Beschluss vom 09.11.2005 -
BVerwG 1 WB 26.05ECLI:DE:BVerwG:2005:091105B1WB26.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.11.2005 - 1 WB 26.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:091105B1WB26.05.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 26.05

In dem Wehrbeschwerdeverfahren
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz
den Richter am Bundesverwaltungsgericht. Dr. Deiseroth,
sowie
Oberst Kohlhase und
Oberstleutnant Gerl
als ehrenamtliche Richter
am 9. November 2005
b e s c h l o s s e n :

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der 1963 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des 31. März 2022 enden wird. Zum Oberstleutnant wurde er am 20. März 1998 ernannt. Seit dem 31. März 2003 wird er als L...StOffz beim V...kommando zur 7. P... in D. verwendet.

2 Aufgrund der Kommandierungsverfügung vom 30. August 2004 wurde der Antragsteller ab dem 7. September 2004 als L...tStOffz und V...offizier DtEinsKtgt ISAF in Afghanistan kommandiert. Der Einsatzzeitraum war bis zum 26. Januar 2005 festgelegt.

3 Mit Schreiben vom 16. Oktober 2004 beantragte der Stellvertretende (Stv) Kdr und Chef des Stabes (ChdSt) DtEinsKtgt ISAF die sofortige Ablösung des Antragstellers vom Auslandseinsatz. Zur Begründung führte er aus, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Antragsteller sei zerrüttet und die Aufrechterhaltung der Disziplin im Einsatzgebiet stark gefährdet. Dieser Antrag wurde unmittelbar dem Kdr DtEinsKtgt ISAF vorgelegt, ohne ihn zuvor im Entwurf dem Antragsteller bekannt zu geben. Die Absicht der Rückführung aus dem Einsatzland wurde dem Antragsteller am 16. Oktober 2004 durch den ChdSt persönlich mitgeteilt. Der Antragsteller erhielt keine Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme. Anschließend fand ein Gespräch des Antragstellers mit dem Kdr DtEinsKtgt ISAF - in Anwesenheit der Vertrauensperson - statt, in welchem der Kdr dem Antragsteller seine am 16. Oktober 2004 getroffene Entscheidung eröffnete, die Kommandierung vom 30. August 2004 in den Auslandseinsatz vorzeitig zu beenden.

4 Die Rückführung des Antragstellers nach Deutschland erfolgte ebenfalls am 16. Oktober 2004.

5 Mit Schreiben vom 19. Oktober 2004 legte der Antragsteller „gegen die vorzeitige Aufhebung meiner Kommandierung zu DtEinsKtgt Kunduz“ Beschwerde ein. Zur Begründung führte er wörtlich aus:

6 „Am 16.10.2004 wurde mir um 0930 Uhr die Absicht meiner Rückführung aus dem Einsatzland vom Chef des Stabes mitgeteilt. Zugleich wurde mir befohlen, zu packen, um ein am Mittag desselben Tages abgehendes Flugzeug zu erreichen.

7 In einem von mir erbetenen Gespräch mit dem Kommandeur PRT GP Kunduz teilte dieser mir lediglich mit, dass das Verhältnis zwischen dem Chef des Stabes und mir zerrüttet sei. Weiterhin erwähnte er allgemein, dass über mich Beschwerden aus TERMEZ und HQ ISAF vorlägen, ohne diese zu konkretisieren.

8 Ein solches Verfahren missachtet in grober Weise die dafür vorgesehenen rechtsstaatlichen Verfahrensweisen, zumal mir nicht die geringste Chance zur Stellungnahme oder Verteidigung gegen konkrete Vorwürfe gegeben wurde.“

9 Auf Anforderung des EinsFüKdo wurde der Antragsteller am 24. November 2004 zu den Umständen der vorzeitigen Beendigung seiner Kommandierung befragt.

10 Mit Bescheid vom 4. Januar 2005 gab der Befehlshaber (Befh) EinsFüKdo der Beschwerde des Antragsstellers statt und stellte fest, dass die vorzeitige Beendigung seiner Kommandierung rechtswidrig war.

11 Die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 25. Januar 2005, mit der dieser vor allem die aus seiner Sicht unterlassene Untersuchung der Frage eines Vertrauensverlustes rügte, wies der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis (StvGenInsp/InspSKB) mit Beschwerdebescheid vom 10. März 2005 zurück.

12 Gegen diese ihm am 4. April 2005 eröffnete Entscheidung richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 13. April 2005, den der StvGenInsp/InspSKB mit seiner Stellungnahme vom 2. Mai 2005 dem Senat vorgelegt hat.

