Beschluss vom 10.01.2007 -
BVerwG 6 B 106.06ECLI:DE:BVerwG:2007:100107B6B106.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.01.2007 - 6 B 106.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:100107B6B106.06.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 106.06

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 14.09.2006 - AZ: OVG 2 L 406/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Januar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn und
Dr. Bier
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 14. September 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 21 649 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und der Divergenz (2.) stützt, hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne kommt einer Rechtssache nur zu, wenn eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die grundsätzliche Bedeutung ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen; dies verlangt die Bezeichnung der konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

3 Die Fragen, die die Beschwerde stellt, zielen auf die Begründung, mit der das Oberverwaltungsgericht die in Sachsen-Anhalt getroffene Regelung über den Umfang der Finanzhilfe für anerkannte Ersatzschulen (§ 8 Ersatzschulverordnung - ESchVO - in der hier maßgeblichen Fassung vom 18. Januar 1995, GVBl LSA S. 23, zuletzt geändert durch Verordnung vom 9. Februar 1999, GVBl LSA S. 66) teilweise für unwirksam hält. Dabei geht es zum einen um die Annahme des Berufungsgerichts, § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO verstoße hinsichtlich des dort verwendeten Begriffs „Kosten eines Lehrers“ gegen das Bestimmtheitsgebot, weil sich aus der Verweisung der Norm auf eine Vergütungsgruppe des BAT-Ost - auch durch Auslegung - nicht eindeutig ermitteln lasse, welche tarifvertragliche Vergütungsgruppe in Bezug auf die Lehrkräfte der einzelnen Schularten heranzuziehen sei (a). Die Beschwerde stellt ferner die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts in Frage, § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO stehe mit der gesetzlichen Ermächtigung des § 18a Abs. 2 SchulG LSA nicht in Einklang, soweit die Verordnungsregelung in pauschalierender Weise auf die Vergütung für eine 39-jährige angestellte verheiratete Lehrkraft mit einem Kind abstelle (b). Schließlich wendet sich die Beschwerde dagegen, dass das Berufungsgericht § 8 ESchVO mit der Begründung für lückenhaft hält, er enthalte unter Verstoß gegen die gesetzliche Vorgabe keine Grundlage für den Ansatz der auf das nicht pädagogische Personal entfallenden Kosten (c).

4 a) Im Hinblick auf die Bestimmtheitsbedenken des Oberverwaltungsgerichts will die Beschwerde zunächst geklärt wissen, ob „es der Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG (erfordert), dass durch Auslegung eindeutig ermittelt werden können müsse, welchen Inhalt eine Norm - hier eine Rechtsverordnung - habe“. Sie fragt weiter, ob wegen einer „Ausstrahlungswirkung des Art. 7 GG auf die Verfassung“ die vorstehende Frage womöglich anders zu entscheiden sei. Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht, denn die Anforderungen, die der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz an Rechtsnormen stellt, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt. Wie die Beschwerde selbst hervorhebt, zwingt das Bestimmtheitsgebot den Normgeber nicht, den Tatbestand mit genau definierten Merkmalen zu umschreiben. Er ist jedoch gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dazu reicht es aus, dass die betreffenden Normen mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können. Es genügt, wenn die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Entscheidend ist, dass sich im Wege der Auslegung objektive Kriterien gewinnen lassen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und Gerichte ausschließen (stRspr, s. nur BVerfG, Beschlüsse vom 12. Januar 1967 - 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73 <80>, vom 18. Mai 1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205 <212>; Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 <263>; Beschluss vom 14. Dezember 2000 - 2 BvR 1741/99 u.a. - BVerfGE 103, 21 <33>). Ein darüber hinausgehender grundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich des Bestimmtheitserfordernisses ist nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich, und zwar weder allgemein noch speziell im Hinblick auf den Bereich des staatlichen Schulwesens und der Privatschulfreiheit (Art. 7 Abs. 1, 4 GG). Sollte das Oberverwaltungsgericht die genannten Grundsätze, von denen es im Übrigen ausdrücklich selbst ausgeht, im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Auslegung des § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO unrichtig angewendet haben, könnte dies eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Fragen nicht begründen.

5 Die Beschwerde fragt in Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Richtlinien über die Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte (Erlass des Ministeriums der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Oktober 1995) weiter: „Handelt es sich bei dem genannten Erlass um normenkonkretisierende Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal ‚Lehrkraft’ in § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO? - Dürfen sie vor dem Hintergrund, dass ein anderes Ministerium (...) diese erlassen hat und (sie) im Übrigen zunächst im Rang im Sinne der Normenhierarchie unterhalb der Rechtsverordnung stehen, als Auslegungshilfe herangezogen werden?“. Außerdem hält sie sowohl für den Fall, dass der Erlass als normenkonkretisierende Verwaltungsvorschrift gilt, als auch im umgekehrten Fall für erheblich, ob es auf eine genaue Prüfung ankommt, „wie viele ‚Erfüller’ und ‚Nichterfüller’ (der Voraussetzungen für eine Verbeamtung) bestehen, oder (ob) eine Prognose (genügt), die den prognostischen Regelfall zugrunde legt“; dabei soll der Erlass im zweiten Fall - was sie ebenfalls zur Überprüfung des Revisionsgerichts stellt - als „Auslegungshilfe“ anzusehen sein. Auch insofern ist eine grundsätzliche Bedeutung, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, nicht ansatzweise dargetan. Die Beschwerde verkennt, dass es sich bei der Bestimmung des Inhalts von § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO um die Auslegung nicht revisiblen Landesrechts handelt. Sie lässt jeglichen Hinweis darauf vermissen, inwieweit im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des revisiblen Bundesrechts ein Bedarf nach revisionsgerichtlicher Klärung der aufgeworfenen Fragen bestehen soll.

