Urteil vom 10.12.2002 -
BVerwG 1 D 2.02ECLI:DE:BVerwG:2002:101202U1D2.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 10.12.2002 - 1 D 2.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:101202U1D2.02.0]

Urteil

BVerwG 1 D 2.02

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 10. Dezember 2002,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H. M ü l l e r ,
Posthauptsekretär
Otto J o c h e r
und
Postbetriebsassistent
Willibald Z o l l n e r
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwältin ..., als Verteidigerin,
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Bundesbahnobersekretärs ... wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer III - ... -, vom 7. November 2001 aufgehoben.
  2. Der Beamte wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

I


1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er,
in der Zeit von Februar bis Juli 1997
- Toilettenautomaten vorschriftswidrig allein geleert und
- Gelder aus Geldrückgabefächern von Schließfachanlagen in Höhe von mindestens 300 DM veruntreut hat.
Das gegen den Beamten eingeleitete sachgleiche Strafverfahren wegen des Verdachts der Unterschlagung wurde nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 2 800 DM vom Amtsgericht ...
durch Beschluss vom 5. Januar 1999 gemäß § 153 a StPO endgültig eingestellt.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 7. November 2001 entschieden, dass der Beamte unter Bewilligung eines neunmonatigen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 60 v.H. seines erdienten jeweiligen Ruhegehalts aus dem Dienst entfernt wird. Es hat die Anschuldigungsvorwürfe als erwiesen angesehen. Zum ersten Anschuldigungspunkt ist es davon ausgegangen, der Beamte habe nach seiner eigenen Einlassung die mit Münzautomaten ausgestatteten Drehkreuze der Toilettenanlage über einen längeren Zeitraum vorschriftswidrig allein betreut. Nach Aussage seiner ehemaligen Kollegen habe er regelrecht "sauer" reagiert, wenn die Anlage schon vor seinem Erscheinen versorgt gewesen sei. Nachdem die Tätigkeit des Beamten bei der Schließfachaufsicht im Juli ... geendet habe, seien die dortigen Einnahmen aus den von dort betreuten Münzautomaten der Toilettenanlage beachtlich angestiegen. Zum zweiten Anschuldigungspunkt habe der Beamte gegenüber den Ermittlungsbeamten selbst eingestanden, in demselben Zeitraum Gelder in Höhe von 200 bis 300 DM aus der Schließfachanlage veruntreut zu haben. Den Widerruf dieses bei der ersten Vernehmung in der Polizeistation ... abgelegten Geständnisses akzeptiere das Bundesdisziplinargericht nicht, weil es überhaupt keine Gründe für die Annahme gebe, dass sein Geständnis vor der Polizei falsch oder gar - wie der Beamte vor der erkennenden Kammer habe vortragen lassen - "erpresst" worden sei. Das Bundesdisziplinargericht hat das festgestellte Verhalten des Beamten als vorsätzliche Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nach § 54 Sätze 1 bis 3 BBG sowie nach § 55 Satz 2 BBG gewertet. Dadurch habe er ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das so erhebliches Gewicht habe, dass er nicht länger Beamter bleiben könne. Ein von der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund komme dem Beamten nicht zugute. Er habe nicht eben "im Vorbeigehen" ein Geldstück, das ihm nicht gehöre, gefunden und an sich genommen, sondern Geld, das sich im Gewahrsam seines Dienstherrn befunden habe, um es für sich zu behalten. Die Auffassung der Verteidigung, die Münzen seien herrenlos gewesen, halte die Kammer für so abwegig, dass sich eine weitere Diskussion darüber erübrige. Der Beamte habe im Kernbereich seiner Pflichten versagt; denn es sei ja gerade eine seiner Aufgaben gewesen, das Geld einzusammeln, es in die Wertstelle zu bringen, es dort zählen und verwahren zu lassen.
3. Mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung begehrt der Beamte Freispruch und führt zur Begründung im Wesentlichen aus:
Das Bundesdisziplinargericht habe auf die angeblich erheblichen Einnahmeverluste während seiner Tätigkeit bei der Schließfachaufsicht überhaupt nicht eingehen dürfen, da dies nicht vom Vorwurf in der Anschuldigungsschrift gedeckt sei. Abgesehen davon, dass es nicht als schweres Dienstvergehen zu werten sei, wenn ein Beamter interne Vorschriften missachte, hätte das Gericht die angebliche bestehende Vorschrift näher bezeichnen müssen; denn eine "interne Regelung" gebe es offenbar nur vom Hörensagen. Die Nichtbefolgung einer nicht existenten "Regelung" könne kein Dienstvergehen darstellen. Der weitere Vorwurf bezüglich rechtswidriger Entnahmen aus den Rückgabeschächten in der Schließfachanlage beruhe ausschließlich auf seiner eigenen Erklärung. Er habe diese "Einräumung" später widerrufen und bestritten. Von Erpressung habe er selbst nie gesprochen; er habe lediglich erklärt, weil er stundenlang massiv unter Druck gesetzt worden sei, habe er seine Ruhe haben wollen und deshalb irgendetwas zugegeben, nachdem die Ermittlungsbeamten ihm wiederholt gesagt hätten, sie glaubten ihm kein Wort.

II


Die Berufung ist begründet. Sie führt zum Freispruch des Beamten. Der subjektive Tatbestand des zu 1. als pflichtwidrig angeschuldigten Verhaltens und das zu 2. angeschuldigte Handeln in seiner Gesamtheit sind dem Beamten nicht nachzuweisen. Der Beamte war daher gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 76 Abs. 2 BDO freizusprechen. Diese Vorschriften sind hier maßgeblich, weil das Disziplinarverfahren auch nach In-Kraft-Treten des neuen Bundesdisziplinargesetzes - BDG - nach bisherigem Recht, d.h. nach den Verfahrensregeln und –grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung - BDO - als übergangsweise fortgeltendem Recht fortzuführen war (vgl. zum Übergangsrecht: Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 -).
1. Für den in Rede stehenden Vorwurf der angeblich vorschriftswidrig allein durchgeführten Leerung der Münzautomaten der Toilettenanlage ist ein Dienstvergehen des Beamten jedenfalls in subjektiver Hinsicht nicht festzustellen. Die vom Bundesdisziplinargericht als verletzt herangezogene Vorschrift des § 3 Abs. 4 und 6 der zur Tatzeit noch gültig gewesenen "Allgemeinen Dienstanweisung für die Bundesbahnbeamten (ADAB)" enthält keine Vorschrift über die Behandlung münzbetriebener Automaten welcher Art auch immer. Absatz 4 dieser Vorschrift gibt vielmehr nur in nahezu vollständiger Wiederholung des Gesetzeswortlauts den Inhalt der Regelung allgemeiner Beamtenpflichten in § 54 BBG wieder. § 3 Absatz 6 ADAB wiederum entspricht nahezu wortgleich § 55 Satz 2 BBG. Die beiden letztgenannten Regelungen sprechen zwar die Verpflichtung eines jeden Beamten aus, die dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten (oder der nach besonderer Vorschrift ihm gegenüber weisungsberechtigten Personen) zu befolgen. Eine dienstliche Anordnung als solche enthalten oder ersetzen sie jedoch nicht, sie setzen deren Existenz vielmehr als anderweitig gesetzt voraus (vgl. z.B. Urteil vom 22. Januar 1991 - BVerwG 1 D 23.90 - DokBer B 1991, 161 m.w.N.). An einer derart vorausgesetzten Anordnung oder Weisung, die, um bei Nichtbefolgung disziplinare Relevanz entfalten zu können, entsprechend eindeutig sein müsste, fehlt es hier aber. Schriftlich abgefasste Anordnungen (oder Dienstvorschriften) speziell für die Behandlung von Toilettenanlagen mit Münzautomaten existieren ersichtlich nicht. Dem Senat sind lediglich zwei Richtlinien "Gepäckschließfachanlagen betreuen" der DB Station & Service AG vom 1. Januar 2001 vorgelegt worden. Sie sollen, obwohl das im Text nicht erwähnt wird, auch für die genannten Toilettenanlagen gelten. Bis zum 31. Dezember 2000, also auch nach der Privatisierung der Bahn, sollen nach Angaben des Bundeseisenbahnvermögens (BEV) die "inhaltsgleichen Bestimmungen" der nicht vorgelegten Kassenvorschrift der früheren Deutschen Bundesbahn angewendet worden sein. Auf welcher Grundlage dies geschehen sein soll und insbesondere aus welchen Gründen dies auch für die hier in Rede stehenden automatisch betriebenen Toilettenanlagen gelten soll, hat sich nicht weiter aufklären lassen.