13 Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:

14 Mit dem Beschwerdebescheid vom 4. Januar 2005 sei seiner Beschwerde nur zum Teil entsprochen worden. Dieser Bescheid und der Beschwerdebescheid vom 10. März 2005 bezögen sich allein auf die angeblich von ihm eingelegte Organbeschwerde, ohne auf die ihn nach wie vor beschwerenden Verhaltensweisen des ChdSt und des Kdr einzugehen. Zu Unrecht sei eine Aufklärung des behaupteten Vertrauensverlustes unterblieben. Er habe ausdrücklich auch eine Vorgesetztenbeschwerde erhoben. In seiner Befragung am 24. November 2004 habe er dargelegt, dass er die Zusammenstellung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit den sich daraus ergebenden Folgen als einen massiven Willkürakt der Führung in Kunduz betrachte. Er sei auch deshalb nach wie vor beschwert, weil ihm im Beschwerdebescheid das Ergebnis einer Untersuchung im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 2 WBO nicht mitgeteilt worden sei.

15 Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 8. Juli 2005 hat der Antragsteller den Rechtsstreit in dem Umfang für erledigt erklärt, „als das Ablöseverfahren wegen der Verletzung der Anhörungsrechte für rechtswidrig erachtet und insoweit der Beschwerde stattgegeben wurde“, und beantragt,

16 hinsichtlich des von ihm für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits die ihm im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Auslagen dem Bund aufzuerlegen

17 und im Übrigen

18 festzustellen, dass die Maßnahme und das diese auslösende Verhalten der Vorgesetzten mit der Feststellung eines Vertrauensverlustes pflichtwidrig und damit rechtswidrig waren.

19 Der StvGenInsp/InspSKB beantragt,

20 die Anträge zurückzuweisen.

21 Der Erledigungserklärung des Antragstellers werde widersprochen. Sie gehe ins Leere, weil sie sich auf das beziehe, was ihm bereits mit dem Beschwerdebescheid vom 4. Januar 2005 in vollem Umfang gewährt worden sei. Dem Beschwerdebegehren sei lange vor Rechtshängigkeit stattgegeben worden. Soweit der Antragsteller auf „Maßnahmen und das diese auslösende Verhalten der Vorgesetzten“ Bezug nehme, bleibe unklar, welche Maßnahmen und welche Vorgesetzten er meine. Im Übrigen habe er das Verhalten seiner damaligen Vorgesetzten erstmals mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beanstandet. Dabei handele es sich um eine Erstbeschwerde, die wegen Verfristung als unzulässig anzusehen sei. Außerdem sei er, der StvGenInsp/InspSKB, mangels Zuständigkeit insoweit nicht zur Entscheidung berufen. Mit Schreiben vom 21. April 2005 habe er veranlasst, dass dies dem Antragsteller mitgeteilt werde. Beschwerden gegen das persönliche Verhalten des Oberst B. und des Oberstleutnant i.G. R. hätten die zuständigen - jeweiligen - Disziplinarvorgesetzten dieser beiden Offiziere zu prüfen und zu bescheiden.

22 Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des StvGenInsp/InspSKB - FüS Pers 20-08-07/04-05 - sowie die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

23 Die Anträge bleiben ohne Erfolg.

24 1. Seinen Antrag vom 13. April 2005 festzustellen, dass seine Behandlung durch seine damaligen Vorgesetzten beim DtEinsKtgt ISAF, den ChdSt und den Kdr, sowie die Beschwerdebescheide vom 4. Januar und vom 10. März 2005 rechtswidrig waren bzw. sind, hat der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 8. Juli 2005 modifiziert; hinsichtlich des „Ablöseverfahrens wegen der Verletzung der Anhörungsrechte“ hat er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

25 Dieser Erledigungserklärung hat der StvGenInsp/InspSKB mit Schriftsatz vom 15. Juli 2005 ausdrücklich widersprochen. Damit ist kein Raum für eine Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 und § 20 Abs. 3 WBO (analog § 161 Abs. 2 VwGO) über diesen Teil des Rechtsstreits. Vielmehr ist die einseitig gebliebene Erledigungserklärung des Antragstellers in dem Sinne auszulegen, dass dieser nunmehr teilweise - bezogen auf das „Ablöseverfahren wegen der Verletzung der Anhörungsrechte“ - die Feststellung der Erledigung der Hauptsache beantragt (vgl. Urteil vom 24. Juli 1980 - BVerwG 3 C 120.79 - <BVerwGE 60, 328 [330]>; Neumann, in: Sodan/Ziekow <Hrsg.>, VwGO, Stand: Januar 2003, § 161 RNr. 153; J. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 113 RNr. 113 m.w.N.).

26 Dieser - auf das „Ablöseverfahren wegen der Verletzung der Anhörungsrechte“ beschränkte - Erledigungsfeststellungsantrag bleibt erfolglos. Eine Erledigung der Hauptsache ist insoweit nicht festzustellen.

