Beschluss vom 09.11.2005 -
BVerwG 8 BN 2.05ECLI:DE:BVerwG:2005:091105B8BN2.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.11.2005 - 8 BN 2.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:091105B8BN2.05.0]

Beschluss

BVerwG 8 BN 2.05

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 14.04.2005 - AZ: OVG 4 K 597/04

In der Normenkontrollsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G o l z e und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. von H e i m b u r g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 14. April 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

2 Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, indem es den Kern des Vorbringens verkannt und wesentliche Teile des Vortrags übergangen habe.

3 Diese Rüge ist unbegründet. Zwar verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts das Gericht dazu, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Davon kann jedoch grundsätzlich ausgegangen werden; allerdings setzt dies voraus, dass die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und -verteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen und Rechtsausführungen nicht nur im Tatbestand erwähnt, sondern in den Entscheidungsgründen auch verarbeitet werden oder dass gegebenenfalls ihre fehlende Entscheidungserheblichkeit dargelegt wird (vgl. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 <11> und Urteil vom 31. Juli 2002 - BVerwG 8 C 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 102 <110 f.> sowie BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2004 - 2 BvR 779/04 - juris Rn. 20 m.w.N., insoweit nicht abgedruckt in LKV 2005, 116). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht aber nicht, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Dies gilt insbesondere für solches Vorbringen, das nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 <146>; Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2004, a.a.O.).

4 Nach diesen Grundsätzen musste das Oberverwaltungsgericht auf das von der Beschwerde in den Entscheidungsgründen vermisste Vorbringen der Antragstellerin nicht weiter eingehen, weil es vom Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts aus nicht entscheidungserheblich war.

5 1. Die Beschwerde trägt vor, das Oberverwaltungsgericht sei auf das Vorbringen der Antragstellerin in verschiedenen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung nicht eingegangen, wonach zwischen ihr und den Gemeinden, mit denen sie eine Vereinbarung über die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft "Vorharz" geschlossen hatte, sehr enge Beziehungen in Bereichen der Raumordnung und Landesplanung bestünden. Weiter habe die Antragstellerin ausführlich darauf hingewiesen, dass auch historisch gewachsene örtliche Zusammenhänge im Schul- und Wirtschaftsbereich und betreffend der Verkehrsverhältnisse sowie auf kulturellen und historischen Gebieten existierten. Diese Ausführungen, die die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt (GO LSA) betreffen, waren nach der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Denn das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Frage einer "sinnvollen" Zuordnung im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 3 GO LSA entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht anhand der Kriterien des § 76 Abs. 2 GO LSA, sondern allein nach Maßgabe des § 76 Abs. 1 GO LSA zu beantworten ist. Eine Abwägung auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 GO LSA habe erst dann zu erfolgen, wenn die Zuordnung zu mehreren leitbildgerechten Verwaltungsgemeinschaften möglich sei. Dies sei hier aber nicht der Fall. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung war das Vorbringen der Antragstellerin zu den besonderen Beziehungen zwischen ihr und den anderen Gemeinden der angestrebten Verwaltungsgemeinschaft "Vorharz" nicht entscheidungserheblich, so dass es eines weiteren Eingehens darauf in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht bedurfte. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass ein anderer Senat des Oberverwaltungsgerichts - noch dazu in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren - eine andere Rechtsansicht zum Verhältnis zwischen § 76 Abs. 1 und Abs. 2 GO LSA vertreten hat.

6 2. Ebenfalls unbegründet ist die Ansicht der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe es unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs unterlassen, in den Entscheidungsgründen auf das Vorbringen der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung einzugehen, die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer Verwaltungsgemeinschaft nach § 76 Abs. 1a GO LSA hätten im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der beanstandeten Verordnung nicht vorgelegen, weil die bisherige Verwaltungsgemeinschaft "Derenburg" zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden habe und die Antragstellerin deswegen keiner Verwaltungsgemeinschaft (mehr) angehört habe.

7 Aus der Formulierung im Tatbestand des Urteils, die Antragstellerin sei "bisher" Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Derenburg gewesen, lässt sich nicht herleiten, das Oberverwaltungsgericht sei insoweit von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die gesetzliche Ermächtigung des § 76 Abs. 1a Satz 1 GO LSA betreffe "Veränderungen in der bisherigen Verwaltungsgemeinschaftsstruktur für Gemeinden - wie hier die Antragstellerin -, die bereits Mitglieder von Verwaltungsgemeinschaften waren". Das Oberverwaltungsgericht ist demnach ersichtlich davon ausgegangen, dass es für die Anwendung des § 76 Abs. 1a GO LSA auf einzelne Gemeinden nicht darauf ankommt, ob und zu welchem Zeitpunkt eine bestehende Verwaltungsgemeinschaft im Zuge der von der gesetzlichen Norm angestrebten Neuordnung bereits ganz oder teilweise aufgelöst worden war.

8 3. Schließlich war auch das Vorbringen der Antragstellerin, das Verwaltungsverfahren betreffend die Genehmigung der von ihr angestrebten Bildung der Verwaltungsgemeinschaft "Vorharz" sei noch nicht beendet und deswegen die Freiwilligkeitsphase noch nicht abgeschlossen gewesen, nach dem Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat in dem Urteil im Einzelnen dargelegt, dass der Grundsatz der Freiwilligkeit keine absolute Sperre für den Erlass einer Verordnung nach § 76 Abs. 1a Satz 3 GO LSA darstelle. Der Antragsgegner sei durch den (freiwilligen) Abschluss einer Vereinbarung zur Bildung der Verwaltungsgemeinschaft "Vorharz" nicht an der Zuordnungsentscheidung gehindert gewesen; denn diese Gemeinschaftsvereinbarung sei aus den im Urteil näher dargelegten Gründen nicht genehmigungsfähig gewesen. Auf den Umstand, dass das Widerspruchsverfahren insoweit noch nicht abgeschlossen war, kam es daher für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich an.

9 Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit den vorstehend erörterten Rügen in Wahrheit die Rechtsansicht des Oberverwaltungsgericht angreift, kann damit ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dargelegt werden. Auch aus den ergänzenden Ausführungen der Beschwerde im Schriftsatz vom 4. Juli 2005 lässt sich nicht entnehmen, gegen welche Verfahrensvorschrift das Oberverwaltungsgericht verstoßen haben soll. Insbesondere stellt es keinen Verfahrensfehler dar, dass das Gericht (bereits) knapp vier Monate nach Übernahme der Normenkontrollsache einen Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführt hat. Auch die Dauer der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Gerichts sind als solche ungeeignet, einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darzutun. Vielmehr müsste die Beschwerde näher ausführen, inwiefern sich dieses Verfahren auf die angefochtene Entscheidung konkret ausgewirkt haben soll.

10 Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz VwGO).

11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47, 52 GKG.