In Betracht käme nach allem nur eine mündliche Weisung durch den unmittelbaren Vorgesetzten des Beamten, den Zeugen G. Eine solche Weisung hätte erst nach Übernahme der Regie über die Toilettenanlage von der früheren Fremdbetreiberin durch die schon genannte Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, also erst Anfang 1996 ergehen können. In der Tat hat der Beamte vor dem Senat eingeräumt, der Zeuge G. habe anfangs erklärt, dass die Entnahme und Verbringung der Geldkassetten zur Geldzählstelle zu zweit durchgeführt werden müsse, so wie dies auch bei den Schließfachanlagen gehandhabt werde. Der Beamte hat sich jedoch in schlüssiger Weise dahin eingelassen, dass wegen der Personalknappheit Ausnahmen des Inhalts zugelassen worden seien, dass die Geldkassetten auch allein geholt werden könnten. Hiervon sei mit der Zeit zunehmend Gebrauch gemacht worden, und zwar nicht nur von ihm, sondern praktisch von allen mit dieser Tätigkeit beauftragten Beschäftigten. Diese Einlassung ist dem Beamten nicht zu widerlegen. Sie wird im Gegenteil durch die Aussagen der im Untersuchungsverfahren vernommenen Zeugen weitgehend bestätigt. So hat der Zeuge K. ausgesagt, Abweichungen von der Regel seien "schon mal vorgekommen"; der Beamte sei "auch schon alleine" hochgegangen, um das Toilettengeld abzuholen. Dies hätten aber auch schon andere Kollegen gemacht; er selbst auch. Ebenso räumte der Zeuge S. ein, dass er "diese Einnahmen auch schon mal alleine" holte. Das sagte auch der Zeuge S. von sich wie auch von anderen Kollegen. Nichts anderes äußerte schließlich die Zeugin G., die mit dem Beamten im Frühjahr 1997 vier Wochen lang regelmäßig zusammengearbeitet hatte - ungefähr an jedem zweiten Tag. Sie erklärte, am Holen des Toilettengeldes sei ihr nichts aufgefallen; der Beamte habe das Geld zwar hier und da allein abgeholt; das hätten die anderen Kollegen aber auch gemacht.
Es mag zwar sein, dass die alleinige Abholung nach dem Willen des Zeugen G. nur die seltene Ausnahme darstellen sollte. Es mag ferner so gewesen sein, dass der Beamte möglicherweise derjenige war, der von der "Ausnahme" am ausgiebigsten Gebrauch gemacht hat; von manchen Zeugen - jedoch keineswegs von allen - wird dies hervorgehoben. Das kann die verschiedensten Ursachen haben, mag letztlich aber auf sich beruhen. Ganz im Gegensatz zur ausnahmslosen Behandlung der Schließfachanlagen hatte sich nämlich bei den Toilettenanlagen eine ausufernde "Ausnahmepraxis" als in keiner Weise mehr ungewöhnliche Verfahrensweise durchgesetzt. Sie wurde zwar nicht alltäglich, aber doch von allen immer wieder so gehandhabt. Das ging insgesamt so weit, dass die Zeugin G. in dem alleinigen Holen des Geldes keine Besonderheit mehr zu erkennen vermochte. Wenn sich eine derartige Verfahrensweise über längere Zeit unbeanstandet fortschleppt, so spricht das wenn nicht für eine Duldung so doch jedenfalls für eine Unklarheit der wie auch immer lautenden mündlichen Weisung über das Verhältnis von Regel und Ausnahme. Darauf weist nicht zuletzt auch der Umstand hin, dass es bei den Schließfachanlagen zu einer solchen Praxis nicht gekommen ist. Bei derartigen Unklarheiten kann dem Beamten ein Verstoß gegen Dienstvorschriften nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es fehlt an der für einen disziplinaren Schuldvorwurf vorauszusetzenden Eindeutigkeit der die Schließfächer betreffenden Anordnung.
