Beschluss vom 09.12.2008 -
BVerwG 10 B 26.08ECLI:DE:BVerwG:2008:091208B10B26.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.12.2008 - 10 B 26.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:091208B10B26.08.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 26.08

  • Bayerischer VGH München - 24.10.2007 - AZ: VGH 11 B 03.30710

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Dezember 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Oktober 2007 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

2 1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangen die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, der in einem Revisionsverfahren entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen würde, sowie einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.

3 Die Beschwerde hält Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig, die sich darauf beziehen, „unter welchen Voraussetzungen die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 AsylVfG Anwendung finden“ (Beschwerdebegründung S. 10 f.). In der so formulierten Allgemeinheit fehlt es an der für die Zulassung einer Grundsatzrevision erforderlichen Konkretheit der Rechtsfrage. In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Ausschlussgründen des § 3 Abs. 2 AsylVfG legt die Beschwerde allerdings unter Abschnitt II-1 Buchstaben a bis c bestimmte Fragen dar, die das Berufungsgericht aufwerfe (Beschwerdebegründung S. 3 - 11). Soweit diese einen hinreichenden Grad an Konkretisierung aufweisen, versteht sie der Senat wie folgt:
a) Im Zusammenhang mit der Auslegung des Ausschlussgrundes der schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG stelle sich die Frage, „ob bzw. unter ggf. welchen weiteren Voraussetzungen auch die bloße Mitgliedschaft in einer als terroristisch zu qualifizierenden Gruppierung den Ausschlussgrund erfüllt“ (Beschwerdebegründung S. 4).
b) Im Zusammenhang mit der Auslegung des Ausschlussgrundes des Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG sei klärungsbedürftig, „ob etwa bereits untergeordnetere strukturelle Einbindungen in eine terroristische Gruppierung die Ausschlusswirkung herbeiführen“ (Beschwerdebegründung S. 7).
c) Im Zusammenhang mit der Auslegung der in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG normierten Voraussetzung der „schwerwiegenden Gründe“ werfe das Berufungsgericht die Frage auf, „ob gerade infolge der u.a. mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz 2002 in besonderer Weise zum Ausdruck gekommenen sicherheitsrechtlichen Neuorientierung in Fällen des zu betrachtenden Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 AsylVfG den Tatsachengerichten eine gesteigerte Sachaufklärungspflicht auferlegt ist“ (Beschwerdebegründung S. 10).

4 Die unter a) und b) aufgeworfenen Fragen können schon deshalb nicht zur Zulassung einer Grundsatzrevision führen, weil die Beschwerde deren Entscheidungserheblichkeit nicht aufzeigt. Denn sie erstreben die Klärung, ob und gegebenenfalls welche weiteren Voraussetzungen bei bloßer Mitgliedschaft oder untergeordneter struktureller Einbindung in eine „terroristische Gruppierung“ erfüllt sein müssen, um die Ausschlusswirkung des § 3 Abs. 2 AsylVfG herbeizuführen. Die Beschwerde legt aber nicht dar, dass die tschetschenischen Rebellen unter der Leitung von Maschadow, zu denen der Kläger gehörte, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine terroristische Gruppierung bildeten. Vielmehr ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass das Gericht insoweit lediglich die rechtlichen Konsequenzen der „Mitgliedschaft in einer Gewalt befürwortenden oder Gewalt anwendenden Organisation“ prüft, „die die Voraussetzungen für eine Einstufung als ‚terroristisch’ noch nicht erfüllt“ (UA S. 38). Damit ist aber nicht ersichtlich, warum die Klärung von Fragen entscheidungserheblich sein soll, die sich auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht stellen.

5 Die unter c) aufgeworfene Frage vermag ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision zu führen. Denn der Umfang der in § 86 Abs. 1 VwGO geregelten gerichtlichen Sachaufklärungspflicht lässt sich auch für die Feststellung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht generalisierend, sondern nur aufgrund einer die Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung durch das jeweilige Tatsachengericht beantworten (vgl. hierzu Urteil vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <19>).

6 2. Die Beschwerde hat die von ihr geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.

7 a) Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).

