Beschluss vom 09.11.2016 -
BVerwG 1 B 110.16ECLI:DE:BVerwG:2016:091116B1B110.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.11.2016 - 1 B 110.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:091116B1B110.16.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 110.16

  • VG Berlin - 23.07.2014 - AZ: VG 11 K 281.14
  • OVG Berlin-Brandenburg - 03.05.2016 - AZ: OVG 3 B 13.15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. November 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und
Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

2 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Falle erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln in sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris).

3 2. Nach diesen Grundsätzen führt die aufgeworfene Frage,
"ob die Regelung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung bzgl. eines vergangenen Zeitraumes (Erwerbsbiographie) zur Feststellung der Sicherung des Lebensunterhalts mit Art. 7 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie [2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung] vereinbar ist, so dass u.U. diese Rechtsfrage dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen ist, da eine Vielzahl von zukünftigen unbestimmter Anzahl von Fällen betroffen ist",
nicht zur Zulassung der Revision. Diese Grundsatzrüge scheitert schon daran, dass den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt wird. Die aufgeworfene Frage rechtfertigt überdies deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Die Frage der Vereinbarkeit des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl Nr. L 215/12 vom 3. Oktober 2003) - sogenannte Familienzusammenführungsrichtlinie - stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, da diese Richtlinie nicht einschlägig ist. Die Familienzusammenführungsrichtlinie erfasst nach Art. 1, Art. 3 Abs. 3 ausschließlich den Familiennachzug zu Drittstaatsangehörigen. Im streitgegenständlichen Fall wird jedoch der Familiennachzug zu deutschen Staatsangehörigen begehrt. Unabhängig davon war die mangelnde Sicherung des Lebensunterhalts im angefochtenen Urteil nur für den - vom Berufungsgericht verneinten - Anspruch auf Verlängerung der eheunabhängigen, eigenständigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG von Bedeutung. Dabei handelt es sich gerade nicht um einen Familiennachzugsanspruch.

4 3. Die Beschwerde hält weiterhin folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig
"ob bei bestehender und bewiesener Verhinderungs- und Boykotthaltung eines Elternteils, die zur Unterbindung eines Umganges mit dem Kind führt, ein sog. Recht auf Prozessführung im Familienrechtsstreit nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG trotz mangelndem Umgang mit dem Kind besteht, wobei nur schwerwiegende Ausweisungsgründe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verhindern".

5 Auch dieser Frage fehlt die Entscheidungserheblichkeit. Eine Entscheidungserheblichkeit und damit Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage setzt voraus, dass sie nach den für das Bundesverwaltungsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre. Das ist u.a. nicht der Fall, wenn die Rechtsfrage vom Bundesverwaltungsgericht aufgrund der in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen tatsächlichen Feststellungen nicht entschieden werden könnte, sondern erst auf der Grundlage einer weiteren Aufklärung durch Aufhebung und Zurückverweisung (Kraft, in Eyermann, VwGO 14. Auflage 2014, § 132 Rn. 27). Dies ist hier der Fall. Das Berufungsgericht hat es in der angefochtenen Entscheidung (S. 15 f. UA) dahinstehen lassen, ob § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG mit Blick auf die Schutzwirkung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ein Recht auf Aufenthalt zur Wahrnehmung prozessualer Rechte im umgangsrechtlichen Rechtsstreit auch dann begründen kann, wenn der Kindesvater wegen der fehlenden Kooperation der Kindesmutter eine familiäre Beziehung zu seinem Kind aktuell nicht herstellen kann. Ein solches Recht sei vorliegend jedenfalls mangels Vorliegens seiner Voraussetzungen deswegen zu verneinen, weil der Kläger und die Kindesmutter seit sechs Jahren vor den Familiengerichten um die elterliche Sorge und das Umgangsrecht streiten und mehrere Eil- und Hauptsacheverfahren über die Ausgestaltung des Umgangsrechts und der elterlichen Sorge bereits rechtskräftig abgeschlossen seien. Die in den familiengerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen ließen darauf schließen, dass sich das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern verschlechtert habe. Vor diesem Hintergrund lasse sich die Notwendigkeit eines weiteren Aufenthaltstitels nicht mit dem Hinweis auf die familiengerichtlichen Auseinandersetzungen begründen, denn es fehle nicht nur seit Jahren an regelmäßigen Kontakten zwischen dem Kläger und seinen Kindern, sondern auch an einer konkreten Perspektive eines kindeswohldienlichen regelmäßigen Kontakts zur Wiederbegründung einer persönlichen Verbundenheit. Das Berufungsgericht hat mithin keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob eine Boykott- oder Verhinderungshaltung eines Elternteils (hier der Kindesmutter) zur Unterbindung des Umgangs des anderen Elternteils (hier des Klägers) mit den Kindern geführt hat. Die Revision kann daher nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, da die Klärung der von dem Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage erst eine weitere Sachaufklärung nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erforderte.

6 4. Die ferner als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage
"ob ein Familiengutachten aus Familienrechtstreitigkeiten verbindlich zur Frage der Verneinung eines Prozessrechtsaufenthaltstitels herangezogen werden kann, ohne den Gutachter angehört zu haben sowie eine Stellungnahme eines Verfahrensbeistandes heranzuziehen, ohne die Stellung eines Verfahrensbeistandes rechtlich zu würdigen und zu überprüfen, ob der konkrete Verfahrensbeistand objektiv überhaupt in der Lage ist, eine familienrechtliche Aussage zu treffen, wobei offengelassen wird, welche Qualifikation ein derartiger Verfahrensbeistand hat"
wendet sich in der Sache gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts im Einzelfall und versucht aus dieser einen allgemeinen Rechtssatz abzuleiten. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision führen.

7 5. Schließlich führt auch die vom Kläger aufgeworfene Frage,
"ob bei Verwertung eines familienrechtlichen Gutachtens sich aus diesem nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Gutachter seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Konfliktlage im konkreten Fall darstellt",
nicht zur Zulassung der Revision. Das Vorbringen genügt insoweit bereits nicht dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn es wird nicht dargelegt, inwiefern die aufgeworfene Rechtsfrage für die Entscheidung in der Hauptsache erheblich ist.

8 6. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

9 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.