2. Von dem zum zweiten Anschuldigungspunkt erhobenen Vorwurf ist der Beamte ebenfalls freizustellen. Das vorgeworfene Verhalten ist dem Beamten nicht nachzuweisen. Sein ursprüngliches Geständnis, das er bei seiner erstmaligen Vernehmung gegenüber den Ermittlungsbeamten gemacht hat, bietet - anders als das Bundesdisziplinargericht dies sieht - keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung.
Zwar trifft es zu, dass der Beamte ausweislich der nachträglich angefertigten und von ihm in der Reinschrift nicht abgezeichneten Niederschrift über die Vernehmung vom 18. Juli 1997 nach dem Abstreiten des entschieden gewichtigeren Vorwurfs einer Wegnahme umfangreicher Gelder aus den Toilettenanlagen Folgendes erklärt hat: "Ich gebe jedoch zu, aus den Schließfächern der Geldrückgabeschächte (richtig wohl: aus den Geldrückgabeschächten der Schließfächer) Geld an mich genommen zu haben, welches eigentlich meinem Arbeitgeber (der Deutschen Bahn AG) gehört. Die Kunden haben vergessen, dieses Geld mitzunehmen. Dies habe ich über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr gemacht und dabei zwischen 200 und 300 DM an mich genommen ... Ich selbst habe dies zuletzt vor einem halben Jahr gemacht und dabei 3 DM herausgenommen. Mehr ist in diesen (Geld)Rückgabeschächten nicht drin". Abgesehen davon, dass dieses "Geständnis" schon seinem Wortlaut nach nicht den Vorwurf rechtfertigt, der Beamte habe Gelder in Höhe von "mindestens 300 DM" veruntreut, ist es als Beweismittel im Sinne des Anschuldigungspunktes nicht geeignet. Der Beamte hat dieses Geständnis widerrufen und dafür auch triftige Gründe genannt, die sich keineswegs widerlegen lassen. Sie werden vielmehr durch eine Reihe von Indizien belegt. Auch bestehen der Sache
nach erhebliche Zweifel, ob der Beamte mit seiner damaligen Selbstbezichtigung die Wahrheit gesagt hat.
Der Beamte hat gegenüber dem Senat erklärt, er sei durch die Hausdurchsuchung am 18. Juli 1997 überrascht worden. Er sei mit den ... Kindern allein zu Hause gewesen. Seine Lebensgefährtin habe sich noch bei ihrer Arbeitsstelle befunden. Zur Polizeistation sei er - obwohl er die Kinder habe allein zu Hause lassen müssen - nur deshalb mitgegangen, weil die Kinder durch das Erscheinen der Ermittlungsbeamten und die Durchsuchung ohnehin schon verstört gewesen seien; ein Verhör in ihrem Beisein sei für ihn überhaupt nicht in Betracht gekommen. Eigentlich habe er die Kinder gar nicht unbeaufsichtigt lassen dürfen. Die Beamten hätten ihm aber keine andere Wahl gelassen. Auf dem Polizeirevier hätten sie ihn dann nicht nur mit den massiven Vorwürfen der Wegnahme erheblicher Gelder aus den Toilettenanlagen unter Druck gesetzt, sondern auch damit gedroht, dass sie viel Zeit hätten und die Vernehmung so lange in die Länge ziehen könnten, bis er geständig sei. Das habe ihn deshalb empfindlich getroffen, weil die Kinder unbeaufsichtigt allein zu Hause geblieben seien. Das sei anscheinend auch den Beamten klar gewesen. Um aus der Drucksituation herauszukommen, habe er sich schließlich entschlossen, irgendetwas zuzugeben.
