Beschluss vom 08.12.2016 -
BVerwG 3 C 9.16ECLI:DE:BVerwG:2016:081216B3C9.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.12.2016 - 3 C 9.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:081216B3C9.16.0]

Beschluss

BVerwG 3 C 9.16

  • VG Köln - 20.10.2010 - AZ: VG 24 K 7532/08
  • OVG Münster - 04.07.2013 - AZ: OVG 13 A 2788/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Dezember 2016
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrügen der Klägerinnen und der Beigeladenen zu 2 gegen das Urteil des Senats vom 10. Dezember 2015 - BVerwG 3 C 18.14 - werden zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen und die Beigeladene zu 2 tragen je ein Drittel der Gerichtskosten des Rügeverfahrens, ihre eigenen Kosten tragen sie jeweils selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

1 Die von beiden Klägerinnen und der Beigeladenen zu 2 erhobenen Anhörungsrügen gegen das Urteil des Senats vom 10. Dezember 2015 - BVerwG 3 C 18.14 - sind unbegründet. Keine der Rügen zeigt auf, dass der Senat den Anspruch des jeweiligen Rügeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt hat, § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO. Eine Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), die sich aus der Nichteinholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergeben soll, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit der Anhörungsrüge nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. März 2013 - 7 C 3.13 - juris Rn. 4; Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 152a Rn. 3 m.w.N.), liegt abgesehen davon aber auch nicht vor.

2 1. Die Klägerinnen machen mit ihren Anhörungsrügen geltend, das Urteil lasse eine Auseinandersetzung mit den Kernargumenten ihrer Revisionen nicht ansatzweise erkennen. Das gelte insbesondere für die Ausführungen zur Auslegung des hier anzuwendenden Gemeinschaftsrechts und zur notwendigen Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu den von ihnen formulierten Grundsatzfragen. Im Revisionsverfahren sei detailliert dargelegt worden, dass das Unionsrecht eine Antragstellung und Bearbeitung von Zweitzulassungsanträgen vor Ablauf der Unterlagenschutzfrist verbiete. Auf Verletzungen dieser Verbote könne sich ein Originalhersteller auch noch nach Ablauf der Unterlagenschutzfrist berufen. Die eindeutigen Aussagen der Notice to Applicants hierzu würden im Urteil nicht gewürdigt. Dort bleibe auch unerwähnt, dass die Europäische Kommission aus Anlass der streitigen Zweitzulassungen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet und die Beklagte vor dem Verwaltungsgericht Köln ausdrücklich anerkannt habe, dass die Zulassungen rechtswidrig erteilt worden seien. Unberücksichtigt bleibe schließlich, dass der Klägerin zu 2 die Klagebefugnis nicht abgesprochen werden könne, weil ihre geschützten Unterlagen mit denen zu Plavix® vollkommen identisch seien.

3 Mit diesem Vorbringen wird nicht aufgezeigt, dass der Senat entscheidungserheblichen Vortrag übersehen, übergangen oder wesentlich verkannt hätte. Vielmehr versuchen die Klägerinnen mithilfe einer Wiederholung ihrer Ausführungen im Revisionsverfahren, ihre - im angegriffenen Urteil explizit abgelehnte - Rechtsauffassung durchzusetzen, der Unterlagenschutz nach Art. 13 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 habe die Beantragung und die Bearbeitung von Zweitanträgen durch die Behörde verboten, und Verletzungen dieser Verbote würden dem Hersteller des Originalarzneimittels einen "nachwirkenden" Schutz über die 10-jährige Unterlagenschutzfrist hinaus verschaffen. Es trifft nicht zu, dass der Senat sich mit dieser Rechtsansicht und den von den Klägerinnen angeführten Fragestellungen nicht befasst hat. Die angesprochenen Punkte sind in dem Urteil - soweit sie nach dessen Argumentationsgang entscheidungserheblich waren - eingehend behandelt worden (vgl. Urteilsabdruck - UA - Rn. 31 ff.). Dasselbe gilt für die Klagebefugnis der Klägerin zu 2, die der Senat in offenkundigem Bezug zu ihrem Vortrag verneint hat, wegen der Identität der vorgelegten Unterlagen mit denen der Klägerin zu 1 werde auch sie durch die verfrühte Zulassung in eigenen Rechten verletzt (vgl. UA Rn. 37 ff.).