6 b) Hinsichtlich des in § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO herangezogenen Vergleichsmaßstabes einer 39-jährigen angestellten verheirateten Lehrkraft mit einem Kind, den das Oberverwaltungsgericht für unvereinbar mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erachtet, möchte die Beschwerde geklärt wissen: „Enthält § 18a Abs. 2 SchulG LSA mit dem Tatbestandsmerkmal ‚laufende Personalkosten’ einen Beurteilungsspielraum des Normgebers der Rechtsverordnung, der sich womöglich an den Maßgaben des § 40 VwVfG analog orientiert?“. Diese Frage kann die Zulassung der Revision schon deshalb nicht rechtfertigen, weil sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren so nicht stellen würde. Das Berufungsgericht bezweifelt nicht, dass der Verordnungsgeber bei der Ausfüllung der schulgesetzlichen Ermächtigung einen normativen Gestaltungsspielraum hatte. Es hält diesen Spielraum aber für überschritten, weil auszuschließen sei, dass der vom Gesetzgeber vorgegebene Umfang der Finanzhilfe bei Zugrundelegung der in § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO verwendeten Merkmale erreicht werden könne. Davon abgesehen legt die Beschwerde wiederum nicht dar, welcher Grundsatz des revisiblen Rechts insoweit berührt sein soll; die Frage nach Inhalt und Grenzen der Verordnungsermächtigung in § 18a Abs. 3 SchulG LSA ist ersichtlich eine solche des Landesrechts.

7 c) In Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht vermisste Grundlage für den Ansatz der Kosten des nicht pädagogischen Personals hält die Beschwerde schließlich für klärungsbedürftig: „Soweit eine Verordnung keine Bestimmungen im Rahmen der Leistungsverwaltung im Schulrecht enthält, ist sie dann normenvertretend und widerspricht sie dann dem Gesetz?“. Auch diese Frage gibt keinerlei Hinweis auf einen Grund, der ihre Anerkennung von Bundesrechts wegen als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Das Oberverwaltungsgericht hat unter Anwendung von Landesrecht entschieden, dass nach der Ermächtigungsnorm des § 18a SchulG LSA in der auf den Streitfall anwendbaren Fassung die Kosten (auch) des nicht pädagogischen Personals zwingend bei den Personalkosten zu berücksichtigen sind, § 8 ESchVO dieser Vorgabe aber nicht gerecht wird, weil er für diese Kosten keine Regelung trifft. Ob diese Auslegung zutrifft und ob das Oberverwaltungsgericht aus ihr die richtigen Folgerungen für die Anwendbarkeit der Verordnung zieht, betrifft wiederum allein das Landesrecht und hat keine darüber hinausgehende Bedeutung.

8 2. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Zulassung der Revision entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht gerechtfertigt. Eine solche die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet i.S.v. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Auf eine fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung höchstrichterlicher Rechtssätze kann die Divergenzrüge dagegen nicht gestützt werden (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - a.a.O.). Den sich daraus ergebenden Anforderungen entspricht die Beschwerde nicht.

9 Der Beklagte macht geltend, das Berufungsgericht habe bei der Überprüfung des § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO den Rechtssatz aufgestellt, es müsse sich durch Auslegung eindeutig ermitteln lassen, welche Vergütungsgruppe des BAT-Ost bei den einzelnen Schularten heranzuziehen sei. Demgegenüber vertrete das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsprinzip nicht schon dann vorliege, wenn der Normgeber „flüssige, auslegungsfähige und auslegungsbedürftige Begriffe“ verwende. Das rechtsstaatliche Bestimmtheitserfordernis verbiete nicht die Verwendung von Generalklauseln, sondern begnüge sich damit, dass die äußeren Grenzen des Auslegungsspielraums abgedeckt seien und so die Möglichkeit der richterlichen Überprüfung der Einhaltung dieser Grenzen gegeben sei.

10 Mit diesem Vorbringen kann die Beschwerde die behauptete Divergenz nicht belegen. Sie missversteht das Berufungsurteil, wenn sie dem Oberverwaltungsgericht vorhält, dieses habe Auslegungsbedürftigkeit mit Unbestimmtheit gleichgesetzt. Dem Zusammenhang seiner Ausführungen ist vielmehr zu entnehmen, dass es eine Norm erst dann für in rechtsstaatswidriger Weise unbestimmt erachtet, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden nicht in einer Weise ausgelegt werden kann, die eine willkürliche Handhabung ausschließt. Dies steht mit dem höchstrichterlich geklärten Bestimmtheitserfordernis im Einklang. Ob das Berufungsgericht diesen Maßstab richtig angewendet und alle Auslegungsmöglichkeiten in Bezug auf die landesrechtliche Norm des § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 ESchVO ausgeschöpft hat, ist im Rahmen der Divergenzrüge ohne Belang.

11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG. Dabei berücksichtigt der Senat, dass Gegenstand der Beschwerde (nur) das vom Berufungsgericht erlassene Bescheidungsurteil ist. Der Beschwerdewert ist daher gegenüber dem vom Berufungsgericht festgesetzten Streitwert zu halbieren (s. auch Nr. 1.4 des Streitwertkataloges, NVwZ 2004, 1327).