8 Ein solcher lässt sich nicht aus der gerügten Unterlassung weiterer Aufklärungsmaßnahmen zur möglichen Mitwirkung des Beigeladenen an terroristischen Handlungen ableiten, die seiner Anerkennung als Flüchtling entgegenstünden (Beschwerdebegründung S. 11 ff.). Die Beschwerde legt nicht dar, warum der klagende Bundesbeauftragte nicht schon im Verfahren vor dem Berufungsgericht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat. Dass sich eine solche dem Gericht von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Dazu muss schlüssig aufgezeigt werden, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen (Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - NVwZ 2008, 1246). Der Verwaltungsgerichtshof hat eine umfangreiche Liste von asylrelevanten Erkenntnismitteln über die Lage in der Russischen Föderation (Stand: 6. September 2007) in das Berufungsverfahren eingeführt, er hat den Beigeladenen und den Zeugen B. in der mündlichen Verhandlung ausführlich befragt. Er hat die erhobenen Beweise im Hinblick auf das Vorliegen von Ausschlussgründen im Sinne von § 3 Abs. 2 AsylVfG ausgewertet, ohne dass die Beschwerde vorträgt, dass dieser Gesichtspunkt vom Kläger oder einem anderen Verfahrensbeteiligten in dem Berufungsverfahren angesprochen oder zum Gegenstand von Beweisanträgen oder Beweisanregungen gemacht worden ist. Aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich auch keine Gesichtspunkte, warum die Befragung des Beigeladenen und des Zeugen B. nicht umfassend genug gewesen sein soll oder weshalb sich aus der Zugehörigkeit des Klägers zu den tschetschenischen Rebellen unter Maschadow weiterer Aufklärungsbedarf hinsichtlich seiner Mitwirkung an terroristischen Handlungen aufgedrängt haben soll. Wenn das Berufungsgericht - wie hier - nicht festgestellt hat, dass es sich bei den Rebellen um eine terroristische Organisation handelt, ist nicht ersichtlich, warum es Anlass gehabt haben sollte, weitere Beweise zu einer möglichen Verstrickung des Beigeladenen in terroristische Aktivitäten zu erheben.

9 b) Die Beschwerde macht weiter geltend (Beschwerdebegründung S. 13 ff.), die Entscheidung verstoße gegen die Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

10 In diesem Zusammenhang beruft sich die Beschwerde zunächst auf eine aus ihrer Sicht unzureichende Begründung zur Aufnahme des Beigeladenen in eine vom russischen Föderalen Sicherheitsdienst FSB geführte Liste möglicher Tschetschenienkämpfer. Diese zur Begründung der Vorverfolgung des Beigeladenen herangezogene Tatsache beruhe auf einer bloßen Annahme des Gerichts, es fehle hierfür aber an einer tragfähigen Begründung. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich der behauptete Verfahrensmangel jedoch nicht. Die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt in Erfüllung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs zwar, dass in den Entscheidungsgründen die wesentlichen tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden, die das Gericht bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Eine Verletzung dieser Pflicht kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist (vgl. Beschlüsse vom 5. Januar 2007 - BVerwG 1 B 63.06 - juris und vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Das ist namentlich der Fall, wenn sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung erkennbar nicht auf das wesentliche entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten erstreckt, wobei das Gericht jedoch nicht auf alle Einzelheiten des Parteivortrags eingehen muss und die Entscheidungsgründe insgesamt zu würdigen sind.

11 Nach diesem Maßstab lässt sich eine Verletzung der Begründungspflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO im vorliegenden Fall nicht feststellen. Denn das Berufungsgericht hat die Bedeutung der vom FSB geführten Listen unter Heranziehung von Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes erläutert. Es hat ferner begründet, warum eine Aufnahme des Klägers in diese Listen aufgrund seines spezifischen Engagements auf Seiten der tschetschenischen Rebellen bereits vor und dann in dem Zweiten Tschetschenienkrieg sowie weiterer näher dargestellter Umstände als wahrscheinlich anzusehen sei (UA S. 13).

12 Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, worin insoweit ein Aufklärungsmangel liegen soll (Beschwerdebegründung S. 14 f.). Denn es trifft nicht zu, dass die Aufnahme in die Listen des FSB „letztlich nur unterstellt wird“. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Dass sich weitere erfolgversprechende Beweiserhebungen aufgedrängt hätten, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.

13 Ohne Erfolg rügt die Beschwerde auch eine weitere Verletzung der gerichtlichen Begründungspflicht, die darin liegen soll, dass das Fehlen einer internen Schutzmöglichkeit in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht hinreichend begründet worden sei (Beschwerdebegründung S. 15 f.). Die Beschwerde nimmt von ihrer Kritik selbst schon die ausführliche Begründung des Berufungsgerichts aus, dass Inguschetien für den Beigeladenen zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht als interne Fluchtalternative in Betracht kam (UA S. 18 - 20). Es wird aus dem Beschwerdevorbringen aber auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Ausführungen des Gerichts zum internen Schutz im Übrigen unzureichend sein sollen, zumal der Verwaltungsgerichtshof näher darlegt, dass sich der Beigeladene durch die vom Gericht festgestellte Notwendigkeit einer Registrierung bei gleichzeitiger Erfassung in den Listen des Föderalen Sicherheitsdienstes FSB der konkreten Gefahr eines Zugriffs durch diesen ausgesetzt hätte (UA S. 20 - 25).

14 Soweit die Beschwerde weiter geltend macht, das Gericht habe die Prognose der Verfolgungsgefahr nicht nachvollziehbar erarbeitet (Beschwerdebegründung S. 13), greift sie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind aber nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig - und so auch hier - nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. etwa Beschluss vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 9 B 407.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 m.w.N.). Eine zulässige Verfahrensrüge hat der Kläger damit nicht erhoben.

15 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.