4 Es versteht sich allerdings von selbst, dass die Würdigung nicht für jeden der von den Klägerinnen genannten Punkte gleich intensiv ausfallen musste. Nach dem Argumentationsweg und dem Ergebnis des Urteils ist unschwer erkennbar, dass den von den Klägerinnen genannten Umständen für die Beurteilung der Rechtslage keine oder nur eine geringe Bedeutung zukommt. Das gilt besonders für die Notice to Applicants, die sich als praktische Anwendungshinweise aus sich heraus nicht gegen das vom Senat für klar erachtete Gemeinschaftsrecht durchsetzen können. Auf das Vertragsverletzungsverfahren und das Anerkenntnis der Rechtswidrigkeit durch die Beklagte musste der Senat in den Entscheidungsgründen nicht weiter eingehen, weil diese Umstände in ihrem Aussagegehalt mit dem Urteilsergebnis übereinstimmen, dass die Zulassung wegen ihrer Erteilung vor Ablauf der Unterlagenschutzfrist objektiv rechtswidrig ist; im Übrigen zeigt der Verweis auf die Stellungnahme der Europäischen Kommission in Rn. 26 des Urteilsabdrucks, dass der Senat das Vertragsverletzungsverfahren mit in den Blick genommen hat. Übergangen worden ist auch nicht der Vortrag zu den Vorlagefragen. Die Notwendigkeit einer Vorlage an den EuGH ist im Urteil ausdrücklich verneint worden (UA Rn. 42). Dass die Urteilsbegründung dabei auf die von den Klägerinnen formulierten Fragen nicht detailliert eingeht, erklärt sich zwangslos daraus, dass sich die Antworten auf diese Fragen, soweit entscheidungserheblich, aus dem vorstehenden Begründungstext leicht ersehen lassen.

5 2. Die Anhörungsrüge der Beigeladenen zu 2 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

6 Sie rügt, der Senat habe entscheidungserheblichen Vortrag ihrer Anschlussrevision nicht berücksichtigt. Er habe die Klageart falsch bestimmt und daher die Klage der Klägerin zu 1 zu Unrecht für zulässig erachtet. Das Klagebegehren sei aber nicht als Feststellungsklage im Sinne des § 43 VwGO zu verstehen, sondern als kombinierte Fortsetzungsfeststellungsklage in Bezug auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Zulassungsbescheides vom 21. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2008 und als Feststellungsbegehren in Bezug auf den Zeitraum 18. November 2008 bis 27. Juli 2010 bzw. 2009. Der Senat mache keine Ausführungen zu der geltend gemachten Unzulässigkeit der isolierten Feststellungsklage gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides bis zum 15. Juli 2008. Dieser Klage stehe die rechtswegübergreifende Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen, weil die Klägerinnen ihre behaupteten Schadensersatzansprüche auch für die Zeit bis zum 15. Juli 2008 vor den Zivilgerichten hätten verfolgen müssen. Der Senat setze sich ferner in Widerspruch zu der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Erlass des Widerspruchsbescheides der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides sei.

7 Auch diese Rügen machen keine Verletzung des rechtlichen Gehörs deutlich. Sie bemängeln im Kern ebenfalls nur, dass der Senat der Rechtsauffassung der Beigeladenen nicht gefolgt ist und zur Begründung seines Ergebnisses einen Argumentationsgang für zutreffend erachtet hat, nach dem viele Erwägungen der Beigeladenen zu 2 unerheblich wurden. Dass der Senat dabei gleichwohl die Ausführungen der Beigeladenen - namentlich auch diejenigen zu ihrer Anschlussrevision - zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zeigen die Ausführungen der Beigeladenen selbst, in dem sie auf die Passagen der Urteilsgründe hinweist, in denen sich der Senat mit der statthaften Klageart, der Bedeutung des Widerspruchsbescheides und dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt befasst hat.