Nach dem Akteninhalt spricht viel dafür, dass diese Darstellung des Beamten zutreffend ist. Zwar haben die frühere und die heutige Verteidigung des Beamten teilweise abweichende Darstellungen gegeben. Dies mag aber auch an Missverständnissen (wie die anwesende Verteidigerin einräumte) zwischen den Anwälten und ihrem Mandanten bzw. auch an früheren Nachlässigkeiten liegen, die teils auch davon herrühren mochten, dass ursprünglich wesentlich gewichtigere Vorwürfe gegen den Beamten erhoben worden waren und entkräftet werden mussten, die hier in Rede stehende Veruntreuung der Rückgabegelder also nicht so sehr im Blickfeld gestanden haben mag. Entscheidend für die Würdigung des Senats ist letztlich die Übereinstimmung der dem Senat vom Beamten selbst gegebenen Darstellung mit dem Akteninhalt.
Aus den Akten ergibt sich in der Tat, dass der Beamte mit den ... Kindern zu Hause um 14.30 Uhr allein angetroffen und nach Beendigung der Durchsuchung gegen 15.00 Uhr mit auf ein Polizeirevier genommen wurde, wo er ab 15.10 Uhr verhört worden ist. Zwar hat das Verhör bis zum Ende der Vernehmung um 16.25 Uhr nicht übermäßig lange gedauert. Die Besonderheit der Situation bestand jedoch darin, dass die Kinder nunmehr schon seit knapp 11/2 Stunden unbeaufsichtigt waren. Dieser Zustand war den Kindern gegenüber kaum zu verantworten und drängte aus objektiver Sicht auf eine frühest mögliche Beendigung. Dies muss den Ermittlungsbeamten ohne weiteres klar gewesen sein. Dass sie auch tatsächlich unter Zeitdruck gehandelt haben, zeigt sich daran, dass sie auf eine sofortige Anfertigung einer Reinschrift des Vernehmungsprotokolls und dessen Unterzeichnung durch den Beamten verzichtet haben. Stattdessen haben sie, wie sich aus entsprechenden Vermerken ergibt, ihn das Konzept lesen lassen und später auf der Reinschrift vermerkt, dass er den Inhalt der Aufzeichnungen für richtig befunden habe; sodann haben sie unter die Reinschrift in Maschinenschrift den Namen des Beamten gesetzt. Darüber hinaus findet sich auf der ersten Seite des Protokolls unter der formularmäßigen Rubrik "Belehrung erhalten:" der maschinenschriftliche Vermerk "im Konzept unterzeichnet" mit dem maschinenschriftlichen Vor- und Nachnamen des Beamten. Das genannte Konzept mit einer Originalunterschrift ist den Akten nicht beigefügt. Stattdessen befindet sich in den Strafakten ein weiteres mit dem Formular für das Vernehmungsprotokoll nicht übereinstimmendes Belehrungsformular, das der Beamte seinen Angaben zufolge erst zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichnet hat. Auch dieser Teil der Darstellung des Beamten erscheint dem Senat nachvollziehbar. Träfe er nicht zu, wäre insbesondere die Existenz des vom Beamten unterschriebenen besonderen Belehrungsformulars neben der mit formularmäßigen Belehrungshinweisen versehenen, jedoch nicht unterschriebenen Reinschrift und neben dem Hinweis auf eine angebliche Unterzeichnung "im Konzept" nicht verständlich. Das tatsächlich unterschriebene besondere Formular - benutzt wurde ein Vordruck in 18 Sprachen - lässt sich angesichts des geringen Raums für spärliche Eintragungen auch schwerlich als Konzept bezeichnen.