27 Die Feststellung der Erledigung der Hauptsache setzt voraus, dass nach Rechtshängigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung ein Erledigungsgrund eingetreten ist. Ein Erledigungsgrund liegt vor, wenn ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes außerprozessuales Ereignis dem Antragsbegehren die Grundlage entzogen hat und der Antrag deshalb für den Antragsteller gegenstandlos geworden ist (vgl. Urteil vom 31. Oktober 1990 - BVerwG 4 C 7.88 - <BVerwGE 87, 62 [64 f.]>). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt. Dem Rechtsschutzziel des Antragstellers, die Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Beendigung seiner Kommandierung in den Auslandseinsatz und dabei insbesondere die Verletzung von Anhörungsrechten feststellen zu lassen, ist bereits mit dem Beschwerdebescheid des Befh EinsFüKdo vom 4. Januar 2005 vorprozessual in vollem Umfang entsprochen worden. Ein nachträgliches Ereignis, das seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Eintritt der Rechtshängigkeit am 13. Mai 2005 die Grundlage entzogen haben könnte, ist dagegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen, sodass sein Erledigungsfeststellungsantrag abzuweisen war.

28 Bei dieser Sachlage kommt es auf die Frage, ob der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ursprünglich zulässig war, nicht an. Diese Frage ist nur dann erheblich, wenn eine positive Feststellung über die Erledigung der Hauptsache in Betracht kommt (zum Streitstand: Neumann, a.a.O., RNr. 171 ff.; Urteil vom 31. Oktober 1990 - BVerwG 4 C 7.88 - <a.a.O. [66]> m.w.N.).

29 Angesichts der einseitig gebliebenen und in der Sache unbegründeten Erledigungserklärung des Antragstellers kommt eine Kostenentscheidung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 und § 20 Abs. 3 WBO (analog § 161 Abs. 2 VwGO) nicht in Betracht.

30 2. Der Antrag festzustellen, dass die „Maßnahme“ pflichtwidrig und rechtswidrig war, ist unzulässig.

31 Die Maßnahme, die am 16. Oktober 2004 vom Kdr DtEinsKtgt ISAF gegen den Antragsteller getroffen wurde, betraf die vorzeitige Beendigung seiner Kommandierung in den Auslandseinsatz. Genau für diese Maßnahme hat der Befh EinsFüKdo im Beschwerdebescheid vom 4. Januar 2005 die Rechtswidrigkeit festgestellt und damit der Beschwerde des Antragstellers ohne Einschränkung stattgegeben. Deshalb fehlt dem Antragsteller hinsichtlich dieser Maßnahme für die Inanspruchnahme wehrdienstgerichtlichen Rechtsschutzes das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

32 3. Sein auf das „Verhalten der Vorgesetzten mit der Feststellung eines Vertrauensverlustes“ bezogener Feststellungsantrag im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 8. Juli 2005 ist ebenfalls unzulässig.

33 Es bestehen bereits erhebliche Zweifel an der instanziellen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für diesen Antrag.

34 Nach § 21 Abs. 1 WBO kann das Bundesverwaltungsgericht unmittelbar nur gegen Entscheidungen oder Maßnahmen des Bundesministers der Verteidigung (BMVg) einschließlich der Entscheidungen über Beschwerden oder weitere Beschwerden angerufen werden. Diese instanzielle Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gilt nach § 22 WBO entsprechend für die Entscheidungen der Inspekteure der Teilstreitkräfte und der Vorgesetzten in vergleichbaren Dienststellungen über weitere Beschwerden. Eine derartige Entscheidung oder Maßnahme des BMVg bzw. eines Inspekteurs liegt bisher hinsichtlich der Rüge des Antragstellers gegen das „Verhalten der Vorgesetzten mit der Feststellung eines Vertrauensverlustes“ nicht vor. Der StvGenInsp/InspSKB hat insoweit schon mit Schreiben an den Antragsteller vom 21. April 2005 sowie außerdem in der Vorlage an den Senat im Einzelnen dargelegt, dass er für eine Entscheidung über diesen Streitgegenstand sachlich nicht zuständig sei. Dem ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten.

35 Im Übrigen wäre sein Feststellungsantrag bezüglich des „Verhaltens der Vorgesetzten mit der Feststellung eines Vertrauensverlustes“ auch dann unzulässig, wenn - unter dem Aspekt der Untätigkeit - die Zuständigkeit eines Inspekteurs in Betracht käme. Denn der Senat kann nicht feststellen, dass der Antragsteller gegen das „Verhalten“ der im Antrag genannten „Vorgesetzten“ rechtzeitig im Sinne des § 6 Abs. 1 WBO einen Rechtsbehelf eingelegt hat. Seine Beschwerde vom 19. Oktober 2004 bezieht sich ausschließlich auf die Beanstandung eines Verstoßes gegen vorgesehene rechtstaatliche Verfahrensweisen. Innerhalb der Beschwerdefrist hat er ausschließlich Verfahrensverstöße im Zusammenhang mit seiner Ablösung vom Auslandseinsatz gerügt. Erstmalig seiner Vernehmung als Zeuge am 24. November 2004 könnte ein Hinweis auf von ihm beanstandetes persönliches Fehlverhalten seiner Vorgesetzten entnommen werden. Diese frühestens am 24. November 2004 behauptete Beschwer ist nicht innerhalb der einzuhaltenden Beschwerdefrist - zwei Wochen ab Kenntnis vom Beschwerdeanlass - geltend gemacht worden.

36 Die Anträge sind deshalb insgesamt zurückzuweisen.