8 Die Beigeladene zu 2 sieht den Ausgangspunkt für das angenommene Übergehen ihres Vortrags in einer falschen Wahl der Klageart. Das trifft nicht zu. Der Senat hat dargelegt, dass in der gegebenen Prozesssituation - nach endgültiger Sacherledigung eines zeitlich teilbaren Anfechtungsbegehrens - die Feststellungsklage im Sinne des § 43 VwGO dem Begehren der Klägerinnen für alle Zeitabschnitte am besten gerecht wird. Zur sachgerechten Zuordnung des Klagebegehrens zu einer Klageart ist ein Gericht durch § 88 VwGO verpflichtet. Die im Urteil vorgenommene Bestimmung der Klageart entspricht erkennbar dem Willen und Interesse der Klägerinnen, was auch daraus deutlich wird, dass sie dieser Bestimmung im gesamten Verfahren und auch in ihrer Anhörungsrüge nicht entgegengetreten sind. Erweist sich aber eine Klageart als sachgerecht, effektiv, statthaft und auch im Übrigen zulässig, verbietet es sich, eine andere Klageart zu wählen, zumal, wenn dieser Zulässigkeitshindernisse entgegenstehen, wie es die Beigeladene zu 2 meint. Aus den Urteilsgründen hierzu geht im Übrigen klar hervor, dass der Senat die abweichenden Konstruktionen des Berufungsgerichts oder der Beigeladenen zu 2 erwogen, aber nicht für überzeugend erachtet hat.

9 Abgesehen von all dem zeigt die Beigeladene zu 2 nicht auf, inwieweit sich die Zuordnung des Klagebegehrens zu einer "kombinierten" Fortsetzungsfeststellungs- und allgemeinen Feststellungsklage im Ergebnis zu ihren Gunsten hätte auswirken können. Auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage - bezogen auf den Zeitraum der Zulassungserteilung bis zum Ablauf der Unterlagenschutzfrist am 15. Juli 2008 - wäre nach Zulässigkeit und Begründetheit im vorliegenden Fall nicht anders zu beurteilen. Da die Erledigung erst nach Erhebung der Anfechtungsklage eingetreten ist, konnte auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht an der Nachrangigkeit gegenüber der Amtshaftungsklage scheitern.

10 Auf die Bedeutung des Widerspruchsbescheides für diese Zusammenhänge geht das angegriffene Urteil ausdrücklich ein - im Blick auf die anderslautende Rechtsansicht der Beigeladenen zu 2 und nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung. Die Beigeladene zu 2 verfolgt nunmehr mit der Anhörungsrüge ihre im Urteil zurückgewiesene Ansicht weiter, die Rechtmäßigkeit der streitigen Zulassung beurteile sich allein nach dem Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides. Dass diese Ansicht, die ganz generell zu pauschal ist (vgl. nur Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 45 ff.), gerade für Dauerverwaltungsakte, als die die Beigeladene zu 2 arzneimittelrechtliche Genehmigungen ansieht, unrichtig ist, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch aus dem im Urteil zitierten Beschluss vom 5. Januar 2012 (8 B 62.11 - NVwZ 2012, 510). Es liegt auch auf der Hand, dass bei Verwaltungsakten, deren Rechtmäßigkeit zeitabschnittsweise unterschiedlich beurteilt werden kann, von vornherein nicht ausschließlich auf die Rechtslage bei Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt werden kann. Insofern kommt es entscheidend auf das Begehren des jeweiligen Klägers und auf die geltend gemachten Gründe der Rechtswidrigkeit an. Ist in einer solchen Konstellation - wie hier - festzustellen, dass der Ausgangsbescheid rechtswidrig erteilt worden ist, kann daher bezogen auf den Widerspruchsbescheid nur gefragt werden, ob dieser an der Rechtswidrigkeit etwas geändert hat. Dass dies im Fall der Klägerin zu 1 nicht der Fall war, hat der Senat dargelegt. Den Widerspruchsbescheid als "heilende" Neuerteilung der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu betrachten, war dabei so fernliegend, dass darauf nicht einzugehen war; eine Neuerteilung hätte aber vorliegend vor allem nichts daran ändern können, dass für den Zeitraum der Unterlagenschutzfrist eine Zulassung nicht rechtmäßig erteilt werden konnte. Die behauptete Abweichung von einer ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt mithin nicht vor, einer "Auseinandersetzung" mit der von der Beigeladenen zu 2 zitierten Rechtsprechung bedurfte es insofern nicht. Die Beigeladene zu 2 überzeugen diese Ausführungen nicht; darin liegt aber keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.