Der Zeitdruck war allem Anschein nach für die Ermittlungsbeamten so groß, dass sie sich nicht einmal die Zeit nehmen konnten, ein solches Formular über die Belehrung zu Beginn der Vernehmung auszufüllen, um es vorab von dem Beamten durchlesen und vorab, wenigstens aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der nachfolgenden Vernehmung unterschreiben zu lassen. Darüber hinaus bestehen sogar ganz erhebliche Zweifel, ob sich die Ermittlungsbeamten überhaupt die Zeit für die erforderliche vorherige Belehrung genommen haben. Der Beamte bestreitet dies jedenfalls substantiiert und die Akten enthalten Hinweise dafür, dass seine Einlassungen vor dem Senat auch insoweit zutreffend sind. Der Beamte hat sich dahin eingelassen, dass er gegen Ende der Vernehmung aufgefordert worden sein soll, am Montag zur Fortsetzung der Vernehmung nochmals auf der Wache zu erscheinen. Er könne sich noch daran erinnern, weil er am Montag, noch bevor er zur Wache gegangen sei, seinen Anwalt aufgesucht habe; am Freitag sei dies nicht mehr möglich gewesen. - Die geschilderte zeitliche Abfolge wird übrigens durch die Anzeigenaufnahme vom 21. Juli 1997 bestätigt. - Erst bei diesem zweiten Besuch, so der Beamte, habe man ihm das Formular mit der Belehrung für Ausländer zur Unterschrift vorgelegt. Diese Einlassung erscheint dem Senat ebenfalls nachvollziehbar, auch wenn der Unterschrift des Beamten auf dem Formular - wie diese mit schwarzer Kugelschreibertinte - als Datum der "18.07.97" hinzugefügt ist. Der Beamte bestreitet, dass dieses - nach seiner Darstellung unzutreffende - Datum von ihm stamme. Die Schreibweise der Zahlen entspreche nicht seiner Handschrift, wie man bei einem Vergleich mit anderen Daten in den Akten, die er selbst geschrieben habe, ohne weiteres erkennen müsse. Der Senat ist dem nachgegangen und hat bei einem Vergleich mit dem Unterschriftsdatum auf Blatt 34 der Strafakten festgestellt, dass es sich bei der flüssig geschwungenen Schriftzug "18.07.97" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht um einen solchen handeln kann, der von dem Beamten stammt. Dessen Schreibweise ist - auch für Laien erkennbar - wesentlich ungelenker und lässt keinen durchgehenden Schwung erkennen. Zur Überzeugung des Senats besteht daher der dringende Tatverdacht, dass das mit schwarzer Kugelschreibertinte geschriebene Datum nachträglich und ohne Wissen und Wollen des Beamten der Unterschrift hinzugefügt worden ist; und zwar ist höchstwahrscheinlich derselbe Kugelschreiber benutzt worden, dessen sich auch der Beamte bedient hat, wahrscheinlich, um den Eindruck zu erwecken, dass der Beamte die Unterschrift schon am 18. Juli 1997, d.h. am Tage der Vernehmung, geleistet habe. Einen anderen Sinn macht die Verfälschung nicht. Gegebenenfalls würde es sich um eine Urkundenfälschung handeln.
Hat der Senat also davon auszugehen, dass der Inhalt der Erklärung über eine der Vernehmung vorhergehende Belehrung verfälscht ist, gewinnt auch die Behauptung des Beamten an Wahrscheinlichkeit, dass eine Belehrung als eine vorherige überhaupt nicht stattgefunden hat. Denn hätte eine solche stattgefunden, hätten die Ermittlungsbeamten sie sich unter Verwendung des später benutzten Sonderformulars für Ausländer jederzeit und unschwer - d.h. auch unter größtem Zeitdruck - bestätigen lassen können. Es spricht daher vieles dafür, dass die (wahrscheinlich nachträgliche) Verfälschung ein Versäumnis hinsichtlich der erforderlichen vorherigen Belehrung vertuschen sollte.
