergebnis unabhängig davon als richtig erweist, ob dem Kläger auch das Scheitern der Zustellung des Einberufungsbescheides vorzuhalten ist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.