Beschluss vom 11.02.2010 -
BVerwG 8 B 83.09ECLI:DE:BVerwG:2010:110210B8B83.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.02.2010 - 8 B 83.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:110210B8B83.09.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 83.09

  • Bayerischer VGH München - 07.05.2009 - AZ: VGH 4 B 06.3354

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Februar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg
und Dr. Held-Daab
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2009 ergangenen Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 259 719,49 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2 1. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Daran fehlt es hier.

3 Die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage,
inwieweit die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angenommenen Besonderheiten es rechtfertigen, dass die Beschwerdeführer sich nicht auf Vertrauensschutz als Teil des allgemeinen Rechtsstaatsgebots des Art. 20 Abs. 3 GG berufen können und gegebenenfalls die strengeren Anforderungen an eine „echte Rückwirkung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzuschränken sind,
zielt nicht auf die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage, sondern unterstellt eine Divergenz der angegriffenen Entscheidung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (dazu s.u. 2.) und rügt darüber hinaus sinngemäß, die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof „angenommenen Besonderheiten“ rechtfertigten nicht, ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin (und der Klägerinnen der Parallelverfahren BVerwG 8 B 81, 82 und 85.09 ) zu verneinen. Ein solcher Einwand gegen die Richtigkeit der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall kann nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein. Das gilt auch für die weitere sinngemäß gestellte Frage,
weshalb die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Verrechnung und des darauf in Kenntnis der Verrechnung erfolgenden Schlussbescheids damit rechnen musste, dass der bayerische Gesetzgeber eine entsprechende Regelung, wie sie in Art. 19 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayAbwAG eingefügt wurde, erlassen würde mit der Konsequenz, dass Vertrauensschutz nicht greifen konnte.

4 Sie problematisiert die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils und wirft keine klärungsfähige Rechtsfrage auf.

5 Sollten die gestellten Fragen darauf abzielen zu klären, ob die bundesverfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung einer „echten“ Rückwirkung wegen der berufungsgerichtlich festgestellten landesrechtlichen „Besonderheiten des Zuwendungsverfahrens für kommunale Abwasseranlagen“ für den Widerruf abwasserwirtschaftlicher Zuwendungen nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BayAbwAG nur eingeschränkt gelten, kommt ihnen jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die damit angesprochene Rechtsfrage wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil das angegriffene Urteil nicht auf der entsprechenden Annahme beruht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zieht die landesrechtlichen „Besonderheiten“ des Zuwendungsverfahrens nicht zur Begründung einer großzügigeren Rechtfertigung „echter“ Rückwirkung heran. Er erörtert nur, ob wegen dieser Besonderheiten keine „echte“, sondern lediglich eine „unechte“ Rückwirkung vorliege. Diese Frage lässt er ausdrücklich offen, da er annimmt, selbst eine „echte“ Rückwirkung sei nach der bundesverfassungsgerichtlichen Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG gerechtfertigt (vgl. Rn. 28 ff. des angegriffenen Urteils).

6 Die Grundsatzrüge könnte selbst dann keinen Erfolg haben, wenn sie sich wegen des Zusammenhangs mit der behaupteten Divergenz sinngemäß dahin auslegen ließe, dass geklärt werden soll, ob eine mögliche „echte“ Rückwirkung der Ermächtigung zum Widerruf von Zuwendungen für abwasserwirtschaftliche Maßnahmen nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BayAbwAG vor dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art. 20 Abs. 3 GG schon gerechtfertigt ist, weil die Klägerin wegen des berufungsgerichtlich festgestellten landesrechtlichen Verbots der Förderung verrechenbarer Aufwendungen (Art.  16 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. § 9 BayAbwAG und § 10 Abs. 3 und 4 [Bundes-] AbwAG) mit dem Erlass einer gesetzlichen Ermächtigung zum Abschöpfen von Doppelvorteilen rechnen musste. Diese Rechtsfrage bedarf nicht der revisionsgerichtlichen Klärung, weil sie sich, soweit sie für die Revisionsentscheidung erheblich wäre, bereits aufgrund der bisherigen Rechtsprechung beantworten lässt (vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228).

7 Das rechtsstaatliche Verbot „echter“ Rückwirkung darf sowohl aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls als auch - alternativ - wegen eines nicht oder nicht mehr vorhandenen schutzwürdigen Vertrauens des Einzelnen durchbrochen werden (BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 BVerfGE 101, 239 <263 f.>; Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 - BVerfGE 97, 67 <79 ff.>). Es tritt also nicht nur zurück, wenn sich ein schutzwürdiges Vertrauen in das Fortbestehen der bisherigen Rechtslage nicht bilden oder nicht mehr fortbestehen konnte, sondern unabhängig davon auch, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung von Normen erfordern. Solche Gemeinwohlgründe hat das Bundesverfassungsgericht bei Aufhebung einer zweckwidrigen oder unsinnigen Subvention bejaht (Beschluss vom 3. Dezember 1997 a.a.O. S. 81 f. m.w.N.).

8 Das Abschöpfen eines doppelten Vorteils, der sich aus einem Zusammentreffen von wasserwirtschaftlichen Zuwendungen mit abgabenrechtlichen Verrechnungen wegen desselben Aufwands ergab, erfüllt beide Rechtfertigungskriterien.

9 Ein schutzwürdiges Vertrauen konnte sich bei den betroffenen Gemeinden wegen des bereits bei Förderungsbeginn bestehenden Verbots der Förderung verrechenbarer Aufwendungen nicht bilden, soweit die Aufwendungen durch Verrechnung geltend gemacht wurden. Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BayAbwAG enttäuscht auch nur die Erwartung, einen durch Verrechnung erlangten doppelten Vorteil behalten zu dürfen, und nicht das Vertrauen auf den Bestand derjenigen Zuwendungen, für die keine Verrechnung erklärt wurde. Denn die Widerrufsermächtigung ist auf den Umfang der zwischen dem 1. Januar 2004 und dem 1. Januar 2007 erklärten Verrechnung beschränkt. Unabhängig davon rechtfertigt sich die Rückwirkung der Widerrufsermächtigung aus dem zwingenden Belang des Gemeinwohls, die sinnwidrige (Doppel-) Subventionierung ein- und desselben Aufwands zu beseitigen. Umstände, aus denen sich eine Unverhältnismäßigkeit des Widerrufs oder eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts der betroffenen Kommunen ergeben könnte, sind nicht zu erkennen.

10 2. Die behauptete Divergenz zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 - (a.a.O.) liegt nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der einem ebensolchen, in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechtssatz zur Auslegung und Anwendung des Art. 20 Abs. 3 GG widerspräche. Entgegen der Beschwerdebegründung ist dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht zu entnehmen, dass ein schutzwürdiges Vertrauen erst mit der „ernsthaften Ankündigung“ einer dem Betroffenen nachteiligen Gesetzesänderung entfalle. Die zitierte Entscheidung erörtert die Ankündigung einer Rechtsänderung zu einem bestimmten Zeitpunkt vielmehr unter dem Gesichtspunkt, ob trotz einer Durchbrechung des Rückwirkungsverbots, die wegen überwiegender Gemeinwohlgründe gerechtfertigt war, durch die konkrete Ankündigung schutzwürdiges Vertrauen auf das Wirksamwerden der Änderung erst zum angekündigten Zeitpunkt begründet worden sein könne. Dies wird verneint (Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 - a.a.O. S. 83 f.).

11 Soweit die Beschwerde im Rahmen der Grundsatzrüge die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rückwirkungsverbot referiert, arbeitet sie keinen weiteren Rechtssatzwiderspruch zum angegriffenen Urteil heraus.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.