Das "Geständnis" des Beamten ist aber nicht nur deswegen nicht belastbar, weil es ohne vorherige Belehrung und zusätzlich unter erheblichem Druck zu Stande gekommen ist, sondern auch deshalb, weil es inhaltlich zweifelhaft ist. Entsprechende Zweifel haben ursprünglich selbst die Ermittlungsbeamten gehabt. Noch in der schon erwähnten Anzeigenaufnahme klangen derartige Zweifel an. Dort ist geschildert, wie es zu dem Geständnis kam: Der Beamte war nach der Herkunft des in seinem Spind gefundenen Bargeldes in Höhe von 3 000 DM gefragt worden. Er hatte zunächst behauptet, dass dieses von seinem Vater stamme; einen geringeren Teil habe er selbst gespart. Um die als notwendig angekündigte Vernehmung des Vaters zu vermeiden, habe er dann seine Angaben gewechselt und behauptet, es handele sich insgesamt um von ihm selbst gespartes Geld. Bei der schriftlichen Fixierung seiner Aussage solle er dann aber gesagt haben, dass ein Teil des aufgefundenen Geldes aus Rückgabeschächten der Schließfächer stamme. Nach Bemerkung des Verfassers der Anzeigenaufnahme über die Glaubwürdigkeit des Beamten "bestand der starke Eindruck, dass, wenn er diese 'kleine Verfehlung' zugeben würde, man ihn dann nicht mehr befragen würde. Insgesamt wirkte Herr ... etwas unruhig, jedoch sehr unglaubwürdig". Diese zeitnahe Einschätzung seitens der Ermittlungsbeamten änderte sich erst in deren Abschlussbericht vom 27. März 1998. Dort vermerkten sie zwar nochmals, dass es sich wohl um einen Versuch gehandelt habe, die vernehmenden Polizeibeamten zufrieden zu stellen. Nun aber wurde die Einschätzung hinzugefügt: "Es kann trotz allem davon ausgegangen werden, dass diese Einlassung des Beschuldigten der Wahrheit entspricht, da er als Mitarbeiter und Insider gewisse Gegebenheiten und Gepflogenheiten der benutzenden Schließfachkunden kennt, welche sehr oft nicht auf durchfallendes Münzgeld achten". Diese Begründung für die geänderte Einschätzung überzeugt nicht. Sie lässt die früher festgestellte Unruhe (die auf vorhandenen Druck schließen ließ) und das angestrengte Bemühen um Ausflüchte und Ablenkung vom Hauptvorwurf einfach beiseite. Auch lässt sich eine Kenntnis von der selbst Kindern oftmals geläufigen Tatsache, dass häufiges Drücken auf den Geldrückgabeknopf von Münzautomaten gelegentlich mit einem Münzauswurf "belohnt" wird, schwerlich zum Gegenstand eines speziellen Insiderwissens erklären. Auf diese Weise wird das Geständnis nicht glaubhafter, der Beamte auch nicht auf die Situation bezogen glaubwürdiger: Er stand in doppelter Hinsicht unter Druck, nämlich unter erheblichem Zeitdruck wegen der unbeaufsichtigt zurückgelassenen Kinder und zusätzlich unter dem Druck eines schweren und mit massiven Tatsachen (wie z.B. der hohe Geldbetrag und die Geldsäcke im Spind) untermauerten Tatvorwurfs. Es lagen Umstände vor, die ihn in höchstem Maße verdächtig machten. Dass er in dieser Situation alles mögliche ersann, um die Vernehmung erst einmal zu beenden, sei es, um wieder zu den Kindern zu gelangen, sei es, um überhaupt erst einmal zur Besinnung zu kommen, sei es, um womöglich einen Anwalt aufsuchen zu können, liegt auf der Hand. Hinzu kommt, dass der Beamte das angeblich glaubhafte Geständnis dem Protokoll zufolge - kaum das es im Verlaufe der Vernehmung ausgesprochen worden ist - sogleich wieder versucht hat abzuschwächen, indem er auf seine Beobachtungen des Verhaltens anderer verwiesen und sodann das eigene Verhalten auf eine ein halbes Jahr zurückliegende Zeit verlegt hat. Nach allem ist der Versuch eines Ablenkungsmanövers mindestens genauso wahrscheinlich wie der Wahrheitsgehalt des widerrufenen Geständnisses. Zur Überführung wegen eines Dienstvergehens reicht das nicht aus. Weitere Beweismittel sind aber nicht ersichtlich.
Nach allem war der Beamte in allen Punkten von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen eines Dienstvergehens mit der Kostenfolge aus § 113 Abs. 3, § 115 Abs. 1 BDO freizusprechen.