Beschluss vom 11.06.2002 -
BVerwG 4 B 31.02ECLI:DE:BVerwG:2002:110602B4B31.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.06.2002 - 4 B 31.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:110602B4B31.02.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 31.02

  • OVG des Saarlandes - 12.03.2002 - AZ: OVG 2 R 1/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juni 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Prof. Dr. Dr. B e r k e m a n n und
Prof. Dr. R o j a h n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 12. März 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 17 256,10 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Vorbringen der Beschwerde ergibt nicht, dass die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO erfüllt sind.
1. Die Beschwerde sieht - betrachtet man ihr Vorbringen allgemein - die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darin begründet, ob das Berufungsgericht in der Auslegung und Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB noch den Maßstäben folgt, die nach ihrer Ansicht das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 - BVerwGE 84, 322 = BRS 50 Nr. 75 - aufgestellt habe. Die Beschwerde sieht im Hinblick auf angeführte andere Entscheidungen des Berufungsgerichtes und des Oberverwaltungsgerichts Schleswig einen höchstrichterlichen Klärungsbedarf.
a) Mit diesem Vorbringen kann die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan werden. Ist eine Rechtsfrage höchstrichterlich entschieden, gewinnt sie jedenfalls nicht dadurch wieder grundsätzliche Bedeutung, dass Tatsachengerichte von der so geklärten Rechtsprechung abweichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2000 - BVerwG 11 B 54.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 = NVwZ-RR 2000, 457; Beschluss vom 29. Dezember 1970 - BVerwG 1 B 96.70 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 79, nur Leitsatz). Ist dies der Fall, steht dem unterlegenen Beteiligten gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO der Zulassungsgrund der Divergenz offen. Die Beschwerde trägt auch nicht vor, dass nach ihrer Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Februar 1990 überdacht werden müsse. Das Beschwerdegericht kann übrigens nach Maßgabe der von der Beschwerde zwar angeführten, aber nicht veröffentlichten Entscheidungen nicht selbst beurteilen, ob es zutrifft - wie die Beschwerde meint -, dass es unterschiedliche Rechtsauslegungen etwa zu der Frage der sog. Hinterlandbebauung gibt.
b) Auch die von der Beschwerde konkretisierend gestellten Rechtsfragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob bei der Zulässigkeit einer Hinterlandbebauung als prägend auch Gebäude angesehen werden können, die eine andere Art der Nutzung als das geplante Bauvorhaben aufweisen. Die so gestellte Frage lässt sich nicht allgemein beantworten. Es ist hinreichend geklärt, dass die Zulässigkeit von Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB keine Konformität der Nutzungsweise voraussetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993 - BVerwG 4 C 17.91 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 158 = NVwZ 1994, 294 = BRS 55 Nr. 72). Welche Bedeutung eine vorhandene Straße für die Beurteilung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB haben kann, ist ebenfalls hinreichend geklärt. Eine Straße kann sowohl trennende als auch verbindende Wirkung haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1973 - BVerwG 4 C 3.72 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG Nr. 4 = DVBl 1974, 238; Urteil vom 6. Juli 1984 - BVerwG 4 C 28.83 - Buchholz 406.11 § 12 BBauG Nr. 11 = NJW 1985, 1569; Beschluss vom 10. März 1994 - BVerwG 4 B 50.94 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 165). Ob das eine oder das andere der Fall ist, hat der Tatrichter zu beurteilen. Soweit die Beschwerde hierzu eine eigene Würdigung vornimmt, ist dieses Vorbringen im Rahmen des Zulassungsgrundes des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zulässig.
Schließlich wirft die Beschwerde die Frage auf, ob die faktische Bebauungstiefe dafür maßgebend oder entscheidend ist, ob eine Hinterlandbebauung in der näheren Umgebung mit prägender Wirkung vorhanden ist. Auch dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Die gestellte Frage lässt sich nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles beurteilen. Die faktische Bebauungstiefe kann stets bedeutsam sein. Das gilt beispielsweise für die Fragen, wo ein Bebauungszusammenhang endet, in welcher Weise von einer noch offenen Bauweise auszugehen ist oder wie sich die nähere Umgebung prägend darstellt. Die von der Beschwerde mit ihrem Vorbringen erhoffte "Regel" lässt sich ersichtlich nicht in allgemein gültiger Weise aufstellen.
c) Ergänzend sei bemerkt: Jede Gemeinde hat es in der Hand, durch eine Planung bestehende Unsicherheiten in der Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB zu beseitigen. Belässt sie es bei einem nicht qualifiziert beplanten innerstädtischen Bereich, so sichert ihr das Erfordernis des Einvernehmens gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB einen verfahrensmäßigen Einfluss. Es kann daher entgegen der Ansicht der Beschwerde keine Rede davon sein, dass die gemeindliche Planungshoheit "ausgehebelt" wird. Die von der Beschwerde beklagte fehlende Verlässlichkeit liegt
vielmehr in der Struktur des § 34 Abs. 1 BauGB selbst begründet.
2. Die Beschwerde macht außerdem geltend, das angegriffene Urteil weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 - a.a.O. ab.
Die so erhobene Divergenzrüge ist nicht zulässig. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur gegeben, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechtssatz mit einem widersprechenden Rechtssatz abgerückt ist. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist mithin nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 = ZOV 1997, 427 = DÖV 1998, 117).
Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt hat, genügt weder der Zulässigkeitsanforderung einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge. Die Beschwerde kritisiert in ihrem Vorbringen allein, dass das Berufungsgericht das auf den Parzellen Nr. 284/25 und Nr. 284/26 vorhandene Pflegeheim nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB fehlerhaft eingeordnet habe. Damit stellt sie ihre Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles der des Berufungsgerichtes entgegen. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. Februar 1990 in dem von der Beschwerde beschriebenen "Prüfprogramm" deutlich darauf verwiesen, dass letztlich maßgebend die Umstände des Einzelfalles sind. Davon hat sich auch das Berufungsgericht zu Recht leiten lassen. Es wäre ein Missverständnis, in der im Urteil vom 15. Februar 1990 erkennbaren gedanklichen Vorgehensweise, die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu bestimmen, ein rechtsverbindliches "Prüfungsschema" zu sehen, das gleichsam stufenweise "abzuprüfen" wäre. Unverändert kommt es - wie in dem Urteil vom 15. Februar 1990 hervorgehoben - auf die dem Tatrichter auferlegte bewertende Würdigung der Gesamtsituation an.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.